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Ein neues Einwanderungsgesetz für Deutschland?
von Hilde Mattheis MdB Vorsitzende DL 21 Stand: März 2015
Hilde Mattheis MdB
INHALT
Vorwort von Hilde Mattheis, MdB und Daniela Kolbe, MdB I. Aktuelle Rechtslage II. Positionspapier Thomas Oppermann zum Einwanderungsgesetz III. Migrationsbericht 2013 der Bundesregierung IV. Einwanderungspolitik und -recht in verschiedenen Ländern V. Mediendienst Integration – Vorbild Kanada? VI. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung – Was Deutschland von Kanada lernen kann VII. FES – Zuwanderung aus Südosteuropa / „Sozialtourismus“ VIII. Presseschau
Hilde Mattheis, MdB 2
Vorwort von Hilde Mattheis, MdB, DL21-Bundesvorsitzende Liebe Genossinnen und Genossen, Deutschland ist ein Einwanderungsland. Es hat lange Jahre gebraucht, bis sich diese Erkenntnis in Politik und Gesellschaft als Fakt durchgesetzt hat. Daraus folgt, dass unser Land Einwanderung will und Einwanderung braucht, um verschiedene Probleme im Inland wie den demografischen Wandel oder den Fachkräftemangel und im Ausland wie hohe Arbeitslosenraten oder Konflikte und Krisen abzufedern oder zu lösen. Daher wollen wir Bedingungen schaffen, mit denen EinwandererInnen schnell und unkompliziert einreisen können und sich bei Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung einfach integrieren können. Deutschland ist heute ein vergleichsweise attraktives Wanderungsziel. Nach dem kürzlich erschienen Migrationsbericht der Bundesregierung hat die Wanderungsbewegung 2013 einen neuen Höchststand erreicht: Der Wanderungsgewinn lag bei 450.000 Menschen, da sehr viel mehr Menschen nach Deutschland ein- als auswanderten. Rund Zwei Drittel der Eingewanderten stammen aus Ländern der Europäischen Union und fallen damit rechtlich unter die Regelungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die inzwischen in der gesamten Union gilt. Für alle EinwanderInnen, die aus einem Nicht-EU-Staat zu uns kommen, gilt das 2005 verabschiedete Zuwanderungsgesetz, das regelt, unter welchen Umständen Eingewanderte eine Aufenthaltsgenehmigung für Arbeit, Studium oder Familienzusammenführung erhalten. Um diese Regelungen gab und gibt es Streit, zum Beispiel da ursprünglich für den Nachzug des Ehegattens Sprachkenntnisse Voraussetzung waren – eine Regelung, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2014 kippte. Zudem gibt es mit der Blauen Karte EU (EU blue card) derzeit ein System, um hochqualifizierte ArbeitnehmerInnen anzulocken. Zugewanderte erhalten eine solche Karte, wenn sie ein Hochschulstudium und einen Arbeitsvertrag mit einem Jahresgehalt von mindestens 47.600 Euro nachweisen. Die Wirkung des Instruments ist umstritten, da je die bisherigen Regelungen als zu restriktiv gelten. Andererseits wird argumentiert, dass seit 2012 mehr als 20.000 Hochqualifizierte eine blue card in Anspruch genommen haben. Nicht zuletzt deswegen gibt es Forderungen nach einem neuen Einwanderungsgesetz, dass möglichst unkompliziert und unbürokratisch Einwanderung nach Deutschland steuert. Der SPDFraktionsvorsitzende Thomas Oppermann hat dafür ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild ins Spiel gebracht und dazu ein Positionspapier veröffentlicht. Ihr findet dies ebenfalls in diesem Reader. Kanada wird bereits seit Jahren von vielen PolitikerInnen als Vorbild gesehen, da es dem Land angeblich gelingt, Einwanderung bedarfsgerecht zu steuern und vor allem Hochqualifizierte anzuziehen. Andererseits musste Kanada sein Einwanderungsrecht wegen Fehlentwicklungen mehrmals reformieren, zuletzt zu Beginn dieses Jahres. Wir – das Forum DL21 – wollen dieses Thema kritisch und konstruktiv begleiten, da es für unsere Partei wichtig ist, dass wir ein modernes, progressives und solidarisches Einwanderungsrecht erarbeiten, welches allen Menschen, die eine bessere Zukunft suchen, eine Chance auf ein Leben in Deutschland ermöglicht. Im Folgenden haben wir euch Informationen zum derzeitigen Einwanderungsrecht, zu den aktuellen Migrationszahlen und Bewertungen für Reformideen zusammengestellt. Eure Hilde Mattheis, MdB Vorsitzende Forum DL21
Zur Debatte über ein Einwanderungsgesetz von Daniela Kolbe, MdB, stellvertretende Vorsitzende DL21 Die SPD-Bundestagsfraktion hat dankenswerterweise in den letzten Wochen eine Debatte über ein Einwanderungsgesetz angestoßen. Es ist wohl unbestreitbar, dass unser Land in der Vergangenheit von Einwanderung profitiert hat und in Zukunft massiv auf diese angewiesen sein wird. Auch vor diesem Hintergrund findet derzeit ein Paradigmenwechsel im Flüchtlingsrecht stattgefunden. Wo Asylsuchende über Jahrzehnte aus dem öffentlichen Leben herausgehalten wurden und nach abgelehntem Antrag über viele Jahre ohne Arbeitsmarktzugang im unsicheren Duldungsstatus verharrten, können sie sich nunmehr nach drei Monaten frei bewegen und haben zumeist Zugang zum Arbeitsmarkt. Sprachkurse und eine bessere Gesundheitsversorgung stehen als nächstes auf der politischen Agenda. Gleichzeitig macht die xenophobe/rassistische –GIDA-Bewegung deutlich, dass der gesellschaftliche Diskurs längst nicht an einem Punkt ist, der Einwanderung unumwunden als positives Phänomen kennzeichnet. Die Bestrebungen verschiedener Wirtschaftsverbände, Einwanderung lediglich an Nützlichkeitserwägungen zu orientieren, stellt dabei das andere Ende des diskutierten Spektrums dar. Als SPD-Linke tun wir gut daran, den stattfindenden Diskurs aktiv zu begleiten und für unsere Positionen einzutreten: -
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Eine antirassistische Grundhaltung in der Bevölkerung ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Einwanderung gelingen kann. In diesem Bereich ist noch viel zu tun. Die Aufstockung der Programme gegen Rechtsextremismus im BMFSFJ ist dabei ein sehr ermutigendes Zeichen. Einwanderung trifft dann auf Akzeptanz, wenn auch die Potentiale der hier lebenden Menschen genutzt werden. Wir wollen kein Kind zurücklassen, Alleinerziehende besser unterstützen und für gute Arbeitsbedingungen kämpfen. Bei den Potentialen der hier Lebenden haben wir nicht nur junge Menschen ohne Ausbildung, Frauen und Ältere im Blick, sondern auch diejenigen Migrant(-inn)en, die schon in Deutschland leben und aus strukturellen Gründen bisher oft weniger Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt hatten. Ein diskriminierungsfreier Zugang zum Arbeitsmarkt und eine qualifikationsadäquate Beschäftigung sind unser Ziel. Den Rechtsstatus vieler hier lebender Migrant(-inn)en und ihre faktischen Chancen wollen wir verbessern. Dazu gehören für uns Sprachkurse für Asylsuchende, ihre bessere Vermittlung in den Arbeitsmarkt, signifikante Verbesserungen im Bleiberecht, der Wegfall des Spracherwerb vor Ehegattennachzug und viele andere Punkte mehr. Einwanderung zu steuern und an den Gegebenheiten des lokalen Arbeitsmarktes und der hier Lebenden zu orientieren, ist legitim. Gleichwohl stellen wir uns einer Debatte entgegen, die Einwanderung lediglich nach Nützlichkeitserwägungen diskutiert. Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht, die Freizügigkeit ein konstitutiver Grundwert der EU. Dass Menschen Schutz suchen oder ihr Glück in anderen Ländern machen wollen, muss möglich sein, ohne dass sie ihr Leben und das Leben ihrer Familien an den Grenzen Europas aufs Spiel setzen.
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In der Debatte zur Einwanderung haben wir nicht nur unser Land im Blick, sondern auch die Interessen der Herkunftsländer. Wir wollen brain drain verhindern und sehen zugleich die positiven Aspekte zirkulärer Migration für die Herkunftsländer (brain gain).
Zusammenfassung: Wege für mehr Einwanderung zu öffnen ist ein begrüßenswerter Weg, den wir aktiv begleiten. Auch ein Punktesystem kann dabei eine wichtige Rolle spielen, ebenso wie bestehende Migrationswege zu erweitern. Es gibt aber nicht den einen goldenen Weg, der bestehende Probleme bewältigt. Für uns ist wichtig, die rechtlichen Möglichkeiten zur Einwanderung zu öffnen, transparent zu regeln und den gesellschaftlichen Diskurs weiter voran zu treiben. Wir wollen rassistischen Bestrebungen die Stirn bieten, Nützlichkeitsdiskurse eindämmen und die Lebenschancen derjenigen, die bereits in Deutschland leben ebenso in den Blick nehmen, wie die derjenigen, die neu zu uns kommen wollen. In einem solchen Gesamtkontext kann die derzeitige Einwanderungsdebatte zu einem progressiven Projekt werden, das unsere Gesellschaft insgesamt voranbringt.
I.
Aktuelle Rechtslage: Zuwanderungsgesetz 2005
Das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz (im Folgenden Aufenthaltsgesetz / AufenthG) enthält Vorschriften zu Einreise und Aufenthalt von Ausländern in das Bundesgebiet, zu möglichen Aufenthaltszwecken sowie zur Aufenthaltsbeendigung und zum Asylverfahren. Am 28. August 2007 ist die Reform des Zuwanderungsgesetzes in Kraft getreten. Kernpunkte der Reform sind die Umsetzung von elf aufenthalts- und asylrechtlichen Richtlinien der Europäischen Union, Regelungen zur Bekämpfung von Schein- und Zwangsehen, eine Stärkung der inneren Sicherheit, die Umsetzung staatsangehörigkeitsrechtlicher Beschlüsse der Innenministerkonferenz, die Erleichterung des Zuzugs von Firmengründern sowie vor allem Maßnahmen zur Förderung der Integration von legalen Zuwanderern. Aufenthaltstitel Das AufenthG bestimmt erstmals das Visum als eigenständigen Aufenthaltstitel. Bedeutung hat diese Regelung für kurzfristige Aufenthalte: das Visum begründet jetzt ausdrücklich eine Aufenthaltsberechtigung; nach dem früheren Ausländergesetz galt dies nur für Aufenthaltstitel, die nach der Einreise innerhalb Deutschlands erworben wurden. Für längerfristige Aufenthalte wird nur noch zwischen der (befristeten) Aufenthaltserlaubnis und der (unbefristeten) Niederlassungserlaubnis unterschieden. Zur erstmaligen Einreise ist nach wie vor ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das dann in Deutschland in eine Aufenthalts- bzw. eine Niederlassungserlaubnis umgewandelt wird. Eine Aufenthaltserlaubnis wird für die im Gesetz genannten möglichen Aufenthaltszwecke (Ausbildung, Erwerbstätigkeit, völkerrechtliche, humanitäre oder politische sowie familiäre Gründe) erteilt. Eine Niederlassungserlaubnis wird erteilt, wenn ein Ausländer seit fünf Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und weitere Voraussetzungen (Sicherung des Lebensunterhalts, keine Vorstrafen, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache etc.) erfüllt sind. Einem hochqualifizierten Ausländer und Inhabern einer "Blauen Karte EU" kann sie vor Ablauf dieser Frist erteilt werden. Mit der Reform des Zuwanderungsgesetzes wurde ferner die Erlaubnis zum DaueraufenthaltEG als eigenständiger Aufenthaltstitel eingeführt. Sie ist weitgehend der Niederlassungserlaubnis gleichgestellt. In Folge der Umsetzung einer EU-Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung – der sogenannten „Hochqualifizierten-Richtlinie“ - wird zum 1. August 2012 ein weiterer eigenständiger Aufenthaltstitel eingeführt: die „Blaue Karte EU“, die weitgehend einer befristeten Aufenthaltserlaubnis entspricht, jedoch vereinfachte Möglichkeiten zur Erlangung einer Niederlassungserlaubnis bietet. Aufenthalt zum Zwecke der Ausbildung Ausländern kann zum Zwecke der Studienbewerbung und des Studiums an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule oder vergleichbaren Ausbildungseinrichtung eine
verlängerbare Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Sie kann auch nach dem Abschluss des Studiums für bis zu einem Jahr (ab 1. August 2012 für bis 18 Monate) zur Suche nach einem diesem Abschluss angemessenen Arbeitsplatz verlängert werden. Auch zur Teilnahme an nicht studienvorbereitenden Sprachkursen Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.
kann eine
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Schulbesuch ist nur in Ausnahmefällen möglich. Sofern die Bundesagentur für Arbeit ihre Zustimmung erteilt hat, kann zudem eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der betrieblichen Aus- und Weiterbildung erteilt werden. Absolventen deutscher Auslandsschulen, die eine qualifizierte betriebliche Ausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf anstreben, kann eine Aufenthaltserlaubnis ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erteilt werden. Arbeitsmigration An die Stelle des früheren Systems der Aufenthaltsgenehmigung einerseits sowie der Arbeitsgenehmigung andererseits trat am 1. Januar 2005 eine Aufenthaltserlaubnis, die gleichzeitig den Zugang zum Arbeitsmarkt regelt. Damit tritt gegenüber dem Ausländer nur noch eine Behörde auf. Im Ausland sind das die Auslandsvertretungen (Visastellen der Botschaften und Konsulate), im Inland die Ausländerbehörden. Die Beteiligung der Arbeitsverwaltung erfolgt dabei bei zustimmungspflichtiger Erwerbstätigkeit in einem verwaltungsinternen Verfahren. Der generelle Anwerbestopp, das heisst die grundsätzliche Beschränkung der Zulassung zum Arbeitsmarkt, gilt fort. Ausnahmen von den Zulassungsbeschränkungen gelten für einzelne Berufsgruppen und sind durch eine entsprechende Verordnung geregelt (Beschäftigungsverordnung). Darüber hinaus kann die Zulassung im begründeten Einzelfall erfolgen, wenn ein öffentliches Interesse an der Beschäftigung besteht (§ 18 Abs. 4 AufenthG). Für Hochqualifizierte ist die Gewährung eines Daueraufenthalts von Anfang an vorgesehen, sie können nach der Einreise sofort eine Niederlassungserlaubnis erhalten. Mit- oder nachziehende Familienangehörige sind zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Selbständige können eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn an dem geplanten Geschäftsvorhaben ein besonderes wirtschaftliches Interesse oder ein besonderes regionales Bedürfnis besteht. Dazu erfolgt eine Einzelfallprüfung des Geschäftsvorhabens, bei der auch zu den die Auswirkungen auf die Wirtschaft sowie die Sicherung der Finanzierung in Betracht gezogen werden. Studenten können nach erfolgreichem Studienabschluss bis zu 18 Monaten zur Arbeitsplatzsuche in Deutschland bleiben (gilt ab dem 1. August 2012). Ein Aufenthaltstitel darf nur erteilt werden, wenn ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegt, wobei sich die Zulassung der Beschäftigung generell an den Erfordernissen des
Wirtschaftsstandortes Deutschland unter Berücksichtigung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt orientiert.
Arbeitsplatzsuche in Deutschland Seit dem 1. August 2012 gibt es für Hochschulabsolventen, die über einen deutschen oder anerkannten oder einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss verfügen, die Möglichkeit zur Einreise zur Arbeitsplatzsuche. Mit dem Visum zur Arbeitsplatzsuche ist ein Aufenthalt von bis zu sechs Monaten möglich, um sich eine Arbeit zu suchen. Neben dem Hochschulabschluss ist ein Nachweis über die Lebensunterhaltssicherung für den geplanten Zeitraum des Aufenthaltes nachzuweisen. Während der Zeit der Arbeitsplatzsuche ist die Aufnahme einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit nicht zulässig.
Erleichterter Zuzug für Forscher Zum Zweck der Forschung an einer vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) anerkannten Forschungseinrichtung in Deutschland wird eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn eine wirksame Aufnahmevereinbarung zwischen dem Ausländer und dieser Forschungseinrichtung vorliegt. Das Visumverfahren für diese Forscher wird als vereinfachtes Verfahren ohne Beteiligung der Ausländerbehörde durchgeführt. Zuwanderung aus humanitären, politischen o.ä. Gründen - Asyl Mit dem AufenthG wurde gesetzlich festgelegt, dass der Flüchtlingsstatus auch bei nichtstaatlicher Verfolgung in Anlehnung an die EU – Qualifikationsrichtlinie gewährt wird. Ferner wurde die Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung eingeführt; eine Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit und damit eine Verfolgung liegt auch dann vor, wenn diese Verfolgung allein an das Geschlecht der Person anknüpft.
Familien- und Kindernachzug Für den Familiennachzug zu einem Ausländer muss der Ausländer eine Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis oder eine "Blaue Karte EU" besitzen und über ausreichenden Wohnraum verfügen. Darüber hinaus müssen weitere Voraussetzungen, abhängig vom Status des bereits in Deutschland lebenden Ausländers, erfüllt sein. Beim Ehegattennachzug wurde mit der Reform des Zuwanderungsrechts neu eingeführt, dass beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben müssen und der nachziehende Ehepartner sich grundsätzlich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können muss.
Beim Kindernachzug bleibt die Altersgrenze von 16 Jahren bestehen. Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren kann im Härtefall oder bei einer günstigen Integrationsprognose ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Beim Nachzug zum allein sorgeberechtigten Elternteil besteht für Kinder unter 16 Jahren ein Anspruch auf Erteilung des notwendigen Aufenthaltstitels.
Förderung der Integration Integration ist ein langfristiger Prozess, der zum Ziel hat, alle Menschen, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland leben, in die Gesellschaft einzubeziehen. Zuwanderern soll eine umfassende, möglichst gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht werden. Zuwanderer haben die Pflicht, die deutsche Sprache zu erlernen sowie die Verfassung und die Gesetze zu kennen, zu respektieren und zu befolgen. Gleichzeitig muss den Zuwanderern ein gleichberechtigter Zugang möglichst zu allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht werden. Mit dem Nachweis eines erfolgreich abgeschlossenen Kurses besteht für den Migranten die Möglichkeit, die Wartezeit bis zur Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bzw. - falls angestrebt - bis zum Erwerb der Staatsangehörigkeit zu verkürzen. Der Integrationskurs findet auf Deutsch statt.
Stand 24.07.2012 Quelle: http://www.auswaertigesamt.de/sid_C3EEF62E95B0FD0CA7D006E81EA53861/DE/EinreiseUndAufenthalt/Zuwanderu ngsrecht_node.html
II.
Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion
Deutschland als Einwanderungsland gestalten – warum wir ein Einwanderungsgesetz brauchen Unserem Land geht es gut: Nie zuvor waren so viele Menschen erwerbstätig. Die positive Lage auf dem Arbeitsmarkt sorgt für Überschüsse bei den Sozialversicherungen und solide finanzierte öffentliche Haushalte. Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland beruhen auf der Leistung der Menschen und einer starken Wirtschaft. Aber unsere Gesellschaft altert und schrumpft. In den nächsten Jahrzehnten werden deutlich weniger Menschen in unserem Land leben und zum Wohlstand beitragen können. Tatsache ist: Aufgrund der demographischen Entwicklung verlieren wir in den kommenden zehn Jahren bis zu 6,7 Millionen Erwerbsfähige. Dies ist aktuell die größte Herausforderung für unsere Volkswirtschaft, auf die wir Antworten geben müssen. Ziel muss es sein, den erwarteten Rückgang des Arbeitskräftepotenzials zu verhindern. Anderenfalls laufen wir Gefahr, unseren Wohlstand zu verlieren und unsere sozialen Sicherungssysteme nicht mehr finanzieren zu können. Rente und Gesundheitsversorgung sind nur sicher, wenn wir auch die demographische Lücke schließen. Deshalb gilt: Jede und jeder in unserem Land wird gebraucht! Vorrangiges Ziel der deutschen Sozialdemokratie ist es, die in Deutschland lebenden Arbeitskräfte besser zu mobilisieren und zu qualifizieren. Aber wir müssen zugleich bessere Rahmenbedingungen für die Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland schaffen. Entscheidend ist: Hier gibt es kein „Entweder-oder“. Beides ist notwendig. Das Beispiel Kanada zeigt: Einwanderungspolitik ist dann erfolgreich, wenn sie von einem gesellschaftlichen Konsens getragen wird. Einwanderung lässt sich nicht gegen, sondern nur mit breiter Unterstützung der Gesellschaft gestalten. Diesen Prozess müssen wir gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgebern organisieren und darauf achten, dass soziale Konflikte vermieden werden. Mit geeigneten Maßnahmen wie dem Mindestlohn und der Tarifbindung muss ausgeschlossen werden, dass Einwanderung dazu benutzt wird, das Lohnniveau zu drücken und die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich für ein neues Einwanderungsgesetz in Deutschland ein. Eines, das mit mehr Transparenz Vertrauen schafft und Sorgen entkräftet; und das zugleich das Signal einer Willkommenskultur aussendet: Deutschland ist ein attraktives und weltoffenes Land, das um gut ausgebildete Einwanderer wirbt. Wir wollen den Menschen und ihren Familien, die zu uns kommen werden, eine echte Zukunftsperspektive bieten, damit sie und ihre Kinder dauerhaft bei uns bleiben.
Arbeitskräfte mobilisieren und qualifizieren Als hochentwickeltes Industrieland ist Deutschland auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen. Durch den demographisch bedingten Bevölkerungsrückgang sinkt jedoch auch das Angebot an qualifizierten Fachkräften. Diese Lücke müssen wir schließen, wenn wir wirtschaftlich stark und wettbewerbsfähig bleiben wollen. Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist in den vergangenen Jahren in Deutschland angestiegen, bleibt mit knapp über 70 Prozent jedoch noch hinter der skandinavischer Länder zurück und liegt deutlich unter der Erwerbsquote der Männer. Tatsächlich sind Frauen in Deutschland heute so gut ausgebildet wie noch nie. Wir können es uns nicht leisten, auf diese hoch-qualifizierten Fachkräfte zu verzichten. Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich deshalb weiter dafür einsetzen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern, damit mehr Frauen von Teilzeit- in Vollzeitbeschäftigung wechseln können. Gleichzeitig müssen wir alle erforderlichen Anstrengungen unternehmen, um die 1,5 Millionen jungen Menschen in unserem Land zwischen 25 und 35 Jahren, die bisher keine Berufsausbildung haben, in eine Ausbildung zu bringen. Auch die berufliche Weiter- und Ausbildung älterer Arbeitnehmer und Arbeitsloser muss gestärkt werden und sich am tatsächlichen Bedarf orientieren. Außerdem werden wir die Potentiale von Menschen mit Behinderungen im allgemeinen Arbeitsmarkt deutlich heben. Schließlich wollen wir, dass die Migranten, die bereits in Deutschland leben, besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Daraus folgt: Allein mit einer höheren Erwerbstätigkeit von Frauen sowie einer umfangreichen Nachqualifizierung wird es uns nicht gelingen, ausreichend neue Fachkräfte zu mobilisieren. Deutschland ist auf die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Mit klaren Zugangskriterien lässt sich der Zuzug von qualifizierten Einwanderern abhängig von der Situation am deutschen Arbeitsmarkt steuern. Diese Kriterien sind im engen Dialog mit Gewerkschaften und Arbeitgebern zu vereinbaren, um zu gewährleisten, dass sie nachfrageorientiert und sozialverträglich ausgestaltet sind.
Deutschland ist attraktiv für Einwanderer Deutschland ist laut OECD inzwischen das zweitbeliebteste Einwanderungsland weltweit. 2013 gab es die höchste Einwanderung und mit 429.000 Personen den höchsten Wanderungsgewinn seit über 20 Jahren. Die mit Abstand größte Gruppe der Einwanderer kommt aus den süd- und osteuropäischen Ländern der Europäischen Union. Die Freizügigkeit für Arbeitnehmer in der EU ist gerade für Deutschland ein großer Glücksfall. Denn diese Einwanderer sind überwiegend gut ausgebildet und finden schnell Arbeit. Die Hauptherkunftsländer sind Polen, Rumänien, Italien, Bulgarien, Ungarn sowie Spanien. Ein Grund hierfür ist die dort anhaltend schlechte Wirtschaftslage, vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 %. Wenn sich unsere europäischen Nachbarn wirtschaftlich erholen, müssen wir damit rechnen, dass Unionsbürger in ihre Heimatländer zurückkehren und der Zuzug aus diesen Ländern deutlich abnehmen wird. 2
Die hohe Einwanderung aus der EU wird demnach wohl nicht von Dauer sein. Wir werden die demographischen Herausforderungen aber nur meistern, wenn es uns gelingt, die Einwanderung annähernd auf dem Niveau der letzten Jahre zu halten. Deshalb müssen wir uns in Zukunft gezielt noch viel stärker um qualifizierte Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten bemühen. Menschen aus Nicht-EU-Staaten kommen bisher in erster Linie als Asylbewerber nach Deutschland. Die Zahl derjenigen, die außerhalb der Asylverfahren mit einer guten Ausbildung nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten und sich niederzulassen, ist hingegen bislang vergleichsweise gering. Fazit: Deutschland profitiert derzeit von einer hohen Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus der EU. Wenn sich die Beschäftigungslage im Süden Europas verbessert, wird der Zuzug aus diesen Ländern abnehmen. Es kommt daher darauf an, dass wir uns erfolgreich um qualifizierte Einwanderer aus Drittstaaten (Nicht-EU-Staaten) bemühen.
Unser Land braucht ein neues Einwanderungsgesetz Ein wichtiger Grund für die fehlende Attraktivität Deutschlands für qualifizierte Einwanderer aus Drittstaaten ist zweifellos unser zersplittertes und unübersichtliches Einwanderungsrecht. Es gibt über 50 verschiedene Aufenthaltstitel; die Einwanderungsregeln sind über mehrere Gesetze verstreut. Deshalb schlagen wir vor, die verschiedenen Einwanderungsvorschriften in einem Einwanderungsgesetz zu bündeln und mit diesem Gesetz ein starkes Signal auszusenden, dass Deutschland um die Einwanderung gut ausgebildeter Menschen wirbt. Wir müssen unser leider nach wie vor präsentes Image im Ausland als Nicht-Einwanderungsland loswerden und deutlich machen, dass wir nicht fragen, woher jemand kommt, sondern was jemand kann. Zwar gibt es Regelungen wie die Blaue Karte EU, die die Einwanderung qualifizierter Arbeitnehmer aus dem Nicht-EU-Ausland ermöglichen, wenn sie über einen Hochschul-abschluss und einen Arbeitsvertrag mit einem Mindestgehalt von 48.400 EURO oder 37.752 EURO in Mangelberufen verfügen. Die Einführung der Blauen Karte EU war ein wichtiges Signal an akademische Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Ausland und geht in die richtige Richtung. Allerdings haben davon seit 2012 insgesamt nur 24.000 Spezialisten Gebrauch gemacht, wovon viele zuvor schon in Deutschland waren. Das reicht bei weitem nicht aus und zeigt, dass die Zutrittshürden für Fachkräfte nach wie vor zu hoch sind.
Wir schlagen deshalb vor, neben der Blauen Karte EU ein flexibles und nachfrageorientiertes Punktesystem zu entwickeln. Mit einem solchen System gewinnt beispielsweise Kanada jedes Jahr rd. 250.000 qualifizierte Einwanderer (vgl. Box unten).
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Erfolgsbeispiel KANADA: Kanada gilt unter den klassischen Einwanderungsländern international als Vorbild für eine gelungene Einwanderungspolitik. Es verfügt über eine jahrzehntelange Erfahrung in der Anwerbung und erfolgreichen Integration von qualifizierten Einwanderern, ohne dass es zu größeren sozialen Verteilungskonflikten gekommen wäre. Im Gegenteil: Kanada hat es geschafft, Einwanderung weitestgehend effizient, nachfrageorientiert, sozial ausgewogen und transparent zu organisieren. Basis hierfür ist ein breiter Konsens in der kanadischen Politik und Gesellschaft darüber, dass eine jährliche Einwanderung im Umfang von knapp 1% der Bevölkerung gewünscht ist. Die kanadische Einwanderungsbehörde stuft ausländische Bewerber in einem Punktesystem nach Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Sprachkenntnissen ein. Seit Anfang dieses Jahres erhalten Bewerber, die bereits über ein konkretes Jobangebot verfügen, zusätzliche Punkte, was zu einer zügigen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis und Arbeitsaufnahme führt. Das kanadische System stellt damit im Grundsatz zwar weiterhin auf die persönliche Qualifikation des einzelnen Bewerbers ab, berücksichtigt aber zusätzlich die konkrete Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Dies geschieht unbürokratisch, weil der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht – wie früher – davon abhängig gemacht wird, dass der Bewerber einen Engpassberuf ausübt. Und dies geschieht nicht zu Lasten des inländischen Arbeitskräftepotenzials, weil nur solche Arbeitsverträge anerkannt werden, bei denen der Arbeitgeber nachgewiesen hat, dass seine Bemühungen, einen kanadischen Arbeitnehmer zu finden, erfolglos geblieben sind.
PUNKTESYSTEM – flexibel, nachfrageorientiert und sozialverträglich Die Einwanderungssysteme anderer Länder sind nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar. Wir werden jedoch sorgfältig prüfen, welche Elemente des kanadischen oder anderer kriteriengeleiteten Einwanderungssysteme wir übernehmen können, um die Einwanderung aus Drittstaaten langfristig mit einem flexiblen und nachfrageorientierten Punktesystem bedarfsgerecht zu steuern.
Das Punktesystem könnte mit einer Bewerberdatenbank nach dem Vorbild des kanadischen Express Entry Systems kombiniert werden. Dadurch sollen Arbeitgeber und -nehmer besser zueinander finden.
Um auszuschließen, dass Arbeitgeber Dumpinglöhne zahlen, muss ein Arbeitsvertrag vorliegen, der mindestens tarifliches Lohnniveau garantiert.
Je nach Bedarf kann zur Steuerung eine jährliche Quote festgelegt werden, wie viele Personen über das Punktesystem kommen können.
Die Aufenthaltserlaubnis würde zunächst für drei Jahre erteilt und wird danach entfristet, sofern die Betroffenen ihren Lebensunterhalt sichern können.
Das Punktesystem könnte als Pilotprojekt befristet und evaluiert werden. Anschließend würde über eine Verlängerung entschieden.
In einem ersten Schritt könnten wir die Hürden für die Blaue Karte EU schon jetzt senken, indem wir sie auch für qualifizierte Spezialisten öffnen, die über keinen formalen Abschluss verfügen (z.B. ITSpezialisten) und weitere bereits bestehende Einwanderungsmöglichkeiten erweitern und bekannter machen.
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Abschlüsse schneller anerkennen Ein weiteres wichtiges Element des neuen Einwanderungsgesetzes muss die bessere und schnellere Anerkennung ausländischer Abschlüsse sein. Dies wollen wir durch einen Rechtsanspruch auf unabhängige Beratung, die Einführung eines Einstiegsdarlehens und angemessene Verfahrenskosten fördern. Derzeit arbeiten schätzungsweise 300.000 bis 500.000 Einwanderer unterhalb ihrer Qualifikation; dieses Potenzial von Anerkennungsberechtigten muss besser ausgeschöpft werden.
Ausländische Studenten und Schüler gewinnen Die Absolventen deutscher Auslandsschulen und ausländische Studenten/Absolventen in Deutschland verfügen bereits über deutsche Sprachkenntnisse und sind mit der deutschen Kultur vertraut. Gerade diese Gruppe lässt sich einfacher und schneller integrieren. Wir wollen deshalb
die Zahl deutscher Auslandsschulen im Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen Amtes in ausgesuchten Ländern deutlich erhöhen,
dem wachsenden Interesse an der deutschen Sprache dadurch Rechnung tragen, dass wir die Sprachkursangebote an den Goethe-Instituten im Ausland ausbauen und den breiten Zugang erleichtern. So können potentielle Einwanderer die deutsche Sprache bereits in ihrer Heimat lernen,
mehr ausländische Studienbewerber an deutschen Hochschulen gewinnen und zulassen, weil aus demographischen Gründen die Zahl deutscher Studienbewerber wieder sinken wird,
die Ausländer, die einen deutschen Hochschulabschluss gemacht haben, dafür gewinnen, dauerhaft hier zu leben und zu arbeiten
grundsätzlich die Attraktivität des deutschen Hochschulstandorts steigern.
Den Arbeitsmarkt auch für Flüchtlinge öffnen Die Trennung von humanitärer und arbeitsmarktbezogener Einwanderung ist grundsätzlich richtig, muss aber im Hinblick auf einzelne Konsequenzen überdacht werden. Damit hat die Große Koalition bereits begonnen: So wurde 2014 die Frist für den Zugang von Asylbewerbern und Geduldeten zum Arbeitsmarkt von zwölf bzw. neun auf drei Monate, der Entfall der Vorrangprüfung auf 15 Monate abgesenkt bzw. für Mangelberufe und bei inländischer Ausbildung ganz abgeschafft. Asylsuchende und Geduldete, die durch eigene Arbeit für ihren Lebensunterhalt sorgen können, sind besser vor Diskriminierungen geschützt und können sich besser integrieren. Wir werden deshalb prüfen, wie wir auf diesem Weg voranschreiten und zu weiteren Verbesserungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt kommen können.
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Klar ist: Flüchtlinge und andere Schutzsuchende haben einen verfassungs-, europa- und völkerrechtlichen Anspruch auf ein Asylverfahren. Mit ihrer Aufnahme kommt Deutschland seiner historischen, humanitären und rechtlichen Verpflichtung nach. Für uns gilt, dass der Schutz vor Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen immer frei von Nützlichkeitserwägungen bleiben muss. Mit Blick auf die steigende Zahl von Asylbewerbern werden wir uns dafür einsetzen, die Kommunen zu entlasten und zu einer fairen Verteilung der Flüchtlinge in Europa zu kommen. In der Vergangenheit wurden Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge weitgehend vermieden, um eine spätere Abschiebung nicht zu erschweren. Wir müssen jedoch bei vielen Flüchtlingen feststellen, dass sie längere Zeit, wenn nicht gar auf Dauer, in Deutschland bleiben. Neben den anerkannten Flüchtlingen bleibt auch ein Teil der abgelehnten Asylbewerber, sofern für sie dauerhaft ein Abschiebehindernis besteht. Für diesen Personenkreis wollen wir schneller Sprach- und Integrationskurse sowie Ausbildungsmaßnahmen anbieten. Vor allem die vielen gut ausgebildeten Flüchtlinge, z.B. Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, sollten dringend mit berufsbezogenen Sprachkursen unterstützt werden. Insbesondere muss alles dafür getan werden, dass Flüchtlingskinder einen schnellen Zugang zu Kindergärten und Schulen erhalten. Die Kommunen sind hierbei unkompliziert und schnell zu unterstützen. Wir werden das Angebot für Sprachkurse qualitativ wie auch die Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte deutlich ausweiten und zusammen mit den Ländern Asylbewerbern und Geduldeten einen frühen Spracherwerb ermöglichen. Außerdem sollten wir weitere pragmatische Lösungen im Asylverfahren in Betracht ziehen. So ist schwer nachvollziehbar, warum abgelehnte Asylbewerber, die gleichwohl nicht abgeschoben werden können, bisher nur dann eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Arbeit erlangen können, wenn sie vorher ausreisen und das Visum aus dem Ausland beantragen. Die Erteilungssperre ist zwar grundsätzlich legitim, denn so soll eine Umgehung des Arbeitsmigrationsrechts durch das Asylverfahren verhindert werden. Es müssen aber Ermessensausnahmen geschaffen werden. Auf den dringenden Wunsch der Handwerkskammer, der Kirchen, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und des Bundes der Arbeitgeber wollen wir jugendlichen Geduldeten und Asylsuchenden, die eine Ausbildung beginnen oder ein Ausbildungsangebot haben, unabhängig vom Ausgang des asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahrens den Aufenthalt bis zum Abschluss der Ausbildung gewähren. Das sollte auch eine Frist für anschließende Arbeitssuche beinhalten. Viele Betriebe suchen nach Auszubildenden - auch Asylsuchende und Geduldete. Doch beim Arbeitgeber herrscht Unsicherheit, ob der/die Auszubildende auch die gesamte Ausbildungszeit wird bleiben können. So verlieren die Jugendlichen Zeit und die Unternehmen Auszubildende.
Breite gesellschaftliche Debatte notwendig Deutschland steht am Beginn einer breiten gesellschaftlichen Debatte über die Notwendigkeit und Chancen einer modernen Einwanderungspolitik. Dabei geht es um die Frage, wieviel Einwanderung wir brauchen und welche Regeln dafür gelten. Mit unserem Vorschlag für ein modernes Einwanderungsrecht machen wir deutlich, dass wir die Sorgen der Bevölkerung im Blick haben. Wir wollen Einwanderung so steuern, dass sie hilft, Wohlstand und Arbeit in diesem Land zu erhalten. Deutschland muss sich als weltoffenes, tolerantes und modernes Land präsentieren, das aktiv um 6
die Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften wirbt und dafür legale Wege schafft. Damit leisten wir nicht zuletzt einen wichtigen Beitrag, um illegale Einwanderung und Menschenhandel zu bekämpfen und Schlepperbanden die Geschäftsgrundlage zu entziehen. Eine positive gesellschaftliche Grundhaltung zu Einwanderung entsteht nicht von heute auf morgen. Sie ist aber wichtig, damit Einwanderung gelingt. Mit unserem Vorschlag wollen wir eine wichtige Voraussetzung dafür schaffen. Mit einem Einwanderungsgesetz, das klare, nachvollziehbare und am Bedarf orientierte Kriterien enthält, werden wir die Menschen davon überzeugen: Einwanderung kann ein Gewinn für uns alle sein.
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III. Migrationsbericht der Bundesregierung
Migrationsbericht 2013 Zentrale Ergebnisse
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Migrationsbericht 2013 - Zentrale Ergebnisse
Migrationsbericht 2013 Zentrale Ergebnisse Höchste Zuwanderung seit 1993
Der Migrationsbericht der Bundesregierung verfolgt das Ziel, durch die Bereitstellung möglichst aktueller, umfassender und ausreichend detaillierter statistischer Daten über Migration Grundlagen für die Entscheidungsfindung von Politik und Verwaltung im Bereich der Migrationspolitik zu liefern. Zudem möchte er die Öffentlichkeit über die Entwicklung des Migrationsgeschehens informieren.
Nach dem Tiefpunkt der Wanderungszahlen im Jahr 2006 ist seitdem ein kontinuierlicher Wiederanstieg des Zuzugs zu verzeichnen. Im Jahr 2013 wurden etwa 1,23 Millionen Zuzüge registriert, ein Anstieg um 13,5% im Vergleich zum Vorjahr (1,08 Millionen). Eine solch hohe Zuwanderungszahl war zuletzt im Jahr 1993 zu verzeichnen. Unter den Zuziehenden waren 1,11 Millionen Zuzüge von ausländischen Staatsangehörigen – Unionsbürger und ihre Familienangehörigen sowie Drittstaatsangehörige. Ebenso stieg die Zahl der Fortzüge im Jahr 2013 im Vergleich zum Vorjahr an (+10,8%). 2013 wurden 0,80 Millionen Fortzüge registriert, darunter 0,66 Millionen Fortzüge von Ausländern.
Der Migrationsbericht beinhaltet neben den allgemeinen Wanderungsdaten zu Deutschland und der detaillierten Darstellung der verschiedenen Migrationsarten einen europäischen Vergleich zum Migrationsgeschehen und zur Asylzuwanderung. Zusätzlich behandelt der Bericht das Phänomen der illegalen/ irregulären Migration, geht auf die Abwanderung von Deutschen und Ausländern ein und informiert über die Struktur und die Demografie der Bevölkerung mit Migrationshintergrund.
Durch den Anstieg der Zuzugszahlen bei einer gleichzeitig weniger stark steigenden Zahl an Fortzügen ergab sich im Jahr 2013 ein Wanderungsgewinn von 429.000 Menschen, der höchste seit dem Jahr 1993. Der Wanderungsüberschuss bei ausländischen Staatsangehörigen betrug +450.000 Personen, während auch 2013 mehr Deutsche das Land verließen als zurückkehrten (-22.000 Personen).
Zu- und Fortzüge über die Grenzen Deutschlands von 2005 bis 2013 Jahr
Zuzüge Gesamt
Ausländer
Fortzüge Deutsche
Gesamt
Ausländer
Wanderungssaldo (Zuzugs-/ bzw. Fortzugsüberschuss) Deutsche
Gesamt
Ausländer
Deutsche
2005
707.352
579.301
128.051
628.399
483.584
144.815
+78.953
+95.717
-16.764
2006
661.855
558.467
103.388
639.064
483.774
155.290
+22.791
+74.693
-51.902
2007
680.766
574.752
106.014
636.854
475.749
161.105
+43.912
+99.003
-55.091
2008*
682.146
573.815
108.331
737.889
563.130
174.759
-55.743
+10.685
-66.428
2009*
721.014
606.314
114.700
733.796
578.808
154.988
-12.782
+27.506
-40.288
2010
798.282
683.530
114.752
670.605
529.605
141.000
+127.677
+153.925
-26.248
2011
958.299
841.695
116.604
678.969
538.837
140.132
+279.330
+302.858
-23.528
2012
1.080.936
965.908
115.028
711.991
578.759
133.232
+368.945
+387.149
-18.204
2013
1.226.493
1.108.068
118.425
797.886
657.604
140.282
+428.607
+450.464
-21.857
* Für die Jahre 2008 und 2009 ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der bundesweiten Einführung der persönlichen Steuer-Identifikationsnummer im Jahr 2008 umfangreiche Bereinigungen der Melderegister in diesen beiden Jahren vorgenommen wurden, die zu zahlreichen Abmeldungen von Amts wegen geführt haben. Da der Umfang dieser Bereinigungen aus den Meldungen der Meldebehörden statistisch nicht ermittelt werden kann, bleiben der tatsächliche Umfang der Fortzüge in den Jahren 2008 und 2009 sowie die Entwicklung gegenüber den Vorjahren unklar. Quelle: Statistisches Bundesamt
3
Migrationsbericht 2013 - Zentrale Ergebnisse
Seit dem Jahr 1996 ist Polen das Hauptherkunftsland der Zuwanderer. Der Anteil der Zuzüge aus Polen an allen Zuzügen ist jedoch leicht von 17% auf 16% zurückgegangen. Im Jahr 2013 wurden 197.000 Zuzüge aus Polen registriert. Dies bedeutet einen Anstieg um etwa 7% im Vergleich zum Vorjahr. Allerdings nahmen die Fortzüge nach Polen im Jahr 2013 im Vergleich zum Vorjahr um 10% zu (125.000 Fortzüge). Weiter angestiegen ist die Zahl der Zuzüge aus Rumänien (+16% im Vergleich zum Vorjahr) und Bulgarien (+1% im Vergleich zum Vorjahr). Im Falle Rumäniens hat sich die Zahl der Zuzüge seit 2006, dem Jahr vor
dem EU-Beitritt, in etwa versechsfacht, im Falle Bulgariens fast verachtfacht. Insbesondere gegenüber diesen beiden Ländern wurde ein deutlicher Wanderungsgewinn registriert. Dagegen ist gegenüber der Türkei bereits seit 2006 ein jährlicher Wanderungsverlust festzustellen. Deutlich erhöht im Vergleich zu 2012 hat sich die Zuwanderung aus den südeuropäischen EU-Ländern Italien (+35%) und Spanien (+17%). Seit dem EU-Beitritt zum 1. Juli 2013 ist auch die Zahl der Zuzüge aus Kroatien stark angestiegen (+95%).
Zu- und Fortzüge nach den häufigsten Herkunfts- und Zielländern im Jahr 2013 Polen
197.009
125.399
Rumänien
85.865
135.416
60.651
Italien
27.903 59.323
Bulgarien
38.594
Ungarn
34.751
Spanien
58.993
44.119
20.324
34.728
Griechenland
14.215 33.233 14.810 31.418 32.354
Russische Föderation Vereinigte Staaten
28.093 21.163 26.390 33.644
Serbien Türkei
25.200 12.753 23.041 16.009
Kroatien China
22.644 17.180
Frankreich
18.789
Syrien
1.851 18.724 16.685 18.707 12.296 18.629 20.341 17.923 26.957
Vereinigtes Königreich Indien Österreich Schweiz
14.932 9.940
Slowakei 0
50.000
100.000
150.000 Zuzüge
200.000 Fortzüge
Quelle: Statistisches Bundesamt
4
Migrationsbericht 2013 - Zentrale Ergebnisse
Der Anteil der Frauen ist sowohl bei den Zuzügen (Frauenanteil 40%) als auch bei den Fortzügen (Frauenanteil 38%) geringer als jener der Männer. Einige Länder sind jedoch durch einen überproportional hohen Frauen- bzw. Männeranteil an den Zuzügen gekennzeichnet. Ein hoher Frauenanteil war etwa bei Zuzügen aus Thailand (72%), Weißrussland (68%) und der Ukraine (66%) festzustellen. Ein hoher Männeranteil war u.a. für die Herkunftsländer Pakistan (80%), Slowenien (78%) und Kroatien (72%) zu verzeichnen.
15% aus familiären Gründen nach Deutschland zogen. 9% der Drittstaatsangehörigen erhielten eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Beschäftigung, 14% zogen zum Zweck des Studiums, des Besuchs einer Schule bzw. eines Sprachkurses und zu sonstigen Ausbildungszwecken nach Deutschland. Deutlich angestiegen ist die Zuwanderung aus humanitären Gründen (Anteil 4%), insbesondere durch die Aufnahme von syrischen Staatsangehörigen, sowie die Zahl der ausgestellten Aufenthaltsgestattungen zur Durchführung eines Asylverfahrens (Anteil 19%). Hier spiegelt sich die gestiegene Asylzuwanderung wider.
Die Analyse von Drittstaatsangehörigen nach dem Zweck des Aufenthalts zeigt, dass im Jahr 2013 etwa
Zuzüge von Drittstaatsangehörigen im Jahr 2013 nach ausgewählten Aufenthaltszwecken Gesamtzahl: 362.984 11,6% Studium 01,6% Sprachkurs, Schulbesuch 01,1% Sonstige Ausbildung 09,3% Erwerbstätigkeit
15,4%
Familiäre Gründe
01,3% Niederlassungserlaubnis 02,0% EU-Aufenthaltsrecht 04,1% Humanitäre Gründe 19,0% Aufenthaltsgestattung 05,5% Duldung 29,1% Sonstige* *
Darunter fallen u.a. Personen, die einen Aufenthaltstitel beantragt haben. Quelle: Ausländerzentralregister
5
Migrationsbericht 2013 - Zentrale Ergebnisse
Insgesamt ergab sich im Jahr 2013 ein Wanderungsgewinn zwischen Deutschland und den anderen 27 EU-Staaten (+286.000), der im Vergleich zum Vorjahr erneut angestiegen ist. Der Wanderungssaldo mit den EU-14-Staaten ist weiter angestiegen (+83.000), nachdem dieser im Jahr 2010 erstmals seit 2001 wieder positiv war. Der positive Saldo mit den EU-12-Staaten beträgt wie im Vorjahr +190.000 Menschen. Dabei wurde gegenüber den zum 1. Mai 2004 beigetretenen Staaten (EU-10) ein Wanderungsüberschuss von +115.000 und mit den zum 1. Januar 2007 beigetretenen Staaten (EU-2) von +75.500 registriert.
Eine differenzierte Betrachtung des Migrationsgeschehens nach einzelnen Zuwanderergruppen zeigt folgende Entwicklungen:
Zuwanderung aus anderen EU-Staaten dominiert Migrationsgeschehen Im Jahr 2013 wurden insgesamt 708.000 Zuzüge von Unionsbürgern nach Deutschland registriert. Der Anteil an der Gesamtzuwanderung betrug damit 58%. Die Zahl der Fortzüge von Unionsbürgern im Jahr 2013 betrug 422.000 (53% an der Gesamtabwanderung).
Nettomigration (Wanderungssaldo) von Unionsbürgern (EU-14, EU-10, EU-2, EU-12*, EU insgesamt**) in den Jahren von 2007 bis 2013 350.000 285.614
300.000
250.000 189.519
200.000
150.000 115.050 100.000
82.958
74.469
50.000
0 EU-14
EU-10
EU-2
EU-12
EU insgesamt
-50.000 2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
*
EU-12: Dabei handelt es sich um die zum 1. Mai 2004 der EU beigetretenen Staaten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern (EU-10) sowie die zum 1. Januar 2007 beigetretenen Staaten Bulgarien und Rumänien (EU-2). ** In „EU insgesamt“ für das Jahr 2013 ist Kroatien, dass der EU zum 1. Juli 2013 beigetreten ist, bereits enthalten. Quelle: Statistisches Bundesamt
6
Migrationsbericht 2013 - Zentrale Ergebnisse
Deutschland attraktiv für ausländische Fachkräfte
zugewandert sind, konnten im Jahr 2012 über 27.000 Zuzüge und 2013 24.000 Zuzüge registriert werden.
Nachdem im Wirtschaftskrisenjahr 2009 die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte rückläufig war, konnte bis 2012 ein Wiederanstieg bei den erteilten Aufenthaltstiteln zum Zweck der Erwerbstätigkeit verzeichnet werden. Von 2012 auf 2013 ging die Zahl der Erteilungen von Aufenthaltserlaubnissen an Fachkräfte aus Drittstaaten zwar zurück. Allerdings ist dieser Rückgang überwiegend auf den Beitritt Kroatiens zur EU am 1. Juli 2013 zurückzuführen, da kroatische Staatsangehörige als Unionsbürger nun keine entsprechenden Aufenthaltstitel mehr benötigen. Nachdem 2009 noch etwa 16.000 Fachkräfte bzw. Hochqualifizierte
Unter Berücksichtigung der Arbeitsmigranten, die keine qualifizierte Beschäftigung ausüben, wurden insgesamt etwa 33.600 Aufenthaltserlaubnisse an Drittstaatsangehörige erteilt, die im Jahr 2013 zum Zweck der Erwerbstätigkeit eingereist sind. Fast drei Viertel davon nahmen eine qualifizierte Beschäftigung als Fachkräfte oder Hochqualifizierte auf, wobei sich zeigt, dass der neu eingeführten Blaue Karte EU eine große Bedeutung zukommt. Hauptherkunftsländer waren insbesondere Indien, China, die Vereinigten Staaten und Bosnien-Herzegowina.
Zuwanderung von Fachkräften und Hochqualifizierten aus Drittstaaten von 2009 bis 2013 (Einreise im jeweiligen Berichtsjahr) Erwerbsmigration nach § 18 Abs. 4 AufenthG (qualifizierte Beschäftigung) § 19 AufenthG (Hochqualifizierte)
2009
2010
2011
2012
2013
14.816
17.889
23.912
23.191
17.185
169
219
370
244
27
§ 19a AufenthG i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Bst. a) BeschV (Blaue Karte EU, Regelberufe)
-
-
-
1.387
2.786
§ 19a AufenthG i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Bst. b) oder § 2 Abs. 2 BeschV (Blaue Karte EU, Mangelberufe)
-
-
-
803
1.865
140
211
317
366
444
§ 20 AufenthG (Forscher) § 21 AufenthG (selbständige Tätigkeit) Fachkräfte insgesamt
1.024
1.040
1.347
1.358
1.690
16.149
19.359
25.946
27.349
23.997
Quelle: Ausländerzentralregister
Deutschland auch für ausländische Studierende immer attraktiver Die Zahl der Bildungsausländer, die ihr Studium in Deutschland begannen, ist im Jahr 2012 erneut angestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr wurde eine Zunahme um 8% auf 86.000 Studierende verzeichnet. Damit wurde im Jahr 2013 die bislang höchste Zahl an Studienanfängern verzeichnet, die ihre Hochschulreife im Ausland erworben haben.
Die größte Gruppe der Bildungsausländer, die im Jahr 2013 ihr Studium an einer deutschen Hochschule begonnen haben, bildeten – wie in den letzten Jahren – Studierende mit chinesischer Staatsangehörigkeit. Die zweitstärkste Gruppe stellten Bildungsausländer aus Frankreich dar. Zu den weiteren Hauptherkunftsländern zählten u.a. Spanien, die Vereinigten Staaten und Indien.
7
Migrationsbericht 2013 - Zentrale Ergebnisse
Studienanfänger (Bildungsausländer) nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten 1999 bis 2013 (jeweils Sommersemester und folgendes Wintersemester) Herkunftsland
2000
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
China
3.451
3.818
3.856
4.532
5.151
5.613
6.175
7.312
7.874
9.075
Frankreich
3.136
3.459
3.404
3.205
3.597
3.685
3.784
3.869
4.049
4.315
Spanien
2.422
2.706
2.598
2.626
2.814
3.071
3.474
3.986
4.403
4.289
Vereinigte Staaten
2.268
2.699
2.645
2.738
3.087
3.386
3.951
4.128
4.066
4.128
539
1.104
1.218
1.114
1.187
1.645
2.126
2.302
3.152
4.041
45.652
55.773
53.554
53.759
58.350
60.910
66.413
72.886
79.537
86.170
Indien Insgesamt
Quelle: Statistisches Bundesamt
Starker Anstieg der Asylanträge
Anstieg hielt auch im Jahr 2014 an (+58% im Vergleich zum Vorjahr auf 173.000 Asylerstanträge).
Eine starke Zunahme war bei der Zahl der Asylerstanträge festzustellen. Im Jahr 2013 wurden fast 110.000 Asylerstanträge registriert. Dies entspricht einem Anstieg um 70% im Vergleich zu 2012. Deutschland ist damit in der Europäischen Union der Mitgliedstaat, in dem die meisten Anträge gestellt wurden. Der starke
Hauptherkunftsländer waren die Russische Föderation, Syrien, Serbien und Afghanistan. Innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraumes von 2009 bis 2013 stammten die meisten Asylbewerber aus den Ländern Afghanistan (11%), Serbien (10%) und Irak mit 9%.
Asylantragsteller (Erstanträge) nach den zehn häufigsten Herkunftsländern im Jahr 2013 Gesamtzahl: 109.580 13,6%
Russische Föderation
10,8% Syrien
010,5% Serbien 07,1% Afghanistan 05,7% Mazedonien 04,0% Iran 03,7% Pakistan 03,6% Irak 03,5% Somalia 03,3% Eritrea 34,3% andere Herkunftsländer Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
8
Migrationsbericht 2013 - Zentrale Ergebnisse
Die Schutzquote (alle positiven Entscheidungen nach Art. 16a Abs.1 GG, nach §3 Abs.1 AsylVfG, nach § 4 Abs. 1 AsylVfG und nach §60 Abs.5 und 7 AufenthG) im Jahr 2013 betrug 25%. Überdurchschnittlich hohe Schutzquoten wurden für Asylbewerber aus Syrien (94%), Eritrea (72%), dem Iran (56%), dem Irak (54%), Somalia (49%) und Afghanistan (48%) registriert.
Familiennachzug relativ konstant Im Jahr 2013 wurden 44.300 Visa zum Zweck des Ehegatten- und Familiennachzugs erteilt. Der Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen hält sich seit 2007 auf einem relativ konstanten Niveau, nachdem in den Vorjahren höhere Zahlen zu verzeichnen waren.
Allerdings konnte 2013 ein leichter Wiederanstieg im Vergleich zum Vorjahr festgestellt werden. Dabei ist der Nachzug aus der Türkei eher rückläufig, während etwa beim Familiennachzug aus Indien und China ein Anstieg in diesem Zeitraum verzeichnet wurde.
Spätaussiedlerzuzug auf niedrigem Niveau Im Jahr 2013 konnte erstmals seit 2001 wieder ein Anstieg des Spätaussiedlerzuzugs auf 2.427 Personen verzeichnet werden (+34% im Vergleich zum Vorjahr), nachdem im Jahr 2012 der niedrigste (Spät-)Aussiedlerzuzug seit Beginn der Aussiedleraufnahme im Jahr 1950 registriert wurde.
Erteilte Visa zum Zweck des Ehegatten- und Familiennachzugs nach Deutschland von 1998 bis 2013 90.000 82.838 80.000
85.305
75.888
76.077
70.750 70.000
65.935
62.992
erteilte Visa
60.000
53.213
50.000
50.300 42.756 42.219 40.975 40.843 39.717 40.210
40.000
44.311
30.000 20.000 10.000 0 1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
Ehefrauen zu ausländischen Ehemännern
Ehemänner zu ausländischen Ehefrauen
Ehefrauen zu deutschen Männern
Ehemänner zu deutschen Frauen
Kinder unter 18 Jahren
sonstige Familienangehörige
Quelle: Auswärtiges Amt
9
Migrationsbericht 2013 - Zentrale Ergebnisse
Deutschland im europäischen Vergleich Zielland Nummer eins Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass Deutschland weiterhin ein Hauptzielland von Migration ist und im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten in den
letzten Jahren deutlich an Attraktivität gewonnen hat. Dagegen ist die Zuwanderung nach Spanien, primäres Aufnahmeland in den Jahren von 2006 bis 2008, deutlich rückläufig. Hohe Zuwanderungszahlen haben auch das Vereinigte Königreich, Italien und Frankreich aufzuweisen.
Zu- und Abwanderung (nach UN-Definition*) im Jahr 2012 in ausgewählten Staaten der EU sowie in der Schweiz und Norwegen Deutschland Ver. Königreich Italien
106.216
Frankreich Spanien
321.217 350.772 327.431 288.331 304.053
217.546 275.603 167.266 170.186 149.051 103.881 147.387 74.720 124.566 110.431 110.139 154.435 103.059 51.747 91.557 51.812 69.908 22.693 54.439 89.436 54.409 43.663 34.337 46.106 33.702 22.880 31.278 13.845 20.478 10.442 19.843 41.100 17.476 18.105 15.022 14.378 14.606 51.958 14.103 16.615 13.303 25.163 8.959 12.877 7.111 4.005 5.419 2.003 2.639 6.321
Polen Rumänien Schweiz Belgien Niederlande Griechenland Schweden Österreich Norwegen Irland Dänemark Tschechische Rep. Ungarn Finnland Luxemburg Litauen Zypern Slowenien Portugal Bulgarien Lettland Kroatien Malta Slowakei Estland 0
*
592.175
240.001
100.000
200.000
300.000
400.000
498.040
446.606
500.000
600.000
Zuzüge
Fortzüge
Die UN-Definition grenzt sich durch die (beabsichtigte) Aufenthaltsdauer von mindestens einem Jahr von der Definition in der amtlichen Wanderungsstatistik ab, in der die (beabsichtigte) Aufenthaltsdauer nicht berücksichtigt wird. Damit sind temporäre Formen der Migration in der Regel nicht erfasst, weshalb die Zahlen für Deutschland sowohl für die Zu- als auch für die Fortzüge geringer sind als vorher dargestellt. Quelle: Eurostat (Abfragestand: 26.08.2014)
10
Migrationsbericht 2013 - Zentrale Ergebnisse
Bei einem Vergleich der Zuwanderungszahlen der einzelnen Staaten im Verhältnis zur jeweiligen Bevölkerungsgröße zeigt sich für 2012, dass neben Luxemburg (vor allem Zuzüge von Unionsbürgern), Zypern und die Schweiz relativ hohe Zuzugszahlen pro 1.000 Einwohner zu verzeichnen hatten.
Ein Fünftel der Bevölkerung besitzt einen Migrationshintergrund Das Statistische Bundesamt zählt zu den Personen mit Migrationshintergrund „alle Ausländer und eingebürgerte ehemalige Ausländer, alle nach 1949 als Deutsche auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderte, sowie alle in Deutschland als Deutsche Geborene mit zumindest einem zugewan-
derten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“. Von den 80,6 Millionen Einwohnern in Deutschland im Jahr 2013 hatten etwa 15,9 Millionen Personen und damit ein Fünftel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund (im engeren Sinne). Insgesamt sind etwa 43% der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ausländische Staatsangehörige und 57% Deutsche. Bei Kindern unter zehn Jahren besitzt etwa ein Drittel einen Migrationshintergrund. Zwei Drittel der Personen mit Migrationshintergrund sind selbst zugewandert (erste Generation), während knapp ein Drittel bereits in Deutschland geboren wurde (zweite oder dritte Generation).
Zusammensetzung der Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland im Jahr 2013
34,5% 8,4% 20% Personen mit Migrationshintergrund
80% Personen ohne Migrationshintergrund
Ausländer mit Migrationserfahrung Ausländer ohne Migrationserfahrung
19,5%
(Spät-)Aussiedler und Deutsche mit Migrationserfahrung, aber ohne Einbürgerung
11,9% 2,9% 22,8%
Eingebürgerte mit Migrationserfahrung Eingebürgerte ohne Migrationserfahrung Deutsche ohne Migrationserfahrung (mindestens ein Elternteil zugewandert oder als Ausländer in Deutschland geboren) Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2013
IV. Einwanderungsrecht und –politik in verschiedenen Ländern 1. USA Wer darf in die USA einwandern? Das Zuwanderungsrecht der USA basiert auf dem Immigration and Nationality Act (INA), das seit seinem Inkrafttreten 1952 mehrfach abgeändert wurde. Der INA limitiert die weltweite Zahl der dauerhaften Einwanderer in die USA auf jährlich 675.000. Grundsätzlich wird in den USA Einwanderung aus drei Gründen genehmigt: Für eine Familienzusammenführung, (befristete oder unbefristete) Arbeit oder für Flucht und Asyl. Das Immigration Policy Center, ein mit dem American Immigration Council verbundenes Forschungsinstitut, hat 2010 dazu ein Fact-Sheet erarbeitet, das einen unkomplizierten Überblick gibt. Das us-amerikanische Einwanderungssystem steht seit einigen Jahren in der Kritik, in Zeiten des globalen Wettbewerbs zu altmodisch und unflexibel zu sein. Das Migration Policy Institute weist in einem Bericht auf diese Problematik hin. Eine von der Regierung 2013 vorgestellte Reform des Zuwanderungsrechts konnte bisher nicht umgesetzt werden. Präsident Barack Obama hat im November 2014 eine Reihe von Notverordnungen (executive actions) angekündigt, durch die ein Großteil der rund elf Millionen irregulären Einwanderer, die in den USA leben, einen Aufenthaltsstatus bekommen sollen. Wie viele Einwanderer leben in den USA? Die Antwort auf diese Frage ist zunächst einmal Definitionssache, denn oft herrscht Uneinigkeit darüber, ob bestimmte Gruppen, wie zum Beispiel illegal in die USA Eingereiste, als Einwanderer gezählt werden dürfen. Definiert man "Immigrant” so weit reichend wie möglich und schließt Eingebürgerte, legal in den USA lebende Ausländer, Flüchtlinge, Asylsuchende, solche mit temporären Visen und illegale Einwanderer mit ein, dann leben aktuellen Schätzungen (2013) zufolge rund 41 Millionen Einwanderer in den USA. Diese machen etwa 13 Prozent der amerikanischen Gesamtbevölkerung aus. Thema Nummer eins: Eingewanderte ohne legalen Status Schätzungen zufolge leben etwa elf Millionen Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in den USA. Drei Viertel von ihnen stammen aus Mexiko. Die Debatte um "Migration" in USMedien dreht sich in der Regel um diese sogenannten "illegal immigrants" und anders als in Deutschland haben Änderungen des Einwanderungsrechts überwiegend mit dieser Personengruppe zu tun.
Das Immigration Policy Center, ein mit dem American Immigration Council verbundenes Forschungsinstitut, hat 2013 ein Merkblatt zum Thema herausgegeben: "Legalize Who?: A Portrait of the 11 Million Unauthorized Immigrants in the United States". Es widerlegt die oft übliche Darstellung von unbefugten Einwanderern als junge, ungebildete Männer. Die Daten zeigen zudem, dass mehr als die Hälfte von ihnen schon seit über einem Jahrzehnt in den USA lebt. Präsident Barack Obama hat im November 2014 eine Reihe von Notverordnungen (executive actions) angekündigt, durch die ein Großteil der rund elf Millionen irregulären Einwanderer, die in den USA leben, einen Aufenthaltsstatus bekommen sollen. Wie steht es um die Integration in der zweiten Generation? Auch in den USA wird versucht, anhand der Lebensumstände der Nachkommen von Einwanderern die Erfolge von Integration zu messen. Im Bericht "Second-Generation Americans: A Portrait of the American Children of Immigrants" beispielsweise analysiert das Pew Research Center Daten aus dem "U.S. Census Bureau" bzw. Umfragen aus den letzten Jahren. Die Ergebnisse zeigen, dass es den meisten der rund 20 Millionen erwachsenen Kindern mit Migrationshintergrund in den Vereinigten Staaten im Vergleich zu ihren eingewanderten Eltern deutlich besser geht. In der Regel verfügen sie über höhere Einkommen, einen Hochschulabschluss und eigene Immobilien. In diesen Bereichen haben sich ihre Werte dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung stark angenähert. Der 130-seitige Bericht von 2013 ist nur auf Englisch erhältlich. (Quelle: Mediendienst Integration)
2. Kanada Punktesystem und Multikulturalismus Kanadas Einwanderungssystem gilt im internationalen Vergleich als fortschrittlich, dabei ist es aber seit Jahren eine offene Baustelle. Wesentliches Element ist das bereits 1967 eingeführte Punktesystem, mit dem die Einwanderung von Hochqualifizierten und Fachkräften gesteuert wird. Auschlaggebend dafür, ob Menschen eine Einreise- und Arbeitserlaubnis erhalten, sind demnach ihre
Ausbildung, Arbeitserfahrung, Sprachkenntnisse und ihr Alter.
Eine Besonderheit Kanadas: Seine Bevölkerung bewertet Einwanderung grundsätzlich als positiv, wie das Migration Policy Institute (MPI) in einem Paper zum Thema herausarbeitet. Als Grund für den Erfolg der Einwanderungspolitik wird das kanadische Selbstverständnis angeführt: Einwanderung wird als Teil der nationalen Identität betrachtet. Schon seit 1971 orientiert sich die kanadische Migrations- und Integrationspolitik am Multikulturalismus.
Der kanadische Staat unterstützt Einwanderer aktiv beim Integrationsprozess. Die Bundesbehörde "Citizenship and Immigration Canada" (CIC) bietet verschiedene Programme an: Einwanderer können zum Beispiel kostenlos Sprachkurse in Englisch oder Französisch belegen. Für den Einstieg in das Berufsleben wurde das Canadian Immigrant Integration Program (CIIP) entwickelt. Einwanderer sollen damit bereits vor der Einreise auf ihr Leben in Kanada vorbereitet werden. Derzeit sind ein Großteil der Einwanderer Menschen, die bereits einen Arbeitsvertrag haben, beziehungsweise Hochqualifizierte, die durch das "Express-Entry Programm" eingereist sind. Wiederholt musste die kanadische Regierung das Punktesystem jedoch reformieren, um es an die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts anzupassen. Nachdem in den 80er Jahren ein rasanter Anstieg der Einwanderung verzeichnet wurde und es zu einer hohen Einwandererkonzentration im Niedriglohnsektor kam, wurde das System so reformiert, das vor allem junge, hochqualifizierte Einwanderer angelockt wurden. Dies führte wiederum zu einem Personalmangel in wenig qualifizierten Berufen, so dass das Einwanderungssystem zu Beginn des Jahres 2015 erneut reformiert wurde. Nunmehr soll vor allem das Arbeitsplatzangebot das entscheidende Kriterium sein, ob ein Einreiswilliger einwandern darf oder nicht. Wie viele Einwanderer leben in Kanada? Zum Zeitpunkt der jüngsten Erhebung (2011) lebten 33,5 Millionen Menschen in Kanada – davon waren rund 21 Prozent Einwanderer, also im Ausland geborene Personen. Das geht aus den Zahlen des National Household Survey von 2011 hervor. Unter allen G8-Staaten hat Kanada damit den höchsten Anteil im Ausland geborener Einwohner. Seit 2006 wandern im Schnitt 250.000 Menschen jährlich dauerhaft nach Kanada ein. Während ein Großteil der Einwanderer lange Zeit aus Amerika und Westeuropa kam, liegen die Herkunftsländer inzwischen überwiegend im asiatischen Raum. 2013 kamen die meisten Migranten aus dem Iran (34.000), Indien (33.000) und von den Philippinen (29.000). Eine hohe Einbürgerungsquote Kanadas Einbürgerungsquote ist im Vergleich zu anderen Ländern hoch: Bereits 2006 lag sie bei rund 80 Prozent. Entsprechend haben dem Zensus 2011 zufolge nur sechs Prozent der kanadischen Bevölkerung einen ausländischen Pass. Zum Vergleich: In den USA ist die Einbürgerungsquote etwa halb so hoch. In Deutschland ist die ohnehin niedrige Einbürgerungsquote in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken: zwischen 1994 und 2012 von vier auf knapp über ein Prozent. Die Mehrzahl der Einwanderer in Kanada erhält den Titel eines Permanent Resident, der Grundlage für den Erwerb der Staatsbürgerschaft ist. Permanent Residents können in ganz Kanada arbeiten und studieren, sie haben Zugang zum Gesundheitssystem und Anspruch auf Sozialleistungen. Kinder von Permanent Residents, die in Kanada geboren werden, können die kanadische Staatsbürgerschaft beantragen.
Herausforderungen am Arbeitsmarkt Auch wenn das kanadische Einwanderungssystem als vorbildlich gilt, steht das Land vor der Herausforderung, Neuzuwanderern die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Einen Hinweis darauf geben die zunehemden Ungleichheiten im Einkommensniveau, wie das Migration Policy Institute in einem Paper darstellt. Neu Eingewanderte verdienen nicht nur weniger, sondern brauchen im Vergleich zu früher auch länger, um den Abstand im Einkommen zur einheimischen Bevölkerung aufzuholen. Die kanadische Beratungsfirma Miner & Miner hat kürzlich berechnet, dass es im Durchschnitt zehn Jahre dauert, bis ein Einwanderer die gleichen Berufschancen hat wie ein Einheimischer. Dieses Problem haben auch auch hochqualifizierte Einwanderer, die nicht selten in Berufen arbeiten, für die sie überqualifiziert sind. Das Punktesystem garantiert also nicht automatisch eine „gewinnbringende“ Migration, da die ständige Anpassung und Steuerung permanent den realen Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt hinterherhinkt. Die Politik muss also Regelungen finden, um ausgebildeten Einwanderern Arbeitsplätze zu vermitteln, die ihrer Qualifikation entsprechen. (Quelle: Mediendienst Integration)
3. Australien Punktesystem mit hohen Hürden Die australische Wirtschaft und Gesellschaft ist auf Einwanderung angewiesen, um genügend Fachkräfte und Hilfsarbeiter einsetzen zu können. Australien steuert Einwanderung über ein Punktesystem. Wer einwandern will, braucht nach den Vorgaben der Einwanderungsbehörde 120 Punkte, die in den Kriterien Alter, Sprachkenntnisse, Qualifikation und vor allem Beruf vergeben werden. Die Regierung legt eine Liste der Berufe auf, die besonders gefragt sind. Wer in einem solchen Beruf qualifiziert ist, bekommt mehr Punkte und kann schneller einreisen. Extrapunkte gibt es außerdem für jene, die ein Studium abgelegt oder Doktortitel in Australien erworben haben und Menschen, die Verwandte in Australien haben. Wer die 120 Punkte nicht erreicht, hat allerdings wenig Chancen einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Einzige Ausnahme ist ein konkretes Angebot oder ein Arbeitsvertrag mit einem australischen Arbeitgeber. Eine heterogene Gesellschaft Dank der stetig hohen Einwanderung seit dem zweiten Weltkrieg ist Australiens Bevölkerung auf heute 22 Millionen Menschen angewachsen. Waren die meisten Australier ursprünglich englisch-irischen Ursprungs, ist die Gesellschaft heute zunehmend multikulturell geprägt. Knapp ein Viertel der Einwanderer ist nicht in Australien geboren, 21,5% sprechen zu Hause eine andere Sprache als Englisch. Die meisten Einwanderer kommen heute aus einem südoder ostasiatischen Land wie China, Indien und Indonesien. Traditionell bestärkt die Regierung Einwanderer darin, rasch die australische Staatsbürgerschaft anzunehmen, auch wenn vor allem konservative Regierungen das Staatsbürgerschaftsrecht restriktiver gestaltet haben. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)
Bürokratie und Abschiebung Trotz der hohen Zahl an Einwanderung steht die australische Einwanderungspolitik in der Kritik. Die zuständige Einwanderungsbehörde arbeitet bürokratisch und stand bereits mehrmals im Fokus der Öffentlichkeit, da sie Menschen auch nach vielen Jahren Aufenthalt im Land abschieben wollte oder abgeschoben hat. Das sich die Einwanderungsverfahren aufgrund ständiger Gesetzesänderungen und unzähliger Formulare teils Jahrzehnte hinziehen können, gibt es immer wieder viele Fälle, die unter humanitären Gesichtspunkten nicht vertretbar sind. Weltweit hat die neue konservative Regierung Kritik auf sich gezogen, da sie mit einer abschreckenden Werbekampagne Flüchtlinge von der Überfahrt übers Meer nach Australien abhalten will. Schon vorherige Regierungen richteten Internierungslager für illegal Eingewanderte ein. Mit der aktuellen Kampagne wird diese Politik noch weiter verschärft und konterkariert das Bild eines offenen Einwanderungslandes.
4. Frankreich Ein „klassisches“ Einwanderungsland Vor allem durch seine koloniale Geschichte ist Frankreich ein klassisches Einwanderungsland. Dies lässt sich daran ablesen, dass auch heute noch viele Einwanderer aus ehemaligen Kolonien kommen. Ab dem zweiten Weltkrieg kamen zudem Einwanderer aus Spanien, Portugal und Italien hinzu, die in den „Trentes Glorieuses“, also in den Zeiten des Wirtschaftswunders, halfen, die französische Wirtschaft mit aufzubauen. Anders als in Deutschland gelang es den Migranten sehr viel einfacher und schneller, die Staatsbürgerschaft zu erhalten, da Frankreich traditionell die Einbürgerung weniger an Verwandschafts- und Familienfragen koppelt, sondern das Bodenrecht (ius soli) anwendet. Einwanderer aus dem heutigen Algerien wiederum besaßen bereits die französische Staatsbürgerschaft, da Algerien Teil Frankreichs war. Das Staatsbürgerschaftsrecht wurde ab den 80er Jahren sowohl durch linke als auch durch rechte Regierungen restriktiver ausgestaltet. Multikulturalismus und Krise Der Erfolg der Équipe Tricolore, der Fußballnationalmannschaft Frankreichs 1998 bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land versinnbildlichte den Traum eines multikulturellen Frankreichs, in der die Integration Menschen verschiedener Kulturkreise unter dem Dach des republikanischen Staatsverständnisses und der Grundwerte der französischen Gesellschaft funktioniert. Spätestens seit den Protesten in den französischen Banlieues 2005 ist dieser Traum geplatzt. Es zeigte sich, dass vor allem Jugendliche aus den französischen Vorstädten sehr viel schlechtere Lebens- und Arbeitschancen haben als andere Jugendliche – ein Umstand, der, anders als in Deutschland, nichts mit mangelnden Sprachkenntnissen zu tun hat. Der damalige Innenminister und spätere Staatspräsident Sarkozy verschärfte die Situation noch durch unbedachte Äußerungen. Die konservativen Regierungen gestalteten die Einwanderungs- und Integrationspolitik zunehmend restriktiver, beispielsweise durch ein Burkaverbot, eine verschärfte Abschiebepolitik und die Erschwerung des Familiennachzugs.
Besondere Kritik erfuhr Sarkozys Politik in Umgang mit Roma in Frankreich. Die illegalen RomaSiedlungen in Frankreich wurden niedergerissen und Roma massenweise des Landes verwiesen. Dieses Vorgehen führte zu scharfer Kritik vonseiten der Europäische Kommission, die die Grundwerte der Freizügigkeit verletzt sah. François Hollande versprach im Wahlkampf 2012 einen Kurswechsel in der Einwanderungspolitik. Tatsächlich setzt die sozialistische Regierung andere Akzente, beispielsweise durch die Einweihung eines neuen Museums für die Geschichte der Immigration, um die Rolle der Immigranten in Frankreich zu würdigen. Andere progressive Vorhaben wie die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Ausländer, die seit mehreren Jahren in Frankreich leben, wurden mit Blick auf die Wahlerfolge des rechtsradikalen Front Nationals nicht umgesetzt.
9.2.2015
Kanadisches Punktesystem als Vorbild? | Artikel | Mediendienst Integration
V. Mediendienst Integration - Kanada als Vorbild?
DEBATTE UM EINWANDERUNGSGESETZ
23.01.2015
Kanadisches Punktesystem als Vorbild? Kanada gilt als Musterland in Sachen Einwanderungspolitik: Migration wird nach einem Punktesystem geregelt, Multikulturalität und Weltoffentheit gehören zum gesellschaftlichen Leitbild. In Deutschland fordern derzeit Vertreter verschiedener Parteien ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Modell. Experten erklären jedoch, dass ein Punktesystem nicht mehr zeitgemäß ist. Auch sei fraglich, ob sich damit eine "gewinnbringende" Migration erzielen lässt. Das politische Spektrum derjenigen, die sich derzeit in Deutschland für ein Einwanderungsgesetz mit einem Punktesystem nach kanadischem Vorbild stark machen, ist erstaunlich. "Wir fordern ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild", schreibt etwa die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) in den Leitlinien ihres Einwanderer-Denkmal in Vancouver, Kanada. Foto: Programms. Das Gleiche fordern die picture alliance "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) in ihrem "Positionspapier". Aber auch Vertreter von FDP, SPD, Grünen und CDU sehen das "kanadische Modell" als mögliche Grundlage für ein neues Einwanderungsgesetz. Was ist aber dieses "kanadische Modell"? Um das zu verstehen, muss man sich zunächst Kanadas geographische und demographische Besonderheit bewusst machen: In Kanada leben etwa 35 Millionen Menschen – nicht einmal die Hälfte der deutschen Bevölkerung – auf einer Fläche, die zehnmal so groß ist wie die Bundesrepublik. Migranten waren in Kanada schon immer begehrt. Dem Environics Umfrageinstitut zufolge sagen rund 80 Prozent der Kanadier, Migration sei für das Land lebenswichtig. Den Hauptgrund dafür sehen Politik- und Wirtschaftswissenschaftler jedoch nicht in den geographischen Besonderheiten des Landes, sondern in dessen effizientem Auslesesystem für Migranten. Seit 1967 gilt in Kanada ein Punktesystem, das Einwanderungswillige nach Ausbildung, Arbeitserfahrung, Sprachkenntnissen und Alter klassifiziert: Wer 67 von 100 Punkten bekommt, kann einwandern. Damit sorgt der Staat dafür, dass die meisten Einwanderer von vornherein gute Erfolgschancen haben. Nach dem Motto: Erfolgreiche Migranten lassen sich besser integrieren, was wiederum zu einer höheren Akzeptanz ihnen gegenüber führt.
Einwanderungssystem als offene Baustelle Könnte das kanadische Modell also ein Vorbild für ein derzeit von so vielen Politikern gefordertes deutsches Einwanderungsgesetz sein? Das lässt sich so einfach nicht beantworten. Denn das kanadische System ist weniger ein "Modell" als eine offene Baustelle. Wiederholt musste die kanadische Regierung die Auswahlkriterien umkrempeln, um sie an die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts anzupassen. Der rasante Anstieg der Einwanderungszahlen aus Ostasien in den 80er Jahren führte zum Beispiel zu einer erhöhten Einwanderer-Konzentration im Niedriglohnsektor. Die Regierung reagierte darauf 2002 mit einer Reform des Punktesystems, die junge, http://mediendienst-integration.de/artikel/punktesystem-kanada-einwanderungsgesetz.html
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Kanadisches Punktesystem als Vorbild? | Artikel | Mediendienst Integration
hochqualifizierte Zuwanderer bevorzugte. Diese neue Ausrichtung führte jedoch zu einem Personalmangel in wenig qualifizierten Berufen wie zum Beispiel in der Bauindustrie. Daraufhin richtete die Regierung ein Programm für zeitweilige Beschäftigung ein, das sich zum Teil als Locksystem für Billiglöhner entpuppte und nun dringend reformiert werden muss.
Das Punktesystem hinkt dem Arbeitsmarkt hinterher Für den Politikwissenschaftler Dietrich Thränhardt liegt das Problem vor allem darin, dass das kanadische Punktesystem mit den typischen Nachteilen der Planwirtschaft behaftet ist: "Je nachdem, wie sich der Markt entwickelt, suchen Unternehmer unterschiedliche Fachkräfte. Bis sich das System an die neuen Umstände angepasst hat, hat sich der Arbeitsmarkt erneut verändert und die Spezialisten, die ins Land geholt wurden, stehen vor verschlossenen Türen." Wenn sie weiterhin im Land bleiben wollen, sind viele hochqualifizierte Einwanderer also gezwungen, eine Arbeit anzunehmen, die ihrer Qualifikation bei weitem nicht entspricht. Wie Zeit Online kürzlich berichtete, sind der Taxi fahrende Akademiker aus Indien oder der Oberarzt aus Pakistan, der im Krankenhaus die Böden schrubbt, auch in kanadischen Städten zu finden. 2001 arbeitete mehr als ein Drittel der Einwanderer mit einem akademischen Abschluss in unqualifizierten Berufen. Diese Menschen verdienen (und produzieren) also viel weniger als sie eigentlich könnten. Trotz verschiedener Reformen waren 2010 weiterhin mehr als zweimal so viele Neuzuwanderer im Niedriglohnsektor tätig als Einheimische. Auch sind viele Zuwanderer in Kanada nach wie vor arbeitslos. Die kanadische Beratungsfirma Miner & Miner hat kürzlich berechnet, dass es im Durchschnitt zehn Jahre dauert, bis ein Einwanderer die gleichen Berufschancen hat wie ein Einheimischer. Ein Punktesystem ist also keine Garantie für eine "gewinnbringende" Migration. Sollte Deutschland ein derartiges System einführen, könnte das für den Arbeitsmarkt sogar Nachteile haben. Denn schon jetzt beobachtet man hierzulande eine zunehmende Verschwendung von qualifizierter Einwanderung – den sogenannten "brain waste": Fast jeder vierte Migrant in Deutschland geht nach Angaben der OECD einem Beruf nach, für den er überqualifiziert ist. Die Idee, ein Land ausschließlich für qualifizierte Menschen zu öffnen, reicht also nicht, um eine nachhaltige Migrationspolitik zu sichern. Wie der Wirtschaftswissenschaftler Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung kürzlich schrieb, muss die Politik zunächst die Bedingungen schaffen, damit Einwanderer ihr Potential hierzulande nutzen können. Denn eine gute Arbeitsintegration führt zu höheren fiskalischen Erträgen und somit zu einem stärkeren Wirtschaftswachstum. "Durch Bildung und sozialen Aufstieg vitalisieren sich Nationen", bestätitgt Dieter Oberndörfer in einem Gastbeitrag für den MEDIENDIENST. Die Zukunftschance der neuen Einwanderungsgesellschaft Deutschlands besteht laut Oberndörfer darin, das in der Gesellschaft vorhandene "reiche Humankapital zu erschließen und zu entwickeln". Von Fabio Ghelli
http://mediendienst-integration.de/artikel/punktesystem-kanada-einwanderungsgesetz.html
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+++ mehr Arbeitsmigranten in Kanada +++ wachsende Lücken auf dem deutschen Arbeitsmarkt +++ in Zukunft höherer Bedarf an Hochqualifizierten +++ nur ein Achtel aller Zuwanderer aus Drittstaaten kommt aus Erwerbsgründen nach Deutschland +++ Integration beginnt schon vor der Abreise aus dem Heimatlan individuelle Förderung von Schülern in Kanada +++ Zuwanderung kann Sozialsysteme stärken +++ Punktesystem bringt Hochqualifizierte ins Land +++ die Erfolge der zweiten Generation +++ Anerkennung ausländischer Abschlüsse weiterhin schwierig +++ mangelnde Sprachkenntnisse größte Hürde der Integration
Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unabhängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und globaler demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut wurde 2000 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die Aufgabe, das Bewusstsein für den demografischen Wandel zu schärfen, nachhaltige Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die Politik einzubringen und Konzepte zur Lösung demografischer und entwicklungspolitischer Probleme zu erarbeiten. Das Berlin-Institut erstellt Studien, Diskussions- und Hintergrundpapiere, bereitet wissenschaftliche Informationen für den politischen Entscheidungsprozess auf und betreibt ein Online-Handbuch zum Thema Bevölkerung. Weitere Informationen, wie auch die Möglichkeit, den kostenlosen regelmäßigen OnlineNewsletter „Demos“ zu abonnieren, finden Sie unter www.berlin-institut.org.
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Impressum Originalausgabe November 2012 © Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertung bleibt vorbehalten. Herausgegeben vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Schillerstraße 59 10627 Berlin Telefon: (030) 22 32 48 45 Telefax: (030) 22 32 48 46 E-Mail: [emailprotected] www.berlin-institut.org Das Berlin-Institut finden sie auch bei Facebook und Twitter (@berlin_institut). Autoren: Stephan Sievert, Manuel Slupina, Reiner Klingholz Lektorat: Tanja Kiziak Gestaltung: Jörg Scholz, Köln (www.traktorimnetz) Druck: Gebrüder Kopp GmbH & Co. KG, Köln Das Berlin-Institut dankt der Robert Bosch Stiftung für die Unterstützung dieses Forschungsprojektes. ISBN: 978-3-9814679-5-6
Die Autoren Stephan Sievert, 1982, Masterstudium an der Universität Maastricht in International Economic Studies mit dem Schwerpunkt Social Economics. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Manuel Slupina, 1979, Studium zur Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialgeographie. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Dr. Reiner Klingholz, 1953, Promotion im Fachbereich Chemie an der Universität Hamburg, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.
INHALT VORWORT: ZWEI LÄNDER – ZWEI GRUNDVERSCHIEDENE VORSTELLUNGEN VON ZUWANDERUNG ............................................................................4 DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE ..............................................................................................6 1. WER MACHT EIGENTLICH KÜNFTIG DIE ARBEIT? ..........................................................8 2. KANADA – EIN KLASSISCHES EINWANDERUNGSLAND ............................................... 15 3. DEUTSCHLAND – EINWANDERUNGSLAND WIDER WILLEN..........................................20 4. DIE ZUWANDERERBEVÖLKERUNG IN DEUTSCHLAND UND KANADA ...........................27 5. DAS KANADISCHE SYSTEM IN DER PRAXIS.................................................................34 5.1 DIE AUSWAHL DER ZUWANDERER..........................................................................35 5.2 DIE INTEGRATION DER NEUANKÖMMLINGE ..........................................................47 5.3 DIE INTEGRATION DER ZWEITEN GENERATION.....................................................58 6. WAS TUN? ................................................................................................................... 66 QUELLEN ..........................................................................................................................70
ZWEI LÄNDER – ZWEI GRUNDVERSCHIEDENE VORSTELLUNGEN VON ZUWANDERUNG Gemessen an der Zahl der im Land lebenden Zuwanderer gehören Deutschland und Kanada zu den zehn größten Einwanderungsländern der Welt. Mit rund 11 Millionen selbst Zugewanderten rangiert Deutschland im globalen Vergleich auf Platz 3 hinter den USA und Russland, während Kanada mit über 7 Millionen Zugewanderten auf Rang 5 kommt. Da in Kanada aber weniger als halb so viele Menschen leben wie in Deutschland, liegt der Anteil der im Ausland geborenen Bevölkerung dort mit 21 Prozent deutlich höher als hierzulande mit 13 Prozent.1 Diese hohen Zuwanderungszahlen haben Kanada und Deutschland allerdings auf sehr verschiedene Art und Weise erreicht, und noch heute unterscheidet sich die Zuwanderungspolitik der beiden Länder deutlich.
Als traditionelles Einwanderungsland ist die Geschichte Kanadas unmittelbar mit der Besiedlung vormals leerer Landstrichte durch europäische Siedler verwoben. Ob in der Landwirtschaft vor dem Zweiten Weltkrieg oder in der Industrie danach – Zuwanderer
Zuwanderungsmagnete Sowohl Deutschland als auch Kanada zählen zu zehn größten Zuwanderungsländern weltweit. Relativ zur Gesamtbevölkerung liegt die Zahl der Zuwanderer in Kanada jedoch deutlich höher als hierzulande. Zahl der im Land lebenden direkt Zugewanderten in Millionen 0 USA Russland Deutschland Saudi-Arabien Kanada Großbritannien Spanien Frankreich Australien Indien
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sollten dauerhaft bleiben und beim langfristigen Aufbau der Wirtschaftskraft mithelfen. In Deutschland dagegen sahen Politik und Öffentlichkeit die Gastarbeiter der 1950er, -60er und -70er Jahre überwiegend als vorübergehende Arbeitskräfte an.
5
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15
7,3 7,2
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40
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20
prozentualer Anteil der direkt Zugewanderten an der Gesamtbevölkerung
7,0 6,9 6,7 5,5 5,4
Top Ten der Länder mit der höchsten Zahl an direkt Zugewanderten sowie deren prozentualer Anteil an der Gesamtbevölkerung, 2010 (Datengrundlage: Weltbank, Migration and Remittances Factbook 2011, Washington DC)
Diese unterschiedlichen Auffassungen wirken bis in die Gegenwart hinein. So zitieren Kanadier, wenn sie über die jährlichen Wanderungsbewegungen sprechen, meist die Zahl der vergebenen permanenten Aufenthaltsgenehmigungen. Unter Zuwanderung verstehen sie, dass eine Person nicht nur ihren Wohnort ins Land verlegt, sondern vielmehr dass sie die Absicht hat, „ein“-zuwandern, also dauerhaft zu bleiben. In Deutschland hingegen gilt die jährliche Differenz aus Zu- und Fortzügen (der Wanderungssaldo) als wichtigste Messgröße für Migration.
Neue Bürger braucht das Land Auch die Einbürgerungspolitik spiegelt diese Unterschiede wider. So können Zuwanderer in Kanada bereits nach drei Jahren Staatsbürger werden, während Deutschland einen Mindestaufenthalt von sieben Jahren verlangt. Und trotz der Liberalisierungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 2000 ist in Deutschland noch immer der Gedanke verbreitet, dass die Nationalität über das Blut, nicht über den Geburtsort vergeben wird. So werden in Kanada geborene Kinder automatisch kanadische Staatsbürger, selbst wenn ihre Eltern beide Ausländer sind. In Deutschland ist dies nur möglich, wenn mindestens ein Elternteil bereits seit acht Jahren im Land lebt und im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist.2
Historische Unterschiede dürfen allerdings nicht den Blick darauf versperren, dass Änderungen des eingeschlagenen Weges jederzeit möglich sind. Am besten verdeutlicht dies der Wandel in der kanadischen Zuwanderungspolitik Mitte der 1960er Jahre, die sich damals von der Idee verabschiedete, Neubürger seien vorwiegend aus hellhäutigen europäischen Ländern zu gewinnen. Seither lautet die Nachricht der kanadischen Politik an Menschen aus anderen Nationen: „Es zählt nicht, wo du herkommst, sondern wo du hin willst.“ Diesen Wandel verfestigte die Regierung Trudeau im Jahr 1971 mit ihrem multikulturellen Ansatz, der die Verschiedenheit nicht nur akzeptierte, sondern auch zur Grundlage der Politik machte: Die Zuwanderer sollten volle Mitglieder der Gesellschaft, also „echte Kanadier“ mit Pass und allen Rechten und Pflichten werden, ohne dass sie dafür die Identität ihrer Herkunft aufgeben mussten. Auch in Deutschland hat sich der Fokus in der Zuwanderungspolitik in den letzten Jahren gewandelt. Die Bundesregierung versucht vermehrt, die Zuwanderung unter wirtschaftlichen und demografischen Gesichtspunkten zu steuern und Hochqualifizierte anzuziehen. Doch noch immer sind die Regelungen zum Zuzug von Arbeitskräften äußerst unübersichtlich und teilweise sehr restriktiv. Obwohl die berüchtigte Anwerbestoppausnahmeverordnung inzwischen endgültig abgeschafft ist, wurden neue Zuwanderungskanäle wie etwa die Blaue Karte EU nur zögerlich geöffnet.
Landes zu steigern. So zielt die Politik darauf ab, vorwiegend solche Migranten ins Land zu holen, denen die Integration in die Gesellschaft aufgrund ihrer Qualifikationen und Kenntnisse auf lange Sicht am leichtesten fallen wird. Kurzfristige Kosten sollen so weit wie möglich vermieden werden, indem Zuwanderer nachweisen müssen, dass sie über genügend finanzielle Mittel verfügen, um für einen gewissen Zeitraum den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie ohne staatliche Unterstützung sichern zu können. Sowohl in Deutschland als auch in Kanada hat die Zahl der Gesetze, Verordnungen und Erlasse zu migrationspolitischen Themen in den letzten Jahren drastisch zugenommen. Dies verdeutlicht die wachsende Bedeutung von Zuwanderung für diese und andere entwickelte Länder, aber auch die Tatsache, dass sich Herausforderungen an die Politik schnell ändern und ein hohes Maß an Flexibilität gefragt ist. Gerade weil Kanada so häufig die Ausgestaltung seiner Politik verändert hat, ohne dabei das generelle Paradigma von hoher Zuwanderung und Multikulturalismus aufzugeben, eignet es sich hervorragend als Lehrbeispiel. Das flexible und permanent lernende kanadische Modell zeigt, wie Fehler beim Aufbau einer gesteuerten Zuwanderungspolitik vermieden beziehungsweise abgestellt und Hindernisse überwunden werden können. Und wie Zuwanderung zu einem größtmöglichen Nutzen für beide Parteien werden kann. Berlin und Stuttgart, im November 2012
Anders als in Deutschland ist das Thema Zuwanderung in Kanada nicht ideologisch oder parteipolitisch aufgeladen und eignet sich somit nicht als Instrument, um vor Wahlen auf Stimmenfang zu gehen. Es besteht ein Konsens darüber, dass eine jährliche Zuwanderung von etwa einem Prozent der Bevölkerung gewünscht ist. Das Zuwanderungsmodell ist grundsätzlich darauf ausgerichtet, langfristig das Humankapital des
Reiner Klingholz Direktor Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Olaf Hahn Bereichsdirektor Bildung, Gesellschaft und Kultur Robert Bosch Stiftung
Berlin-Institut 5
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE Warum wir Zuwanderung brauchen Seit Jahrzehnten niedrige Geburtenraten und ein immer längeres Leben bewirken, dass die deutsche Gesellschaft schrumpft und altert. Selbst wenn unterm Strich jährlich 100.000 Zuwanderer kämen, würde die Bevölkerungszahl bis 2050 um etwa zwölf Millionen Menschen sinken. Ließen sich 200.000 Menschen pro Jahr gewinnen, läge der Rückgang immer noch bei achteinhalb Millionen. Weil in den kommenden zwei Jahrzehnten die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer das Rentenalter erreichen, wird die nach heutiger Vorstellung erwerbsfähige Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren bis 2050 um bis zu 15 Millionen Menschen kleiner. Vor allem Nachwuchskräfte und junge Menschen im Ausbildungsalter werden rar. Selbst wenn es gelänge, deutlich mehr Frauen oder ältere Personen in Lohn und Brot zu bringen, gering Qualifizierte mit besserer Bildung zu versorgen und dadurch die Arbeitslosigkeit weiter abzusenken, kann dies den Rückgang der Erwerbstätigenzahl nur geringfügig abfedern.
6 Nach Punkten vorn
Weshalb Deutschland mehr aus Nicht-EU-Staaten anwerben muss Die in Deutschland notwendigen Fachkräfte können langfristig weder aus dem eigenen Land noch aus anderen EU-Staaten rekrutiert werden. Denn viele EU-Länder bekommen es bald schon ebenfalls mit dem demografischen Wandel zu tun, wodurch die Zahl der jungen, potenziellen Auswanderer deutlich zurückgehen wird. Zudem werden EU-Zuwanderer nur vergleichsweise selten dauerhafte Mitbürger. Die meisten kehren nach einiger Zeit in ihre Heimatländer zurück. Der Strukturwandel hin zu einer Wissensökonomie führt zu einem erhöhten Bedarf an Hochqualifizierten. Bislang gelingt es Deutschland im Vergleich zu anderen Zuwanderungsländern kaum, kluge Köpfe ins Land zu holen.
Die kanadische Anwerbepraxis hat zur Folge, dass die Zuwanderer im Mittel höhere Bildungsabschlüsse haben als die einheimische Bevölkerung. Zwar hat sich auch in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit der Anteil der Zuwanderer mit Hochschulabschluss erhöht. Im Gegensatz zu Kanada haben in Deutschland jedoch überproportional viele Zuwanderer keinen Berufsabschluss. Zwar tun sich Zuwanderer auch in Kanada auf dem Arbeitsmarkt schwerer als Einheimische, doch fallen die Unterschiede bei der Erwerbstätigkeit hier deutlich geringer aus als in Deutschland. Kinder in Kanada schaffen häufiger den Bildungsaufstieg als ihre Altersgenossen in Deutschland. Da gerade Zuwandererkinder oft ihre Eltern übertreffen, weiten sich die Unterschiede beim Integrationserfolg zwischen Kanada und Deutschland in der zweiten Generation sogar noch aus.
Warum das Zuwanderungsmodell Kanada als Vorbild dienen kann Kanada verfügt durch seine lange Geschichte als Einwanderungsland sowohl in der Zuwanderungs- als auch in der Integrationspolitik über einen riesigen Erfahrungsschatz. Es gewinnt durch Zuwanderung jedes Jahr knapp ein Prozent seiner Bevölkerung hinzu – einen Großteil davon als Arbeitsmigranten. Kanada hat seine Politik immer wieder neu auf die sich verändernden wirtschaftlichen Bedürfnisse ausgerichtet und gilt heute als führender Vertreter der humankapitalorientierten Zuwanderungssteuerung. Diese folgt dem Ziel, Zuwanderer so auszuwählen, dass sie langfristig den größten ökonomischen Nutzen für das Land bieten.
Welche Instrumente sich in Kanada beim Anwerben von Arbeitskräften bewährt haben Mit einem Punktesystem holt Kanada Hochqualifizierte ins Land, ohne dass diese bei ihrer Einreise über ein bestehendes Jobangebot verfügen. Die Zuwanderer werden vorwiegend nach ihren Fähigkeiten und Kenntnissen sowie ihrem Alter ausgewählt. Besonders die Sprachkenntnisse haben einen signifikanten Einfluss auf den Integrationserfolg. Als eher kontraproduktiv hat sich die
DAS WICHTIGSTE
Auswahl bestimmter Berufsgruppen erwiesen. Trotzdem wurde dem Punktesystem erst jüngst eine Liste mit sogenannten Mangelberufen vorgeschaltet, da die kanadische Regierung die hohe Zahl an Bewerbungen nicht mehr handhaben konnte.
die theoretische und praktische Kenntnislücken von Zuwanderern zu schließen versuchen. Häufig werden Arbeitgeber in den Integrationsprozess der Neuankömmlinge mit einbezogen – etwa indem sie ihre Angestellten für Mentorenprogramme abstellen.
Weil Kanada neben Akademikern auch Arbeitskräfte mit geringeren Qualifikationen benötigt, die vom Punktesystem nicht erreicht werden können, etwa Pflegekräfte oder Handwerker, stellt das Land weitere Zuwanderungskanäle zur Verfügung. Sie gewähren Zuwanderern mit bestehendem Jobangebot zunächst einen zeitlich befristeten Aufenthalt. Die Tür zum Daueraufenthalt steht später jedoch nur für einige von ihnen offen.
Kinder von Zuwanderern profitieren in Kanada vom durchschnittlich hohen Bildungsniveau ihrer Eltern. Sie treffen aber auch auf ein generell durchlässiges Schulsystem, mit welchem Kanada versucht, benachteiligte Schüler(-gruppen) individuell zu fördern. Zuwandererkinder genießen häufig zusätzlichen Sprachunterricht, um bestehende Defizite auszugleichen.
Seit einigen Jahren können die Provinzen mit ihren speziellen Bedürfnissen an Arbeitskräften einen Teil ihrer Einwanderer unabhängig von der Regierung in Ottawa auswählen. Hierdurch ist es Kanada gelungen, die Zuwanderer gleichmäßiger über das riesige Territorium zu verteilen.
Was Deutschland tun sollte
Wie Kanada erfolgreich integriert Da viele Zuwanderer ohne konkretes Jobangebot nach Kanada kommen, unternimmt der Staat große Bemühungen, ihnen den Weg in die Erwerbstätigkeit zu ebnen. Mit Vorbereitungskursen auf das Leben in Kanada beginnen diese Anstrengungen bereits im Heimatland der Zuwanderer. Zu den Maßnahmen zählen auch sogenannte Bridging Programs,
Deutschland muss seine Bemühungen erhöhen, sich nach außen als attraktives Wanderungsziel zu präsentieren. Gleichzeitig müssen Politiker sich auch gegenüber der eigenen Bevölkerung klarer zu Einwanderung bekennen und deren potenziellen Nutzen unterstreichen. Denn gerade die Zuwanderung Hochqualifizierter kann zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.
reagieren kann und einen zeitlich zunächst befristeten Aufenthalt gewährt. Dieser sollte jedoch immer die Perspektive bieten, bei erfolgreicher Integration dauerhaft im Land zu bleiben. Um Zuwanderer dabei zu unterstützen, möglichst schnell eine ihren Qualifikationen entsprechende Beschäftigung zu finden, müssen staatliche und nicht-staatliche Akteure effektive Starthilfen anbieten. Dies sollte schon im Heimatland mit Informations- und Orientierungskursen beginnen und sich in Deutschland unter anderem mit Qualifizierungs- und Mentorenprogrammen fortsetzen. Damit Zuwandererkinder möglichst schnell ihren Sprachrückstand gegenüber einheimischen Kindern aufholen, sollten sie frühzeitig gezielt gefördert werden. Von Anfang an sollten Kita und Schule darauf achten, die Eltern in die Bildungsarbeit mit einzubeziehen. Da eine individuelle Förderung benachteiligter Kinder und Jugendlicher zusätzliche Kosten verursacht, sollten besonders betroffene Kitas und Schulen anhand von Sozialdaten identifiziert und entsprechend mit Fachpersonal unterstützt werden. Hiervon würden auch einheimische Kinder aus sozial schwächeren Familien profitieren.
Deutschland muss Steuerungsinstrumente für eine gezielte Zuwanderung von Fachkräften schaffen. Hierfür bieten sich zwei Säulen an: Erstens ein am Humankapital orientiertes Punktesystem, das die langfristigen, demografisch bedingten Lücken auf dem Arbeitsmarkt schließt und Zuwanderern direkt eine Niederlassungserlaubnis aushändigt. Und zweitens eine arbeitsmarktgesteuerte Säule, die auf kurzfristig auftretende Engpässe
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WER MACHT EIGENTLICH KÜNFTIG DIE ARBEIT?
Deutschland konnte in den letzten Jahrzehnten ein stetiges, wenngleich abnehmendes Wirtschaftswachstum verzeichnen. Der Wohlstand nahm zu – auch weil die Bevölkerung im Erwerbsalter immer größer wurde und die Unternehmen und Betriebe kontinuierlich auf mehr Arbeitskräfte zurückgreifen konnten. Dieser Trend geht mittlerweile zu Ende, denn es wachsen immer mehr Menschen ins Rentenalter, während immer weniger Junge ins Erwerbsalter aufsteigen (siehe Kasten). Das sich ausdünnende Arbeitskräfteangebot könnte künftig zum beschränkenden Faktor für Wachstum werden, etwa weil jüngere Erwerbsfähige fehlen, um offene Stellen zu besetzen, oder weil aufgrund des Mangels an geeigneten Arbeitskräften Investitionen ausbleiben. Bisher deutet wenig darauf hin, dass es in Deutschland einen flächendeckenden Arbeitskräftemangel gibt.3 Erste Engpässe zeichnen sich aber bereits in einigen Berufsgruppen und Regionen ab. So reicht die jährliche Zahl der Absolventen ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge aktuell gerade noch aus, um ältere, aus dem Erwerbsleben ausscheidende Ingenieure zu ersetzen. Ein Zusatzbedarf, der aufgrund konjunktureller Entwicklungen oder des Strukturwandels
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entsteht, kann nicht mehr abgedeckt werden.4 Insgesamt dürften nach Berechnungen der Prognos AG im Jahr 2030 über fünf Millionen Arbeitskräfte fehlen – davon alleine 2,2 Millionen Hochschulabsolventen. Der Mangel an hochqualifizierten Erwerbstätigen entsteht auch durch die fortschreitende Entwicklung hin zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft. Die Nachfrage nach Erwerbstätigen mit Hochschulbildung dürfte weiterhin überproportional steigen – und das in fast allen Tätigkeitsbereichen.5 Derzeit haben vor allem kleinere und mittelständische Unternehmen Schwierigkeiten, geeignete Arbeitskräfte zu finden. Liegen sie zudem in peripheren Regionen, mindert das ihre Attraktivität für wanderungswillige Arbeitskräfte aus anderen Teilen des Landes.6 Befragungen unter mittelständischen Unternehmen haben ergeben, dass sich schon
heute 73 Prozent von ihnen schwer damit tun, neue und ausreichend qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Bei 15 Prozent führte der Mangel an geeigneten Bewerbern bereits zu erheblichen Umsatzeinbußen.7 Neben der Frage, ob Unternehmen künftig noch geeignete Arbeitskräfte finden, beeinflusst der demografische Wandel auch maßgeblich die Zukunftsfähigkeit der Sozialsysteme. Denn weniger Erwerbsfähige bedeuten auch weniger potenzielle Beitragszahler. Letztere stehen einer wachsenden Zahl an älteren Menschen gegenüber, die selbst wenig oder gar nichts mehr einzahlen, aber mitversorgt werden sollen. Daraus entsteht ein Anpassungsdruck, der besonders in der gesetzlichen Rentenversicherung drastisch erkennbar wird. Entweder steigen künftig die Beiträge oder der Rentenanspruch muss deutlich abgesenkt werden. Nach der aktuellen Gesetzgebung wird es zu beidem kommen.8 Umso wichtiger ist es, dass der Kreis der Erwerbstätigen, die die Sozialsysteme mit ihren Beiträgen finanzieren, so groß wie möglich bleibt.
Deutschland altert schneller
Im Jahr 2002 lebten mit rund 82,5 Millionen so viele Menschen wie niemals zuvor in Deutschland. Doch mit Ausnahme des Jahres 2011 schrumpft die Bevölkerung seitdem. Vorerst zwar noch moderat – bis Anfang 2012 ging die Bevölkerungszahl auf etwas über 81,8 Millionen zurück –, in den kommenden Jahrzehnten jedoch immer schneller. So dürften bis zur Mitte des Jahrhunderts rund zwölf Millionen Menschen weniger in Deutschland leben als heute.9
Bis Mitte des Jahrhunderts dürfte Deutschland rund zwölf Millionen Einwohner verlieren – selbst wenn mit einberechnet wird, dass jedes Jahr im Saldo 100.000 Menschen zuwandern. Besonders deutlich werden die Zahl sowie der prozentuale Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter zurückgehen. Zugleich werden mehr Menschen 65 Jahre oder älter sein. Die Relation zwischen den Altersgruppen verändert sich in Folge dessen deutlich. Kommen derzeit auf 100 Erwerbsfähige rund 32 Menschen im heutigen Rentenalter, dürften es im Jahr 2050 mit knapp 60 fast doppelt so viele sein. In Kanada altert die Bevölkerung zwar ebenfalls, der Prozess ist jedoch deutlich weniger weit fortgeschritten als hierzulande (siehe nächste Seite). Dies liegt auch daran, dass die durchschnittliche Kinderzahl je Frau in Kanada mit 1,63 (2010) höher liegt als in Deutschland (1,36 im Jahr 2011).*, 10
Triebfeder der negativen Bevölkerungsentwicklung sind die stark rückläufigen Geburtenzahlen. Erblickten Mitte der 1960er Jahre in Deutschland jährlich noch über 1,3 Millionen Kinder das Licht der Welt, halbierte sich die Zahl bis 2011 auf knapp über 660.000. Im Jahr 1972 starben erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs mehr Menschen als geboren wurden. Seitdem herrscht in Deutschland
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Bevölkerungsstruktur Deutschlands und Kanadas nach Altersgruppen, 2010, 2025 und 2050, in Prozent der Gesamtbevölkerung, Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in rot (Datengrundlage: Statistisches Bundesamt11; Statistics Canada12)
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* Die Gesamtfruchtbarkeitsrate wird hier vereinfacht als durchschnittliche Kinderzahl je Frau bezeichnet. Sie ist ein hypothetisches Maß, das anhand von Entwicklungen in einem Kalenderjahr Rückschlüsse auf das Fertilitätsverhalten von Frauenjahrgängen zieht. Ein besseres Maß ist die Kohortenfertilitätsrate, die die tatsächlich erreichte durchschnittliche Kinderzahl von Frauen beschreibt. Allerdings ist sie erst verfügbar, wenn die Frauen ihre Familienplanung beendet haben, also etwa 45 Jahre alt sind.
Berlin-Institut 9
KAPITEL 1
Abschied vom Bevölkerungswachstum
durchgehend ein Sterbeüberschuss.13 Dass die Bevölkerung dennoch bis ins Jahr 2002 weiter wuchs, lag einzig und allein an Zuwanderung. Da die Kluft zwischen Geburten und Sterbefällen weiter wächst, werden Zuwanderer in Zukunft den natürlichen Schwund jedoch nicht mehr ausgleichen können. Die Bevölkerung in Deutschland wird aber nicht nur schrumpfen, sie wird auch altern. Die Zahl der über 64-Jährigen wird gegen den allgemeinen Bevölkerungstrend steigen – von 16,9 Millionen im Jahr 2012 auf fast 23 Millionen 2050. Zur Mitte des Jahrhunderts dürfte damit jeder Dritte in Deutschland lebende Mensch dieser Altersgruppe angehören. Jeder Siebte ist dann über 80 Jahre alt. Gleichzeitig wird bis 2050 die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren von knapp 54 auf unter 39 Millionen abnehmen. Mit Beginn des nächsten Jahrzehnts wird dieser massive Rückgang der potenziellen Erwerbsbevölkerung an Fahrt gewinnen. Die ersten
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stark besetzten Jahrgänge der Babyboomer erreichen dann das derzeitige gesetzliche Renteneintrittsalter – der Beginn einer beachtlichen Verrentungswelle. Denn die heute zwischen 45 und 55 Jahre alten Erwerbsfähigen machen mit fast 14 Millionen über ein Viertel des aktuellen Arbeitskräftepotenzials aus. Ihren Wegfall werden die stetig kleiner werdenden, nachrückenden Kohorten nicht kompensieren können. Besonders in den Jahren von 2025 bis 2035 wird das Arbeitskräftepotenzial deutlich zurückgehen. Jedes Jahr dürfte die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter dann um mehr als 500.000 Personen abnehmen.14
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Um eine nachhaltige Entwicklung des Arbeitskräfteangebotes zu ermöglichen, wird sich Deutschland also verstärkt um Arbeitskräfte aus dem Ausland bemühen müssen.17 Das Niveau der Nettozuwande-
rung von jährlich rund 100.000 Menschen im vergangenen Jahrzehnt müsste hierfür deutlich ansteigen. Bei einer Verdopplung der jährlichen Wanderungsgewinne auf 200.000 und gleichzeitig steigenden Erwerbsquoten
Wie aber können wir dem drohenden Verlust an Arbeitskraft und den damit verbundenen negativen volkswirtschaftlichen Konsequenzen entgegenwirken? Eine Möglichkeit besteht darin, mehr bereits im Land lebende Personen Aktivierung bisher ungenutzter Potenziale wird nicht reichen für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Von den Wie viele Menschen in den nächsten Jahrzehnten dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, wird maßgeblich über 53 Millionen Menschen im erwerbsfähivon der Entwicklung der Erwerbsquoten und von der Zuwanderung abhängen. Sollte die Erwerbsquote auf dem gen Alter stehen aktuell etwa zwölf Millionen gegenwärtigen Niveau verharren und Deutschland in den nächsten Jahren keine Wanderungsgewinne verzeichMenschen dem Arbeitsmarkt gar nicht zur nen, läge das Arbeitskräfteangebot im Jahr 2050 bei unter 27 Millionen Menschen. Steigende Erwerbsquoten Verfügung.15 Neben Schülern, Auszubildenden und eine durchschnittliche Nettozuwanderung von 200.000 Menschen pro Jahr könnten den Rückgang jedoch und Studenten sind dies vor allem Frauen und auf 34,6 Millionen Erwerbspersonen abschwächen. ältere Personen. Gerade die beiden letztgein Millionen nannten Gruppen stellen für den Arbeitsmarkt 42 eine Art „stille Reserve“ dar, deren Aktivierung das Schrumpfen des Arbeitskräftepoten- 41 40 zials abfedern kann. 39
Zwar dürfte sich der Trend der zunehmenden Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen in den nächsten Jahrzehnten fortsetzen – die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und das höhere gesetzliche Renteneintrittsalter tragen hierzu wesentlich bei. Doch wird dies den beschleunigten Rückgang des Arbeitskräftepotenzials nicht aufhalten können. Selbst dann nicht, wenn Frauen bis 2050 bei der Erwerbsbeteiligung mit Männern gleichziehen, und 75 Prozent der Personen zwischen 55 und 64 Jahren eine Beschäftigung finden. Der Rückgang der Erwerbspersonen würde dadurch bis 2050 lediglich um knapp 2,2 Millionen Menschen abgemildert. Gegenüber 2011 würde das Arbeitskräfteangebot ohne Zuwanderung trotzdem um mehr als 13 Millionen Menschen abnehmen.*
38 37 36 35 34 33 32 31 30 29 28 27
Wanderungsgewinne von 200.000 pro Jahr und steigende Erwerbsquoten Wanderungsgewinne von 100.000 pro Jahr und steigende Erwerbsquoten keine Wanderungsgewinne und steigende Erwerbsquoten keine Wanderungsgewinne und konstante Erwerbsquoten
26 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2 02 2 202 3 2024 202 5 2026 2 02 7 2028 2029 2030 2031 2 03 2 2033 2034 2035 2036 2 037 2038 2039 2040 20 41 2042 2043 2044 2045 2046 2047 2048 2049 2050
Genau dies geschieht seit einigen Jahren: Waren zur Jahrtausendwende gerade einmal 63 Prozent aller Frauen im erwerbsfähigen Alter beschäftigt oder auf der Suche nach Arbeit, kletterte dieser Anteil bis 2011 auf knapp 72 Prozent. Noch deutlicher stieg im gleichen Zeitraum die Erwerbsquote der 55- bis 64-Jährigen – von knapp 43 auf 64 Prozent.16 Aktuell sind in Deutschland knapp 42 Millionen Menschen beschäftigt oder auf der Suche nach Arbeit.
Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials nach verschiedenen Szenarien bis 2050 (Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Statistisches Bundesamt18)
* Eigene Berechnungen auf Grundlage von Statistisches Bundesamt (2009). Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Wiesbaden. Annahmen: Eine konstante Fertilitätsrate von 1,4 Kindern pro Frau, eine steigende Lebenserwartung auf 85,0 Jahre bei neugeborenen Jungen im Jahr 2060 und auf 89,2 Jahren bei Mädchen gleichen Jahrgangs. Ein jährlicher Wanderungsüberschuss von 100.000 Menschen gilt ab dem Jahr 2014 – ein jährlicher Wanderungsüberschuss von 200.000 Menschen ab dem Jahr 2020. Bei konstanten Erwerbsquoten wird für Frauen und Männer aller Altersgruppen angenommen, dass diese bis 2050 unverändert auf dem Niveau von 2011 bleiben. Bei steigenden Erwerbsquoten wird zum einen davon ausgegangen, dass Frauen im Alter zwischen 25 und 54 Jahren im Jahr 2050 eine Erwerbsquote von 93,1 Prozent haben und damit mit ihren männlichen Altersgenossen gleichziehen. Zum Anderen wird mit einem Anstieg der Altenerwerbsquote der 55- bis 64-Jährigen auf 75 Prozent gerechnet. Die Anstiege erfolgen gleichmäßig über den gesamten Zeitraum.
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KAPITEL 1
Stille Reserve und Unterstützung aus dem Ausland
stünden dem Arbeitsmarkt im Jahr 2050 rund 34,6 Millionen Menschen zur Verfügung. Der Rückgang des Arbeitskräfteangebotes ließe sich also auf rund sieben Millionen Menschen begrenzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch die Bevölkerung Deutschlands in diesem Zeitraum um acht Millionen Menschen zurückginge.19
Was sind eigentlich Hochqualifizierte? Deutschland will Hochqualifizierte anwerben. Doch welche Gruppe von Zuwanderern versteckt sich genau hinter diesem Begriff? Objektiv klären lässt sich dies nicht. Denn wen Öffentlichkeit und Politik als hochqualifiziert wahrnehmen, ändert sich mitunter relativ schnell. So koppelte das Zuwanderungsgesetz 2005 den Begriff an das in Deutschland erzielte Gehalt – damals 85.500 Euro im Jahr. Mit den neuen Regelungen zur Blauen Karte EU gelten bestimmte Berufsgruppen inzwischen bereits als hochqualifiziert wenn sie ein jährliches Einkommen von 34.900 Euro erzielen. In dieser Studie soll die Frage, ob jemand hochqualifiziert ist, nicht nach Gehalts- sondern nach Bildungskriterien bemessen werden. Einzige zwingende Voraussetzung für die Bezeichnung Hochqualifizierter soll hierbei ein Hochschulabschluss sein.
Die Berechnungen zeigen, dass selbst deutliche Steigerungen der Erwerbsquoten und des Wanderungssaldos den demografisch bedingten Rückgang an Erwerbspersonen
Wie aber lassen sich Hochqualifizierte von der ebenfalls international begehrten Gruppe der Fachkräfte abgrenzen? Schließlich ist der an der Universität ausgebildete Ingenieur in Deutschland der Inbegriff einer gesuchten Fachkraft – gleichzeitig ist er nach unserer Definition aber auch ein Hochqualifizierter. Einzige Voraussetzung für die Bezeichnung Fachkraft soll hier sein, dass die Person mindestens über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt – sie kann auch einen Hochschulabschluss besitzen. Hochqualifizierte sind also immer auch Fachkräfte. Die Gruppe der Fachkräfte umfasst folglich ein breites Spektrum an Berufen – von der Pflegekraft bis hin zum erwähnten Ingenieur. Sie lässt sich grob in hochqualifizierte Fachkräfte (jene mit Hochschulabschluss) und gering und durchschnittlich qualifizierte Fachkräfte (jene mit einer Berufsausbildung) unterteilen.
Gegensätzliche Entwicklungen Während Deutschlands Bevölkerungszahl in Zukunft sinken wird, dürfte Kanada weiter wachsen – von heute 35 Millionen auf 49 Millionen Einwohner im Jahr 2050. Einen Großteil des jährlichen Wachstums verdankt Kanada schon heute seinen Zuwanderern. In Zukunft werden sie sogar die einzige Quelle für Bevölkerungszuwächse sein, weil Frauen auch dort im Mittel weniger als 2,1 Kinder bekommen.
Bevölkerungszahl in Millionen 90 80
Bevölkerungszahl in Kanada und Deutschland, 1972 bis 2050 (Projektionen ab 2012 für Deutschland, ab 2013 für Kanada)
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(Datengrundlage: Statistisches Bundesamt20)
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nicht verhindern können. Entscheidend ist aber nicht nur die reine Anzahl an Erwerbspersonen, sondern auch, dass diese einen Job finden. Zwar dürfte die sinkende Zahl an Erwerbspersonen die Aussichten der Arbeitssuchenden generell verbessern. Doch es ist keinesfalls gesagt, dass deswegen Vollbeschäftigung erreicht wird. Denn die Nachfrage am Arbeitsmarkt dürfte sich weiter in Richtung höher qualifizierter Erwerbspersonen verschieben. Menschen ohne berufliche Bildung werden zukünftig eher größere Schwierigkeiten haben, Arbeit zu finden. Deshalb ist durchaus möglich, dass künftig Fachkräftemangel und Arbeitslosigkeit gleichzeitig bestehen. Schon heute lässt sich erkennen, dass einige Gruppen mehr unter Arbeitslosigkeit leiden als andere. Dies gilt vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund, die häufig
Mehr als heute dürfte künftig die Qualifikation über den Erfolg am Arbeitsmarkt entscheiden. Zuwanderer, deren Fähigkeiten den Bedürfnissen am Arbeitsmarkt entsprechen, werden die besten Jobaussichten haben und damit am ehesten den bevorstehenden Arbeits- und Fachkräftemangel lindern können.
Mehr Zuwanderung sichert Arbeitsplätze und die Sozialsysteme Viele Menschen befürchten, dass mehr Zuwanderung zu Lohndumping führt und einheimische Arbeitskräfte aus dem Markt drängt. Ein niedrigeres Gehalt und eine höhere Arbeitslosigkeit unter Einheimischen wären die Folge. Meta-Analysen zu Zuwanderungserfahrungen verschiedener Länder zeigen jedoch, dass diese Befürchtungen in der Vergangenheit größtenteils unbegründet waren. Selbst kurzfristig mussten einheimische Arbeitskräfte nicht mit wesentlichen Lohneinbußen oder dem Verlust des Arbeitsplatzes rechnen – auf lange Sicht könnten sie sogar von einer verstärkten Zuwanderung profitieren.22 Die deutsche Zuwanderungspolitik hatte seit dem Anwerbestopp von 1973 das Bestreben, den heimischen Arbeitsmarkt vor ausländischen Arbeitskräften weitgehend abzuschotten. Einzelne Ausnahmen vom Anwerbestopp
Vorbild Kanada Wegen der hohen Dichte an sozialstaatlichen Leistungen und der vergleichsweise geringen Einkommensungleichheit ziehen Kanada und Deutschland mehr gering qualifizierte Zuwanderer an als etwa die USA. Um auch Hochqualifizierte für das Land zu gewinnen, muss von staatlicher Seite aktiv um sie geworben werden. Kanada tut dies bereits seit mehreren Jahrzehnten. Deutschland hingegen verfolgte lange Zeit eine sehr passive Zuwanderungspolitik.
Staatliche Zuwanderungspolitik Keine oder begrenzt Gesteuerte und auf gesteuerte Hochqualifizierte Zuwanderungspolitik ausgerichtete Zuwanderungspolitik Allgemeine Anreize durch Wirtschaftsund Sozialpolitik
Niedrige sozialstaatliche Regulierung Hohe sozialstaatliche Regulierung
Kanada
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(Eigene Darstellung auf Grundlage von: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration23)
erfolgten ad-hoc. Modellrechnungen zum deutschen Arbeitsmarkt zeigen jedoch, dass der Preis einer Politik ohne Weitblick hoch ist. Gerade die Zuwanderung junger und hochqualifizierter Arbeitskräfte dürfte demnach langfristig die Arbeitslosigkeit in Deutschland verringern und bei einheimischen Arbeitskräften zu Lohnsteigerungen führen. Denn mit steigender Zahl an qualifizierten Beschäftigten wächst die Nachfrage nach weiteren Arbeitskräften – auch nach gering Qualifizierten. Je höher dabei die Qualifikation der Zuwanderer ist, desto stärker ist auch die positive Wirkung auf den Arbeitsmarkt.24 Eine weitere häufig geäußerte Befürchtung ist die der „Zuwanderung in die Sozialsysteme“. Demnach beanspruchen Zuwanderer mehr Geld aus staatlichen Leistungen als sie selbst in Form von Steuern und Sozialabgaben einzahlen. Die Wirklichkeit zeigt jedoch ein anderes Bild: Trotz höherer Arbeitslosigkeit ist der Finanzierungsbeitrag der ausländischen Bevölkerung positiv. So überstiegen
Mitte des letzten Jahrzehnts die jährlich geleisteten Steuern und Abgaben jedes Ausländers (nicht zwingend jedoch jeder Person mit Migrationshintergrund) in Deutschland die Höhe der empfangenen Transferleistungen um durchschnittlich 2.000 Euro. Bei damals 7,2 Millionen Ausländern führte dies zu einem Überschuss von rund 14 Milliarden Euro. Dieser Überschuss ist allerdings auch darauf zurückzuführen, dass die ausländische Bevölkerung eine sehr günstige Altersstruktur aufweist.25 Durch ihre fortschreitende Alterung dürfte sie deshalb in Zukunft stärker als Kostenfaktor ins Gewicht fallen. Umso wichtiger wird es sein, Zuwanderer durch höhere Qualifikationen und eine verbesserte Integration noch stärker in den Arbeitsmarkt einzubinden. Unter diesen Voraussetzungen ließen sich die Gewinne für die öffentlichen Finanzen sogar noch deutlich steigern.26
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KAPITEL 1
Defizite bei der schulischen und beruflichen Bildung aufweisen. Nur knapp 53 Prozent der 15- bis 64-jährigen Frauen mit Migrationshintergrund sind erwerbstätig. Sie liegen damit mehr als 14 Prozentpunkte hinter jenen ohne Migrationshintergrund zurück. Kaum besser schneiden die Männer ab. Mit knapp 68 Prozent liegt ihre Erwerbsbeteiligung rund neun Prozentpunkte unter der einheimischer Männer. Gleichzeitig sind Menschen mit Migrationshintergrund mit rund 13 Prozent doppelt so häufig arbeitslos.21
Von Erfahrungen aus dem Ausland profitieren Wie aber wird Deutschland zukünftig mehr junge und gut qualifizierte Menschen anziehen können? Und welche Maßnahmen versprechen eine besonders reibungslose Integration der Zuwanderer und ihrer Kinder in den Arbeitsmarkt? Ein Blick auf traditionelle Einwanderungsländer könnte darauf eine Antwort geben. Länder wie Australien und Kanada betreiben seit längerem eine aktive Zuwanderungspolitik. Gerade in den letzten Jahren spielt die Alterung der Bevölkerungen auch dort eine immer größere Rolle in der Gestaltung dieser Politik. Zudem gelten sie im Wettbewerb um die besten Köpfe als sehr erfolgreich. Besonders Kanada eignet sich zum Vergleich mit Deutschland. Beide Länder verfügen über hohe Sozialstandards, welche auch Zuwanderer anziehen, die ob ihrer Qualifikationen nur geringe Jobaussichten haben. Länder mit hoher Einkommensungleichheit und geringer Arbeitsmarktregulierung, wie etwa die USA, ziehen dagegen vornehmlich solche Migranten an, die davon ausgehen, dass sie auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sein werden. Da Kanada und Deutschland von diesem Auswahlprinzip nicht profitieren, müssen sie durch eine gezielte Zuwanderungspolitik ihren Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften decken.27
Kanada war eines der ersten Länder, das eine aktive Zuwanderungspolitik entwickelte. Anfänglich verfolgte das flächenmäßig zweitgrößte Land der Erde damit das Ziel, sein weitgehend leeres Territorium zu bevölkern und die riesigen Ackerflächen zu nutzen. Nach zahlreichen Reformen und Neuausrichtungen versucht die kanadische Regierung inzwischen, möglichst gut qualifizierte Fachkräfte anzuwerben, die der heimischen Wirtschaft beim Sprung in die Wissensgesellschaft helfen. Sie bedient sich dafür eines Punktesystems, welches Zuwanderer aufgrund ihrer Qualifikationen, Fähigkeiten und ihres Alters auswählt. Damit unterscheidet sich Kanada stark von Deutschland, wo die Einreise ohne Arbeitsvertrag nur in sehr
begrenztem Maße möglich ist. Außerdem hat Kanada bereits frühzeitig erkannt, dass für den Erfolg der Zuwanderer auch eine aktive Integrationspolitik nötig ist. Dank dieser breiten Erfahrungen verspricht eine nähere Betrachtung der kanadischen Politik reichhaltige Erkenntnisse. Doch wo genau liegen die Unterschiede zwischen der deutschen und der kanadischen Zuwanderungs- und Integrationspolitik? Und wie erfolgreich sind die beiden Länder mit ihren Bemühungen? Lassen sich besonders wirksame Maßnahmen und Programme identifizieren, die ein etwaiges Gefälle zwischen den Ländern erklären können? Mit Beantwortung dieser Fragen soll geklärt werden, in wie weit Deutschland sich bei einer Neuausrichtung seiner Zuwanderungspolitik am kanadischen Modell orientieren sollte.
Zwei Länder im Überblick Deutschland
Kanada
Bevölkerung in Millionen, 2012
81,8
34,9
Prognostizierte Bevölkerung in Millionen, 2050
69,4
48,6
Jährliches Bevölkerungswachstum in Prozent, Mittelwert 2002 – 2011
– 0,1
+ 1,0
Anteil der Personen zwischen 15 und 64 Jahren in Prozent, 2012
66,1
68,9
Prognostizierter Anteil der Personen zwischen 15 und 64 Jahren in Prozent, 2050
55,6
59,8
Zahl der im Land lebenden direkt Zugewanderten in Millionen, 2010
10,8
7,2
Anteil der im Land lebenden direkt Zugewanderten in Prozent, 2010
13,1
21,2
Jährlicher Zuwanderungsgewinn je 1.000 Einwohner, Mittelwert 2007 – 2011
0,9
(Datengrundlage: Statistisches Bundesamt, Statistics Canada, OECD, Vereinte Nationen) * In Kanada beziehen sich die Daten auf den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30. Juni des Folgejahres, während ihnen in Deutschland Kalenderjahre zu Grunde liegen.
14 Nach Punkten vorn
7,6*
„Eine europäische Nation auf amerikanischem Grund“ – so oder so ähnlich hätten wohl viele Kanadier ihr Land bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein beschrieben. Denn allein zwischen 1896 und 1914 waren mehr als drei Millionen Menschen in das junge Kanada gekommen, um beim Aufbau der Wirtschaft zu helfen. Etwa die Hälfte von ihnen waren Briten, doch auch Deutsche, Ukrainer und viele andere Europäer überquerten zu Hunderttausenden den Atlantik.28 Beschäftigung fanden die Neuankömmlinge vor allem in der Landwirtschaft im weiten Westen des Landes. Infolge des Zustroms an Arbeitskräften wuchs die Bevölkerung damals um durchschnittlich 2,3 Prozent im Jahr – ein Wert, den heute Entwicklungsländer wie Ghana oder Nigeria erreichen.29 Von Beginn an betrachteten Kanadier Zuwanderung einerseits als ein Mittel zur ökonomischen Entwicklung des Landes, andererseits aber auch als einen Weg, eine kanadische Nation auf dem weitgehend leeren Territorium aufzubauen. Zuwanderer erhielten daher in aller Regel eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung mit einer klaren Einbürgerungsperspektive, temporär beschäftigte Ausländer – sogenannte migrant workers – gab es nur wenige. Beim diesem nationbuilding verfolgte die Regierung lange Zeit
die Strategie von White Canada: Zuwanderer sollten möglichst aus Großbritannien, Frankreich, den Vereinigten Staaten oder anderen europäischen Ländern kommen. Angehörigen anderer Nationalitäten, vor allem Chinesen und Indern, erschwerte die Regierung die Einreise dagegen.30 Dies änderte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst nicht. Obwohl die Weltwirtschaftskrise Ressentiments gegenüber Zuwanderung in der Bevölkerung hinterlassen hatte, entschied sich die Regierung dazu, den Weg der Landesentwicklung über Zuwanderung weiterzugehen. Anders als vor den Kriegen war es nun allerdings die von hohen Zöllen geschützte Industrie des Landes, die durch die Einwanderer auch international konkurrenzfähig gemacht werden sollte.31 Die Zuwanderung ebbte erst ab, als Europa sich Ende der 1950er Jahre langsam von den Kriegsfolgen erholte. Gut qualifizierte Menschen, die vormals bereitwillig den Atlantik überquert hatten, fanden immer leichter ein Auskommen in der Heimat. Gleichzeitig ließ die Dynamik der kanadischen Wirtschaft
nach, und die Arbeitslosigkeit stieg. Vor allem gering Qualifizierte, die einen immer größeren Teil der Einwanderer stellten, verloren häufig ihren Job. Höher qualifizierte Kanadier wiederum wanderten in immer größeren Zahlen in die Vereinigten Staaten ab.32 Um das auf Zuwanderung beruhende Wachstumsmodell nicht zu gefährden, war Kanada daher gezwungen, auch andere Staaten als Quellländer für Zuwanderung in Betracht zu ziehen.
Von White Canada zum Punktesystem Ab 1962 wählte Kanada seine Zuwanderer schließlich nicht mehr nach deren Herkunft aus – vor allem die Qualifikation sollte entscheiden. Neben innenpolitischen Motiven haben nach Ansicht vieler Beobachter auch außenpolitische Ambitionen bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt. Denn Kanada wollte als politischer Akteur auf der Weltbühne wahrgenommen werden, ein Unterfangen, das vor dem Hintergrund international aufkommender Anti-Rassismus-Stimmung nur
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KAPITEL 2
KANADA – EIN 22.1KLASSISCHES EINWANDERUNGSLAND
schwerlich mit einer offen diskriminierenden Zuwanderungspolitik vereinbar gewesen wäre.33
100
Asien löst Europa ab
90
Im Jahr 1960 kamen fast 90 Prozent aller Zuwanderer in Kanada aus Europa oder den USA. Dies änderte sich mit der Neuausrichtung der Zuwanderungspolitik im Jahr 1962 jedoch schnell. Vor allem Asiaten strömten in immer größeren Zahlen nach Kanada – sie stellen inzwischen etwa 60 Prozent aller Neuankömmlinge. Der Anteil der Europäer ist dagegen auf knapp 15 Prozent gesunken.
80 70 60 50
Prozentualer Anteil verschiedener Herkunftsgruppen an allen Zuwanderern in Kanada, 1960 bis 2010 (Datengrundlage: Statistics Canada38)
40 30 20
Asien USA Andere Afrika Süd- und Zentralamerika
2010
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1990
1980
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Die öffentliche Propaganda einer bikulturellen Nation bestehend aus Engländern und Franzosen war mit der raschen ethnischen Durchmischung Kanadas bald nicht mehr vereinbar. Die Idee eines melting pot, also eines Schmelztiegels, wie die USA ihre Gesellschaft definierten, fand in Kanada wenig Anklang – Im ersten Jahrzehnt des Punktesystems kaauch weil die frankophone Minderheit ihren men die meisten Zuwanderer weiterhin aus Sonderstatus nicht verlieren wollte. Obschon Großbritannien, doch auch Vietnam, Indien, bei der frankophonen Bevölkerung ebenfalls die Philippinen, Jamaika und Hongkong nicht sonderlich beliebt, bot die Idee des Mulstellten nun jedes Jahr einige tausend Neutikulturalismus einen Ausweg. Im Jahr 1971 ankömmlinge.36 Der Anteil der Europäer an allen Zuwanderern sank so rapide: Stellten sie machte Premierminister Pierre Trudeau sie zur 1960 noch 80 Prozent aller Neuankömmlinge, offiziellen Politik seiner Regierung.39 Durch gezielte Programme wollte er den Austausch waren es ein Jahrzehnt später nur noch 54 zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen Prozent und im Jahr 1980 lediglich 29 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der fördern und so allen ethnischen Gruppen die vollständige Teilhabe am gesellschaftlichen Zuwanderer aus Asien von 5 Prozent über 14 Leben ermöglichen.40 Mit Erfolg: Heute beauf 50 Prozent.37 schreiben viele Kanadier ihre Nation in Abgrenzung zum Schmelztiegel USA als Mosaik, in dem jeder Bürger mit seinen kulturellen Eigenheiten zum großen Ganzen beiträgt.41
16 Nach Punkten vorn
Europa
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1960
Im Jahr 1967 führte Kanada ein Punktesystem zur Auswahl der Zuwanderer ein. Bis heute ist es das Herzstück der Zuwanderungspolitik – wenn auch in abgeänderter Form. Auf einer Skala von 0 bis 140 (inzwischen 100) benötigten Bewerber damals mindestens die Hälfte aller Punkte (inzwischen zwei Drittel), um in der sogenannten Skilled Worker Category eine permanente Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen. Punkte erhielten Bewerber unter anderem für ihren Beruf, ihre Ausbildung, ihre Sprachkenntnisse und für Verwandte in Kanada. Die genaue Zahl der zu vergebenden Aufenthaltsgenehmigungen legte die kanadische Regierung jedes Jahr aufgrund konjunktureller Prognosen neu fest.34 Bis heute müssen Kandidaten zudem nachweisen, dass sie über genügend finanzielle Mittel verfügen, um sich und ihre Familie in den ersten Monaten nach der Ankunft in Kanada zu versorgen. Derzeit reichen für einen alleinstehenden Zuwanderer umgerechnet knapp 10.000 Euro.35
Zuwanderung wird langfristig angelegt Als der Bedarf an Arbeitskräften in der Industrie in den späten 1980er Jahren immer weiter abnahm, und sich die kanadische Wirtschaft stärker dem Weltmarkt öffnete, richtete die Regierung ihre Zuwanderungspolitik abermals neu aus. Sie erhöhte die Einwanderungszahlen und versuchte, verstärkt Hochqualifizierte anzuwerben. Um dies zu erreichen, änderte sie die Gewichtung der einzelnen Faktoren im Punktesystem zu Gunsten höherer Bildungsabschlüsse. Zudem legte die Regierung die Politik nun längerfristig an, was sich am deutlichsten daran zeigte, dass sich die Höhe der Zuwanderung nicht mehr direkt an der konjunkturellen Lage orientierte.42 Mit dem verstärkten Fokus auf hochqualifizierte Zuwanderer verschob sich die zahlenmäßige Bedeutung der drei verschiedenen Zuwanderungskategorien, der Wirtschafts-, Familien- und Flüchtlingskategorie. Kamen im Jahr 1986 noch 43 Prozent aller permanenten Zuwanderer über den Familiennachzug nach Kanada, waren es zehn Jahre später nur noch 30 Prozent. Inzwischen ist der Anteil bis auf
Innerhalb der Wirtschaftskategorie sind die Möglichkeiten, nach Kanada zu kommen, in den letzten Jahren immer zahlreicher geworden. Zwar formt das Federal Skilled Worker Program, also das Punktesystem, weiterhin das Herzstück, doch können auch die einzelnen Provinzen inzwischen über sogenannte
Provincial Nominee Programs* eine gewisse Zahl an Zuwanderern direkt auswählen. Gesondert erfasst werden zudem Unternehmer, Investoren und Selbstständige. Auch Pflegekräfte, die unter dem Live-in Caregiver Program zunächst temporär nach Kanada kommen, zählen zur Wirtschaftskategorie, sobald sie eine permanente Aufenthaltsgenehmigung erlangen. Und schließlich gibt die 2008 ins Leben gerufene Canadian Experience Class Zuwanderern mit zeitlich begrenzter Aufenthaltserlaubnis sowie ausländischen Absolventen kanadischer Hochschulen die Möglichkeit, ihren Aufenthalt in einen permanenten umzuwandeln. * Der offizielle Name dieser Programme ist Provincial/ Territorial Nominee Programs, da Kanada neben seinen zehn Provinzen auch über drei sogenannten Territorien verfügt – die Nordwest Territorien, Yukon und Nunavut –, die einen geringeren Grad an Autonomie genießen als Provinzen. Vereinfacht werden wir in der Studie jedoch von Provincial Nominee Programs sprechen.
Verstärkter Fokus auf Arbeitskräfte Noch Anfang der 1990er Jahre stellten Angehörige der Familienkategorie (Nachzug) die zahlenmäßig größte Gruppe unter den Zuwanderern. Inzwischen macht die Wirtschaftskategorie etwa zwei Drittel der Zuwanderung aus, während die Regierung den Familiennachzug stärker reglementiert hat – Zuwanderung wird immer mehr unter ökonomischen Gesichtspunkten gestaltet. Bei den angegebenen Zahlen gilt es allerdings zu beachten, dass auch in der Wirtschaftskategorie etwa 60 Prozent der Zuwanderer als Familienangehörige der Hauptantragsteller einreisen (Mitzug). 200.000 180.000 160.000
Wirtschaftskategorie
140.000 120.000 100.000 80.000
Familienkategorie
60.000 40.000 20.000
Flüchtlingskategorie 1986 10 87 1988 1089 1990 1991 19 92 19 93 1994 19 95 1996 19 97 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
Permanente Zuwanderung in Kanada nach Zugangskategorie, 1986 bis 2011 (Datengrundlage: Citizenship and Immigration Canada45)
Die Provinzen bestimmen mit über die Zuwanderung Eine wichtige Entwicklung des letzten Jahrzehnts ist die Delegation verschiedener Verantwortlichkeiten in Sachen Zuwanderung an die Provinzen. Bereits im Jahr 1991 erwarb Québec von der Regierung in Ottawa über den Canada-Quebec Accord das Recht, seine Zuwanderer komplett unabhängig von der Zentralregierung auszuwählen. Später unterzeichneten die Provinzen British Columbia und Manitoba Verträge, die ihnen weitgehende Autonomie im Bereich der Integration zusicherten. Und ab Ende der 1990er Jahre erlangten einige Provinzen mit den Provincial Nominee Programs die Möglichkeit, einen Teil ihrer Zuwanderer selbst auszuwählen. Anders als im Fall von Québec blieben die Provinzen hier aber generell Teil der kanadischen Zuwanderungspolitik. Heute existieren Provincial Nominee Programs in allen Provinzen Kanadas. Gemein ist ihnen, dass die Provinzregierung der Zentralregierung potenzielle Zuwanderer vorschlägt, sie „nominiert“. Die Regierung in Ottawa segnet diese Vorschläge ab, sofern die Kandidaten den obligatorischen Sicherheits- und Gesundheitscheck bestehen. Obwohl die Nominees von den einzelnen Provinzen ausgewählt werden, genießen sie in der Folge landesweite Freizügigkeit. Zwischen den einzelnen Provinzen existieren allerdings erhebliche Unterschiede bei der Auswahl der Nominees. Selbst innerhalb ein und derselben Provinz gibt es verschiedene Möglichkeiten zur Einwanderung. Insgesamt gibt es in Kanada derzeit etwa 60 verschiedene Zuwanderungskanäle unter den Provincial Nominee Programs. Viele von ihnen setzen anders als das föderale Punktesystem ein konkretes Arbeitsplatzangebot voraus. In den letzten Jahren hat die Bedeutung der Provincial Nominee Programs stetig zugenommen. Wählten die Provinzen
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22 Prozent abgesunken. Derweil stellt die Wirtschaftskategorie Jahr für Jahr zwei Drittel aller Neuankömmlinge.43 Sie beinhaltet neben den Hauptantragstellern auch deren mitreisende Familienangehörige, die etwa 60 Prozent aller Wirtschaftsmigranten stellen. De facto erhält in Kanada also etwas mehr als ein Viertel aller permanenten Zuwanderer einen Aufenthaltstitel aus Erwerbstätigkeitsgründen.44 Da die Angehörigen der Hauptantragsteller im Schnitt aber ebenfalls über einen hohen Bildungsstand verfügen, sind auch sie für den Arbeitsmarkt interessant.
Neben den Provincial Nominee Programs sind im letzten Jahrzehnt auch die Zahl und der Umfang von Programmen zur zeitlich begrenzten Arbeitsmigration rapide angestiegen. Im Jahr 2011 erreichte die Zahl der neu eingereisten Temporary Foreign Workers mit 191.000 den höchsten jemals verzeichneten Wert.48 Insgesamt lebten im Jahr 2011 rund 447.000 temporäre Arbeitsmigranten in Kanada, nachdem es 2004 noch weniger als 200.000 gewesen waren.49 Ein Großteil des Wachstums der temporären Arbeitsmigration lässt sich darauf zurückführen, dass die kanadische Regierung das Angebot an Work and Travel Programmen für junge Leute deutlich ausgebaut hat. Aus volkswirtschaftlicher Sicht bedeutsamer sind indes jene Arbeitsmigranten, die zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in Kanada eine sogenannte Labour Market Opinion benötigen. Sie ist der deutschen Arbeitsmarktprüfung sehr ähnlich. Arbeitgeber, die einen Zuwanderer auf zeitlich befristeter Basis einstellen wollen, müssen hierbei nachweisen, dass sie keinen einheimischen Bewerber für den Job gefunden haben und dass Bezahlung und Arbeitsbedingungen den regionalen Standards entsprechen – ein jährliches Maximum an zu vergebenden Arbeitserlaubnissen existiert nicht. Eine Labour Market
18 Nach Punkten vorn
Die Zuwanderung stabilisiert sich auf hohem Niveau Bis in die 1990er Jahre schwankten die Zuwanderungszahlen in Kanada je nach Konjunkturlage mitunter stark. Seit die Regierung allerdings eine langfristigere Politik verfolgt, hat sich die Zahl der permanenten Zuwanderer bei etwa 250.000 Menschen pro Jahr stabilisiert. Die Zahl der temporären Zuwanderer hat dagegen in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein rasantes Wachstum erlebt. Anfang der 1990er Jahre war sie noch vergleichbar mit der permanenten Zuwanderung. Inzwischen übersteigt sie diese um jährlich etwa 150.000 Personen. Unter den insgesamt knapp 400.000 temporären Zuwanderern fanden sich 2011 etwa 200.000 Temporary Foreign Workers, also Arbeitsmigranten. Insgesamt lebten im Jahr 2011 mehr als eine Million Menschen mit zeitlich begrenztem Aufenthaltsrecht im Land. 450.000 400.000 350.000 temporäre Zuwanderer 300.000 250.000 200.000 150.000 100.000 50.000
permanente Zuwanderer
0 1950 1952 19 5 4 19 5 6 19 5 8 1960 19 6 2 1964 1966 1968 1970 1972 1 9 74 1 9 76 19 7 8 1980 19 8 2 198 4 1986 1988 1990 19 92 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010
exklusive Québec im Jahr 2002 lediglich 2.000 Zuwanderer oder zwei Prozent aller Zuwanderer der Wirtschaftskategorie selbst aus, waren es 2011 bereits 38.000 Menschen. Dies entsprach einem Anteil von 25 Prozent.46 Durch dieses Wachstum haben sich auch die beliebtesten Zielregionen der Zuwanderer verschoben. So erhält allein die Provinz Ontario vor allem dank der Metropole Toronto knapp zwei Drittel aller über das Punktesystem rekrutierten Zuwanderer. Unter den Provincial Nominees kommen derweil lediglich etwa drei Prozent nach Ontario, während mehr als die Hälfte auf die weniger bevölkerungsreichen Provinzen Manitoba und Alberta entfallen.47
Zahl der permanenten und temporären Zuwanderer in Kanada, 1950 bis 2011 (Datengrundlage: Citizenship and Immigration Canada50)
Opinion benötigen in Kanada unter anderem Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft und Pflegekräfte, die über das Live-In Caregiver Program nach Kanada kommen, aber auch IT-Fachkräfte sowie gering Qualifizierte verschiedener Fachrichtungen, die vom 2002 ins Leben gerufenen Pilot Project for Occupations Requiring Lower Levels of Formal Training Gebrauch machen. Bei Letztgenannten handelt es sich vor allem um Beschäftigte in der Ölsandindustrie und in der Fleischverarbeitung in den drei „Prärie-Provinzen“ Alberta, Manitoba und Saskatchewan.51 Die Zahl aller temporären Zuwanderer, die eine Labour Market Opinion benötigen, verdoppelte sich nach der Jahrtausendwende von etwa 50.000 auf knapp 100.000 im Jahr 2008. Wegen der Wirtschaftskrise sank sie in den folgenden zwei Jahren wieder auf knapp 75.000.52
Während hochqualifizierten Arbeitsmigranten, die zunächst ein zeitlich befristetes Visum in Kanada erhalten, die Tür zum dauerhaften Aufenthalt über die sogenannte Canadian Experience Class prinzipiell offen steht, haben gering und durchschnittlich Qualifizierte oft keine dauerhafte Zukunft in Kanada. Ihnen bieten einzig vereinzelte Provincial Nominee Programs sowie gegebenenfalls Familienangehörige einen Weg zum dauerhaften Bleiberecht.* Ansonsten müssen sie spätestens nach vier Jahren aus Kanada
* Ausgenommen hiervon sind Live-in Caregivers, die generell nach zweijähriger Tätigkeit die Möglichkeit haben, eine permanente Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten.
* Für einige Zuwanderergruppen gelten Ausnahmeregelungen, siehe: Citizenship and Immigration Canada (2012). Information for foreign workers in Canada on the Temporary Foreign Worker Program regulatory changes. http://www.cic.gc.ca/english/work/tfw.asp, abgefragt am 10.04.2012.
Hohe Zuwanderung – viele Einbürgerungen
auch eine Folge der im internationalen Vergleich sehr liberalen Regularien. So erlaubt Kanada seit 1977 die mehrfache StaatsangeSo sehr die kanadische Regierung die Auswahl hörigkeit, und Zuwanderer kommen für eine Einbürgerung bereits zwei Jahre nach Erhalt der Zuwanderer im vergangenen Jahrzehnt der unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung verändert hat, so wenig hat sie an den hohen jährlichen Zuwanderungszahlen gerüttelt. Im in Frage. Dafür müssen sie die vergangenen Jahr 2010 erreichte Kanada mit 281.000 neu vier Jahre in Kanada gelebt haben und über Kommunikationsfähigkeiten in Englisch oder erteilten permanenten AufenthaltsgenehmiFranzösisch verfügen. Sind sie bereits länger gungen den höchsten Wert seit 1957.55 Die größten Zuwanderungsströme kommen inzwi- als zwei Jahre unbefristet in Kanada, ist das Verfahren noch einfacher: Die Antragsteller schen mit jährlich bis zu 40.000 Personen müssen lediglich drei der vergangenen vier aus China, Indien und den Philippinen.56 Jahre in Kanada gelebt haben. Erwachsene zwischen 18 und 54 Jahren müssen außerPro Jahr nehmen derweil zwischen 100.000 dem einen Einbürgerungstest ablegen.59 und 200.000 Zuwanderer die kanadische 57 Staatsangehörigkeit an. Diese Zahlen liegen bezogen auf die Gesamtbevölkerung höher als in jedem anderen OECD-Land.58 Dies ist
Fazit Wege für Arbeitsmigranten zum dauerhaften Aufenthalt in Kanada Vorwiegend Hochqualifizierte können in Kanada über das Punktesystem, die Provincial Nominee Programs oder auch als Unternehmer, Investoren oder Selbstständige direkt eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung erlangen. Der Übergang von einer zeitlich befristeten zu einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung ist dagegen kompliziert. Nur bestimmte Fachkräfte können sich über die Canadian Experience Class für einen Daueraufenthalt bewerben. Genau wie Pflegekräfte oder auch Absolventen kanadischer Hochschulen haben sie allerdings kein verbürgtes Anrecht auf einen dauerhaften Aufenthalt nach einer bestimmten Zeit in Kanada. können sich unter Umständen bewerben
Federal Skilled Worker Program (Punktesystem)
Provincial Nominee Programs
Unternehmer/ Selbstständige/ Investoren
Live-in Caregiver Program
Bewerbung nach zwei Jahren möglich Permanente Aufenthaltsgenehmigung nach frühestens zwei Jahren
Temporary Foreign Worker Program
Bewerbung für Hochqualifizierte nach zwei Jahren möglich
Canadian Experience Class
Bewerbung nach einem Jahr Arbeitstätigkeit möglich
Staatsangehörigkeit
gering qualifizierte Fachkräfte
Ausländische Absolventen kanadischer Hochschulen
Kanada gewinnt pro Jahr knapp ein Prozent seiner Bevölkerung durch Zuwanderung. Im Laufe der Jahre hat die Politik stets flexibel auf die sich wandelnden Herausforderungen reagiert und unter anderem den Anteil der Arbeitsmigranten an allen Zuwanderern stetig erhöht. Seit den späten 1980er Jahren versucht die kanadische Regierung überwiegend hochqualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen. Sie nutzt dafür ein Punktesystem, das die Zuwanderer vorwiegend aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten auswählt. Erst in den letzten Jahren hat auch die arbeitsmarktgesteuerte Zuwanderung über Provincial Nominee Programs wieder an Bedeutung gewonnen. Mit der Multikulturalismuspolitik versucht die kanadische Regierung, aktiv dazu beizutragen, dass Zuwanderer „echte Kanadier“ werden – mit allen Rechten und Pflichten. Hierzu zählt auch die Möglichkeit des schnellen Erwerbs der Staatsangehörigkeit.
(Eigene Darstellung)
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ausreisen und dürfen dann erst nach vier weiteren Jahren wieder einreisen.*, 53 Insgesamt schafften im Jahr 2011 etwa 67.000 Zuwanderer mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung den Übergang in die Dauerhaftigkeit. Rund 30.000 von ihnen waren zuvor als temporäre Arbeitsmigranten in Kanada tätig, der Rest war überwiegend aus humanitären Gründen ins Land gekommen.54
DEUTSCHLAND – 3 EINWANDERUNGSLAND WIDER WILLEN Im Jahr 1955 unterzeichnete Deutschland ein Arbeitskräfte-Anwerbeabkommen mit Italien. Dieses brachte vor allem gering qualifizierte Männer aus dem Süden des Landes auf die Felder und ins Hotelgewerbe Deutschlands. Wo vorher Arbeitgeber eigenhändig im Ausland nach Arbeitskräften gesucht hatten, agierten nun deutsche Kommissionen vor Ort. Spätere Abkommen mit Spanien (1960), Griechenland (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968) brachten vor allem dem Bergbau und der Baubranche zusätzliche Arbeitskräfte. Das größte Kontingent an ausländischen Arbeitskräften kam aus der Türkei. Schon 1968, nachdem Deutschland bedingt durch die erste Nachkriegsrezession vorübergehend weniger Arbeitskräfte anwarb, lebten mehr als 600.000 Türken in der damaligen Bundesrepublik.60 Die Geschichte des Anwerbeabkommens mit der Türkei verdeutlicht, dass Deutschland sich zunächst gegen die aktive Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte sträubte. Denn wie bei allen anderen Abkommen ging die Initiative nicht von Deutschland, sondern vom Herkunftsland aus. Die
20 Nach Punkten vorn
türkische Regierung erhoffte sich durch die Rücküberweisungen der Migranten eine Verbesserung ihrer negativen Zahlungsbilanz mit der Bundesrepublik. Zusätzlich wollte sie kurzfristig den türkischen Arbeitsmarkt entlasten und langfristig, durch die heimkehrenden Migranten, vom in Deutschland erworbenen Know-how profitieren.61 Für Deutschlang galt die Zuwanderung als eine vorübergehende Maßnahme zur Behebung des Arbeitskräftemangels. Als Einwanderungsland sah sich die Bundesrepublik nicht. So stellte sie den türkischen „Gastarbeitern“, wie Medien und Politik die ausländischen Arbeitskräfte bald nannten, zunächst auch lediglich eine Aufenthaltsgenehmigung für zwei Jahre aus. Nach Ablauf der Frist sollten die Arbeitskräfte per Rotationsprinzip gegen neue ausgetauscht werden. Ferner wurde der Familiennachzug für die Zuwanderer explizit ausgeschlossen.62
Diesen Sonderregelungen machte die Neufassung des Abkommens mit der Türkei im Jahr 1964 ein Ende und bereitete den Weg für eine dauerhafte Einwanderung der Arbeitsmigranten. Die Initiative ging hierbei von Arbeitgeberverbänden aus, die betonten, dass die türkischen Arbeitnehmer wertvolle Arbeit leisteten und dass das wiederholte Einarbeiten neuer Zuwanderer erhebliche Kosten verursache. Offiziell war ein Daueraufenthalt allerdings auch unter den neuen Regelungen nicht vorgesehen – auch nicht als die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigungen 1971 deutlich vereinfacht wurde und immer mehr Zuwanderer ihre Familienangehörigen nach Deutschland brachten. Der Trend in Richtung permanente Niederlassung vollzog sich daher schleichend. Unter anderem stärkte das Bundesverfassungsgericht durch eine Reihe von Urteilen in den 1970er und 1980er Jahren die Rechte der ausländischen Arbeitnehmer, so dass ihr Aufenthalt nicht mehr von ihrem Erwerbsstatus abhing.63
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind Zuwanderer in Wellen nach Deutschland gekommen. Auf dem Höhepunkt der sogenannten Gastarbeiter-Zuwanderung im Jahr 1970 verzeichnete Deutschland einen Wanderungsüberschuss von mehr als einer halben Million Menschen. Während der Rezessionen Anfang der 1970er und 1980er Jahre wanderten dagegen im Saldo bis zu 200.000 Menschen aus Deutschland ab. Nach der Rekordzuwanderung Mitte der 1990er Jahre, als vorwiegend Spätaussiedler nach Deutschland kamen, bewegte sich die Zuwanderung in Deutschland lange Zeit auf relativ niedrigem Niveau und ist erst in den vergangenen zwei Jahren wieder etwas angestiegen. Der jüngste Zuwachs lässt sich allerdings nicht mit gesteuerter Zuwanderung erklären, sondern damit, dass viele Menschen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten in das von der Wirtschaftskrise weniger betroffene Deutschland gingen.
1.000.000 800.000 600.000 400.000 200.000 0 – 200.000 – 400.000 1950 1952 19 5 4 19 5 6 19 5 8 1960 19 6 2 1964 1966 1968 1970 1972 1 9 74 1 9 76 19 7 8 1980 19 8 2 198 4 1986 1988 1990 19 92 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010
Wenig Stabilität bei der Zuwanderung
Zuwanderung trotz Anwerbestopp Als die Ölkrise 1973 die Konjunktur bremste, verhängte die Bundesregierung einen Anwerbestopp. Zu diesem Zeitpunkt lebten vier Millionen Ausländer in Deutschland, von denen 2,6 Millionen als Arbeitnehmer ihr eigenes Geld verdienten. Sie stellten damit etwa zwölf Prozent aller unselbstständig Beschäftigten in der Bundesrepublik.65 Insgesamt war etwa jeder fünfte eingereiste Gastarbeiter in Deutschland sesshaft geworden.66 Da die Ausländer überwiegend gering qualifiziert waren, litten sie stärker unter der Krise als die einheimische Bevölkerung. Dies führte allerdings nicht wie von vielen erwartet zu einer massenhaften Abwanderung in die
Heimat. Denn aufgrund des Anwerbestopps hätte diese Reaktion eine erneute Einreise in die Bundesrepublik ausgeschlossen. Ganz im Gegenteil: Immer mehr Ausländer holten ihre Familienangehörigen aus der Heimat nach, so dass Deutschland auch im folgenden Jahrzehnt mehr Zu- als Abwanderung verzeichnete.67 Die Politik reagierte mit zaghaften Integrationsversuchen und Beschäftigungsprogrammen für Ausländer, vor allem aber mit einer Begrenzung weiteren Zuzugs sowie mit Rückkehrprämien für in Deutschland wohnhafte Ausländer.68 In den frühen 1980er Jahren diskutierte die Öffentlichkeit das Thema Zuwanderung vermehrt unter sicherheitspolitischen und nicht mehr unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten. Ein Grund hierfür war die stetig steigende Zahl an Asylbewerbern, die Deutschland vornehmlich aus dem ehemaligen Ostblock und später aus dem zerfallenden Jugoslawien aufnahm.69 Parallel zur
Zahl der Asylbewerber wuchs in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren die Zahl der sogenannten Aussiedler (seit 1993 offiziell Spätaussiedler). Sie kehrten als deutsche Volkszugehörige vorwiegend aus Osteuropa und den zentralasiatischen Ländern der ehemaligen Sowjetunion in das Land ihrer Vorfahren zurück. Dies gestattete ihnen das Bundesvertriebenengesetz von 1953. Kamen in den ersten dreieinhalb Jahrzehnten bis 1987 insgesamt lediglich 1,4 Millionen Aussiedler nach Deutschland, waren es in den folgenden gut eineinhalb Jahrzehnten von 1988 bis 2005 rund drei Millionen.70 Danach gingen die Zahlen deutlich zurück – im Jahr 2010 registrierten die Statistiker lediglich 2.350 Zuzüge.71 Dies liegt einerseits daran, dass Deutschland die Einreisebestimmungen für Spätaussiedler deutlich verschärft hat, andererseits aber auch daran, dass die meisten Spätaussiedler, die nach Deutschland kommen wollten, dies bereits getan haben.
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Jährlicher Wanderungssaldo (Zuzüge minus Fortzüge) in Deutschland, 1950 bis 2011 (Datengrundlage: Statistisches Bundesamt64)
In den 1990er Jahren war es nur vereinzelten Berufsgruppen durch die sogenannte Anwerbestoppausnahmeverordnung möglich, aus Nicht-EU-Ländern für einen begrenzten Zeitraum nach Deutschland einzureisen. Dies betraf vor allem Saison-, Gast- und Werkvertragsarbeitnehmer aus mittel- und osteuropäischen Staaten, die aufgrund bilateraler Abkommen in Deutschland arbeiten konnten.72 Inzwischen sind die Regelungen der Anwerbestoppausnahmeverordnung komplett im Zuwanderungsgesetz beziehungsweise in der Beschäftigungsverordnung aufgegangen. Vor dem Hintergrund des Booms der IT-Branche gegen Ende der 1990er Jahre gewann in Deutschland erstmals die Idee einer aktiven Fachkräfte-Anwerbung Popularität. Fand die Anwerbung der Gastarbeiter und später der Saisonkräfte noch überwiegend im gering und durchschnittlich qualifizierten Bereich statt, markierte die von der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder verabschiedete Green-Card-Initiative so etwas wie eine Zeitenwende in der deutschen Zuwanderungspolitik – freilich eine äußerst vorsichtige. Unter dem Green-Card-Programm sollten ausländische IT-Fachleute nach Deutschland kommen, um den hiesigen Fachkräftemangel in der Branche zu beheben. Die Zuwanderer sollten allerdings nicht länger als fünf Jahre in Deutschland arbeiten können. Zudem sollten maximal 20.000 Visa über einen Zeitraum von drei Jahren vergeben werden. Bewerber mussten ferner über einen Hochschul- beziehungsweise Fachhochschulabschluss im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie verfügen oder ein zugesichertes Jahresgehalt von 51.000 Euro in Deutschland verdienen.73
Dass das vorgesehene Kontingent mit 17.931 bewilligten Aufenthalts- und Arbeitserlaubnissen im Endeffekt unterschritten wurde, führen Experten sowohl auf den Konjunktureinbruch nach 2001 zurück, als auch auf die Tatsache, dass angesichts der restriktiven Aufenthaltsbedingungen andere Länder für potenzielle Bewerber attraktiver erschienen.74 Außerdem hat sicherlich eine Rolle gespielt, dass große Unternehmen ohnehin über den sogenannten unternehmensinternen Fachkräftetransfer seit 1998 ohne Arbeitsmarktprüfung Angestellte aus anderen Ländern für 24 Monate – im Fall von Führungskräften für bis zu 60 Monate – in Deutschland einsetzen können. In der Tat haben vor allem kleine und mittelständische Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitern die Möglichkeiten der Green Card genutzt.75
Neuerungen gab es mit der Einführung von Paragraph 19 auch bei der Zuwanderung Hochqualifizierter. Der Paragraph richtet sich an „Wissenschaftler mit besonderen Fähigkeiten“, „Lehrpersonen in herausgehobener Funktion oder wissenschaftliche Mitarbeiter in herausgehobener Funktion“ sowie „Spezialisten und leitende Angestellte mit besonderer Berufserfahrung“, die direkt eine Niederlassungserlaubnis erlangen können. Sie alle müssen ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorweisen können. Die Gruppe der Spezialisten und leitenden Angestellten musste ursprünglich zusätzlich ein Brutto-Jahresgehalt von mindestens 85.500 Euro beziehen – diese Gruppe wird mittlerweile von Paragraph 19 nicht mehr berücksichtigt.77
Geringere Zuwanderung aus Nicht-EUStaaten
Kurswechsel durch das Zuwanderungsgesetz? Am 1. Januar 2005 trat das sogenannte Zuwanderungsgesetz in Kraft. Hauptbestandteil des Gesetzes war das Aufenthaltsgesetz, welches das Ausländergesetz von 1990 ersetzte. Das Aufenthaltsgesetz reduzierte unter anderem die Zahl der Aufenthaltstitel für Nicht-EU-Ausländer von vier auf zwei. Es gibt seither die Niederlassungserlaubnis für unbefristete, nicht an einen bestimmten Zweck gebundene Aufenthalte und die Aufenthaltserlaubnis für befristete, zweckgebundene Aufenthalte. Eine Aufenthaltserlaubnis kann nach mindestens fünfjährigem Aufenthalt in eine Niederlassungserlaubnis umgewandelt werden. Außerdem schuf das Gesetz das sogenannte One-Stop-Government, nach dem Ausländerbehörden nunmehr sowohl die Arbeits- als auch die Aufenthaltserlaubnis ausstellen können. Zuvor waren zwei separate Verfahren nötig gewesen.76
Durch Zuwanderung aus Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes sowie der Schweiz verzeichnete Deutschland im Jahr 2011 einen Bevölkerungszuwachs von knapp 200.000 Menschen. Die gesteuerte Zuwanderung aus Drittstaaten erhöhte die Bevölkerung Deutschlands dagegen um lediglich 81.000 Personen – die meisten von ihnen kamen aus familiären Gründen. 600.000
Zuwanderung, Abwanderung und Wanderungssaldo Deutschlands mit EU- und Nicht-EUStaaten, 2011
500.000 400.000 300.000
Zuwanderung 200.000
Abwanderung Saldo
100.000 0
(Datengrundlage: Statistisches Bundesamt78)
– 100.000 – 200.000 Nicht-EU
– 300.000
EU
– 400.000
22 Nach Punkten vorn
Gerade mit den Regelungen zum Aufenthalt in Deutschland fiel das Zuwanderungsgesetz deutlich weniger revolutionär aus, als es der erste Gesetzesentwurf versprochen hatte. Denn dieser hatte auf Grundlage der Ergebnisse der sogenannten „Unabhängigen Kommission Zuwanderung“ die Einführung eines Punktesystems zur bedarfsgerechten und transparenten Steuerung der Arbeitsmigration nach kanadischem Vorbild vorgeschlagen. Ein Arbeitsplatzangebot wäre für die Einreise nach Deutschland dann nicht mehr notwendig gewesen.80 Die Ambivalenz des Zuwanderungsgesetzes, das sich nicht wirklich dazu bekennen mag, ein Signal der Offenheit an die Außenwelt zu senden, verdeutlicht am besten sein voller Name. Er lautet: „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“.81
Noch immer geringe FachkräfteZuwanderung Wie viele der international begehrten Fachkräfte kommen aber tatsächlich nach Deutschland? Dies zu bestimmen, ist nicht ganz einfach, da die Einreise in verschiedenen Paragraphen des Aufenthaltsgesetzes geregelt ist. Die 847 Personen, die zwischen 2005 und 2010 über den explizit auf Hochqualifizierte ausgerichteten Paragraphen 19 nach Deutschland kamen, sind nur ein Teil der gesamten Fachkräfte-Zuwanderung. Denn im selben Zeitraum kamen 5.568 Selbstständige nach Deutschland, denen nach Paragraph 21 des Aufenthaltsgesetzes
in der Regel dann eine befristete Aufenthaltsgenehmigung ausgestellt wird, wenn sie mindestens 250.000 Euro in Deutschland investieren und fünf Arbeitsplätze schaffen.* Schließlich gibt es seit 2009 auch die Möglichkeit, als Forscher für einen begrenzten Zeitraum nach Deutschland einzureisen. Von dieser Regelung, die auf Paragraph 20 des Aufenthaltsgesetzes fußt, haben in den ersten beiden Jahren allerdings lediglich 351 Personen Gebrauch gemacht.82
* Im Jahr 2010 waren allerdings mehr als zwei Drittel der Selbstständigen Freiberufler, für die die erwähnten Bedingungen nicht gelten.
Kaum Zuwanderung von Arbeitskräften aus Nicht-EU-Ländern Nur jeder achte Zuwanderer aus einem Nicht-EU-Land erhält in Deutschland einen Aufenthaltstitel aus Erwerbstätigkeitsgründen. Gar nur jeder tausendste Zuwanderer erhält über Paragraph 19 des Aufenthaltsgesetzes bei der Einreise als Hochqualifizierter direkt eine permanente Aufenthaltsgenehmigung (Niederlassungserlaubnis). Nach Abzug der nicht in dem Diagramm dargestellten Abwanderung, bleibt nur ein sehr geringer Überschuss an Fachkräften aus dem Nicht-EU-Ausland – also aus jenem Teil der Zuwanderung, die Deutschland aktiv steuern kann. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass auch viele Zuwanderer anderer Kategorien der deutschen Wirtschaft als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.
Aufenthaltsgestattung und Duldung EU-Aufenthaltsrecht
Sonstige
Nieder1,7 lassungs- 1,7 erlaubnis (nicht § 19 AufenthG) 23,3 Familiäre Gründe
12,2
22,7
14,5
12,8
§ 18 AufenthG (Beschäftigung) § 19 AufenthG (Hochqualifizierte mit Nieder0,1 lassungserlaubnis) 0,4 0,1 § 20 AufenthG (Forscher) § 21 AufenthG (Selbstständige)
3,6 Humanitäre Gründe
19,9 Studium, Schulbesuch, Ausbildung
Zuzüge nach Deutschland von Drittstaatsangehörigen nach ausgewählten Aufenthaltszwecken, 2010** (Datengrundlage: Bundesministerium des Innern & Bundesamt für Migration und Flüchtlinge83) ** In der Kategorie „Sonstige“ finden sich hauptsächlich Personen mit einem EU-Aufenthaltstitel oder Personen, die einen Aufenthaltstitel beantragt haben. Die Grafik umfasst also auch Zuzüge aus EU-Staaten, allerdings von Drittstaatsangehörigen.
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Neben der Regelung von Ein- und Ausreise sowie der Aufenthaltsdauer von Zuwanderern beschäftigt sich das Aufenthaltsgesetz auch mit der Integrationsförderung. Als Hauptmaßnahme in diesem Bereich schuf es die Integrationskurse, welche Zuwanderer „an die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland heranführen“ sollen.79
Etwas höher fallen die Zuwanderungszahlen bei den anderen Arbeitskräften aus. Nach Paragraph 18 des Aufenthaltsgesetzes können Ausländer verschiedener Berufsgruppen für einen zunächst befristeten Zeitraum nach Deutschland einreisen. Dafür müssen sie mit wenigen Ausnahmen einen Arbeitsmarkttest bestehen, der sicherstellen soll, dass sich ihre Beschäftigung nicht nachteilig auf den Arbeitsmarkt auswirkt und dass der Bewerber zu vergleichbaren Arbeitsbedingungen wie ein Einheimischer angestellt wird. Mit letztgenanntem Kriterium sollen Lohn-Dumping und niedrigere Sozialstandards für ausländische Arbeitnehmer verhindert werden. Zuwanderer einiger Berufsgruppen müssen zudem eine Vorrangprüfung bestehen, die besagt, dass sich für die Tätigkeit kein besser oder ebenso gut qualifizierter Kandidat aus dem Inland oder dem bevorzugt behandelten EU-Ausland findet.84 Pro Jahr reisen knapp 30.000 Menschen über Paragraph 18 des Aufenthaltsgesetzes nach Deutschland ein. Zwei Drittel von ihnen sind Männer, und die Herkunftsländer sind deutlich vielfältiger als bei den Hochqualifizierten unter Paragraph 19. Die Zuwanderer sind zu zwei Dritteln Fachkräfte, das übrige Drittel übt Tätigkeiten ohne qualifizierte Berufsausbildung aus. Insgesamt erhält nur jeder achte Zuwanderer aus Drittstaaten einen Aufenthaltstitel aus Erwerbstätigkeitsgründen – in Kanada ist es mehr als jeder vierte.85
Große Wanderungsströme in der EU Wie stark Zu- und Abwanderungen deutscher Fachkräfte den Saldo beeinflussen, lässt sich nur schwer messen. Studien zum Thema deuten jedoch darauf hin, dass der Effekt eher gering einzuschätzen ist, denn ein Großteil der Auswanderer kehrt nach einem kurzen Auslandsaufenthalt nach Deutschland zurück.86 Generell ist es wichtig, im Gedächtnis zu behalten, dass der überwiegende Teil
24 Nach Punkten vorn
Die Zuwanderung von Arbeitskräften aus Nicht-EUStaaten ist in vier verschiedenen Paragraphen des Aufenthaltsgesetzes geregelt. Die meisten Menschen
Komplizierter rechtlicher Rahmen der Arbeitsmigration in Deutschland
Paragraph 18 – Beschäftigung
Paragraph 18a – qualifizierte Geduldete
Paragraph 18b – Absolventen deutscher Hochschulen
• Hoch- und gering qualifizierte Personen
• Geduldete Ausländer mit qualifizierter Berufsausbildung oder Hochschulabschluss
• Ausländische Absolventen deutscher Hochschulen
• Rechtsverordnung legt Detailregelungen zu Berufen und Arbeitsmarkttest-Verfahren fest
Zustimmungsfreie Beschäftigungen
Zustimmungspflichtige Beschäftigungen
Arbeitsmarkttest durch die Bundesagentur für Arbeit (Auswirkungen für Deutschland, gleiche Arbeitsbedingungen) mit oder ohne Vorrangprüfung (Paragraph 39)
ohne Job für 18 Monate über § 16
Paragraph 18c – Arbeitsplatzsuche für qualifizierte Fachkräfte • Hochschulabsolventen zur Arbeitssuche
mit Job über § 18, 18a, 19a oder 21
Aufenthaltserlaubnis
ohne Job für 6 Monate
Aufenthaltserlaubnis
Aufenthaltserlaubnis
Aufenthaltserlaubnis
nach frühestens zwei Jahren (§ 18b) nach frühestens fünf Jahren
(Eigene Darstellung)
der Zuwanderung nach Deutschland aus dem gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum erfolgt und damit nur sehr begrenzt gesteuert werden kann. Einzig für die beiden jüngsten Unions-Mitglieder Rumänien und Bulgarien existieren noch Übergangsregelungen, doch auch Staatsangehörige dieser beiden Länder werden im Vergleich zu Drittstaatlern bereits bevorzugt behandelt. So entfällt etwa für Hochqualifizierte und Saisonarbeitnehmer die Notwendigkeit, eine separate Arbeitsgenehmigung zu erlangen.
Im Jahr 2011 stieg die Bevölkerung Deutschlands durch Zuwanderung aus anderen EUStaaten um 198.000 Menschen.* Der Wanderungsüberschuss aus Nicht-EU-Ländern belief sich lediglich auf 81.000 Personen. Die größten Zuwanderungsströme verzeichnet Deutschland seit Jahren aus Polen. Sie wuchsen 2011 durch die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit mit den sogenannten EU-8-Staaten auf 173.000 Zuwanderer an. * Zu den EU-Staaten zählen hier auch Island, Norwegen und die Schweiz, die ebenfalls an der innereuropäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit teilnehmen. Für Liechtenstein liegen keine separaten Daten vor.
zur Niederlassungserlaubnis bietet bislang einzig Paragraph 19, über den aber derzeit nur wenige Menschen nach Deutschland kommen.
Paragraph 19 – Hochqualifizierte
Paragraph 19a – Blaue Karte EU
Paragraph 20 – Forscher
Paragraph 21 – Selbstständige Tätigkeit
Insbesondere:
• Hochschulabsolventen oder Fachkräfte mit fünfjähriger Berufserfahrung
• Bei bestehender Vereinbarung zur Durchführung eines Forschungsvorhabens mit einer anerkannten Forschungseinrichtung
• Bei übergeordnetem wirtschaftlichen oder regionalen Interesse, positiven Auswirkungen auf die Wirtschaft und gesicherter Finanzierung
• Wissenschaftler • Lehrpersonen und wissenschaftliche Mitarbeiter in herausgehobener Funktion
• Rechtsverordnung legt Detailregelungen zu Gehalt und Berufsgruppen fest
Aufenthaltserlaubnis
Aufenthaltserlaubnis
nach frühestens zwei Jahren
nach frühestensfünf Jahren
Aufenthaltserlaubnis
nach frühestens drei Jahren
Niederlassungserlaubnis
Allerdings wanderten auch 106.000 Menschen in die entgegengesetzte Richtung ab.87 Denn viele Polen halten sich nur für wenige Monate in Deutschland auf – die meisten als Saisonarbeiter.88 Hohe Wanderungsüberschüsse verzeichnet Deutschland außerdem trotz aller Einschränkungen bei der Freizügigkeit mit Rumänien und Bulgarien.89 Langfristig kommen EU-Länder jedoch nur bedingt als Quellländer von Zuwanderung in Frage, da die Kinderzahlen auch dort schon seit geraumer Zeit sehr niedrig liegen und das Potenzial an Abwanderern schrumpft. Zudem variiert die Zuwanderung aus dem Europäischen Wirtschaftsraum je nach konjunktureller Lage extrem stark.
erlaubnis besitzen. Außerdem müssen sie eine Reihe weiterer Bedingungen erfüllen, wie etwa ausreichende Sprachkenntnisse und die Fähigkeit, den Lebensunterhalt von sich und ihrer Familie ohne Sozialleistungen zu sichern.* Grundsätzlich müssen Zuwanderer bei Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit ihre bisherige Nationalität ablegen. Dass dies seit einigen Jahren allerdings nur noch in knapp der Hälfte aller Fälle zutrifft, lässt sich mit Ausnahmeregelungen erklären.91 So ist es nach Paragraph 12 des Staatsangehörigkeitsgesetzes möglich, die bisherige Staatsangehörigkeit zu behalten, wenn „der Betroffene seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann“ oder wenn die Person aus der EU beziehungsweise aus der Schweiz kommt.92 In Deutschland geborene Kinder von zwei Ausländern, die im Besitz mehrerer Staatsangehörigkeiten sind, müssen sich dagegen grundsätzlich zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr für eine Nationalität entscheiden – die sogenannte Optionspflicht.93
Vorsichtige Öffnung des Arbeitsmarkts
Ein großes Reservoir an Zuwanderern stellen internationale Studenten. Ihre Zahl stieg zum Die Tatsache, dass Migranten vor allem inner- Wintersemester 2010/2011 auf 252.000 – halb Europas häufig kurzfristigen ökonomizehn Jahre zuvor hatte sie noch bei 187.000 schen Anreizen folgen, zeigt sich auch an der gelegen.94 Die Bundesregierung hat dieses PoZahl der jährlichen Einbürgerungen. So kamen tenzial erkannt und in den vergangenen Jah2011 nur knapp 17.000 der insgesamt etwa ren vermehrt Anstrengungen unternommen, 107.000 Menschen, die die deutsche StaatsAbsolventen nach Abschluss des Studiums bürgerschaft annahmen und damit ihren den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt Lebensmittelpunkt endgültig nach Deutschzu ermöglichen. Auf der Suche nach Beschäfland verlegten, aus dem europäischen Wirttigung dürfen sich ausländische Absolventen schaftsraum und der Schweiz. Mehr als jeder deutscher Hochschulen inzwischen bis zu einvierte neue Deutsche war dagegen vormals im einhalb Jahre lang in Deutschland aufhalten. Besitz eines türkischen Passes.90 Um die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen zu können, müssen sich Zuwanderer generell acht Jahre rechtmäßig in Deutschland aufgehalten haben und eine Niederlassungs-
* Bei erfolgreichem Besuch eines Integrationskurses erwerben Zuwanderer bereits nach einem siebenjährigen Aufenthalt in Deutschland das Recht auf Einbürgerung und können bei außerordentlich guten Sprachleistungen auch schon nach sechs Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen.
Berlin-Institut 25
KAPITEL 3
kommen jedes Jahr über Paragraph 18 nach Deutschland. Hierfür benötigen sie wie bei Paragraph 19 und 20 ein bestehendes Jobangebot. Einen direkten Weg
Auch in anderen Bereichen hat die Bundesregierung die Konditionen für eine Arbeitsaufnahme in den letzten Jahren vorsichtig gelockert. So senkte sie die Mindesteinkommensgrenze für Hochqualifizierte und erlaubt es Akademikern aus den mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten inzwischen, ohne Vorrangprüfung eine Beschäftigung in Deutschland aufzunehmen. Für Ärzte und einige Ingenieurberufe hat sie die Vorrangprüfung gänzlich ausgesetzt und im April 2012 verspätet auch die sogenannte Hochqualifizierten-Richtlinie der EU mit der „Blauen Karte EU“ in nationales Recht umgesetzt. Mit einer Blauen Karte EU erhalten Zuwanderer aus Drittstaaten außerhalb der EU ein Aufenthaltsrecht von zunächst höchstens vier Jahren, das bei guten deutschen Sprachkenntnissen bereits nach zwei Jahren in einen Daueraufenthalt umgewandelt werden kann. Doch auch für den Erwerb der Blauen Karte
bleibt der Nachweis eines Arbeitsplatzes in Deutschland Voraussetzung. Zudem müssen Bewerber über einen Hochschulabschluss verfügen und mindestens 44.800 Euro brutto im Jahr verdienen. Für Hochqualifizierte in bestimmten Mangelberufen, etwa Ingenieure, Ärzte oder Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie, gilt eine reduzierte Gehaltsgrenze von 34.900 Euro. Damit ist das Einkommenskriterium deutlich weniger hart als vorher im Rahmen der Hochqualifizierten-Zuwanderung unter Paragraph 19 des Aufenthaltsgesetzes, in den die Blaue-Karte-Regelung eingegliedert worden ist. Eine Besonderheit der Blauen Karte ist, dass auch Familienangehörige uneingeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten. Eine eindeutige Neuerung ist außerdem, dass Ausländer nun erstmals die Möglichkeit haben, ohne bestehendes Jobangebot zur Arbeitssuche nach Deutschland einzureisen und sich für bis zu sechs Monate im Land aufzuhalten. Einzige Voraussetzungen sind ein akademischer Abschluss sowie ausreichend finanzielle Mittel.
Schwierige Einbürgerung Im Schnitt haben im letzten Jahrzehnt jährlich 125.000 Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. In den allermeisten Fällen sind dies Zuwanderer, die aus Nicht-EU-Staaten stammen. Obwohl in Kanada deutlich weniger Menschen leben als hierzulande, hat das Land im vergangenen Jahrzehnt pro Jahr zwischen 140.000 und 260.000 neue Staatsbürger gewonnen. Dies liegt daran, dass dort mehr Menschen zuwandern, aber auch daran, dass die Regelungen zum Erwerb der Staatsangehörigkeit liberaler sind als in Deutschland.
300.000 250.000 Kanada
200.000 150.000
Deutschland
100.000 50.000 0 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
26 Nach Punkten vorn
Zahl der jährlichen Einbürgerungen in Kanada und Deutschland, 2001 bis 2010 (Datengrundlage: OECD, International Migration Database, Paris)
Fazit Bis in die 1970er Jahre dominierten gering qualifizierte „Gastarbeiter“ aus Südeuropa und Nordafrika die Zuwanderungsströme nach Deutschland. Nach dem Anwerbestopp verzeichnete Deutschland durch Familien- sowie (Spät-)Aussiedlerzuzüge weiterhin Wanderungsüberschüsse. Vor allem der Familiennachzug brachte weiterhin vor allem gering Qualifizierte nach Deutschland. Ein Großteil der aktuellen Zuwanderer kommt aus anderen EU-Staaten. Sie kehren aber häufig nach einigen Jahren wieder in ihre Heimatländer zurück und nehmen seltener als Drittstaatler die deutsche Staatsbürgerschaft an. Eine an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ausgerichtete Zuwanderungspolitik gegenüber Drittstaaten steht erst seit der Jahrtausendwende mit der Green Card, dem Zuwanderungsgesetz sowie der Blauen Karte EU wieder stärker im Fokus. Trotzdem liegen die Zuwanderungszahlen von Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten weiterhin niedrig.
DIE ZUWANDERER4 BEVOLKERUNG IN DEUTSCHLAND UND KANADA Ob und inwiefern ein Land ökonomisch von seinen Zuwanderern profitieren kann, hängt einerseits davon ab, wie viele Zuwanderer es anzieht, andererseits aber auch davon, welche Qualifikationen die Zuwanderer mitbringen und wie gut sie und ihre Nachkommen in den Arbeitsmarkt integriert sind. Im folgenden Kapitel soll dies anhand von Auswertungen des Mikrozensus 2009 sowie von bestehenden Analysen aus Kanada, die auf der amtlichen Statistik basieren, untersucht werden.* In Deutschland beschäftigen sich Untersuchungen zu Migration und Integration meist mit der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Einen Migrationshintergrund besitzen all jene Personen, die entweder keine
* Zum Zeitpunkt der Erstellung der Studie waren Daten aus dem Jahr 2009 die aktuellsten, die uns zur Verfügung standen – dem Jahr als die weltweite Wirtschaftskrise ihren Höhepunkt erreichte. Oftmals sind Zuwanderer in Krisenzeiten besonders hart betroffen, was die Ergebnisse der Analyse zu ihren Ungunsten verschlechtern würde. Analysen haben jedoch gezeigt, dass dieser Effekt in Deutschland und Kanada im Jahr 2009, wenn überhaupt, nur sehr schwach zu spüren war. (Chaloff, J., Dumont, J.-C. & Liebig, T. (2012). The Impact of the Economic Crisis on Migration and Labour Market Outcomes of Immigrants in OECD Countries. CESifo, DICE Report, 10, 39 – 47.)
deutsche Staatsangehörigkeit haben oder als im Ausland Geborene nach 1949 in das heutige Deutschland eingewandert sind oder mindestens einen Elternteil haben, auf den das zweite Kriterium zutrifft.95 Im Jahr 2010 besaßen in Deutschland 15,7 der insgesamt 81,7 Millionen Einwohner einen Migrationshintergrund – also knapp jeder Fünfte. Von ihnen verfügten 10,6 Millionen über „eigene Migrationserfahrung“, sind also selbst zugewandert. Die restlichen 5,1 Millionen Menschen haben mindestens einen Elternteil, der zugewandert ist.96 Die kanadische Statistik erhebt das Merkmal des Migrationshintergrundes nicht, sondern differenziert hauptsächlich zwischen Einwanderern und Einheimischen, also zwischen selbst Zugewanderten mit permanenter Aufenthaltsgenehmigung und in Kanada geborenen Personen. Der langen Geschichte als Einwanderungsland ist es geschuldet, dass Letztere häufig auch als Einwanderer
der zweiten, dritten oder einer höheren Generation bezeichnet werden. Zugleich zeigt die Abgrenzung aber auch die spezifisch kanadische Integrationskultur: Denn Kinder von chinesischen oder kongolesischen Eltern sind de facto Einheimische, wenn sie in Kanada das Licht der Welt erblicken. Nach den letzten verfügbaren Zensuszahlen aus dem Jahr 2006 waren von den damals 31,2 Millionen Einwohnern Kanadas 6,2 Millionen Menschen in einem anderen Land geboren.97 Der prozentuale Anteil der Zuwanderer an der Gesamtbevölkerung lag mit etwa 20 Prozent deutlich höher als in Deutschland, wo laut Mikrozensus 2009 insgesamt 12,3 Millionen Menschen oder knapp 15 Prozent der Bevölkerung zugezogen sind.**
** Die Differenz zwischen der Zahl der selbst Zugewanderten und der Personen mit Migrationshintergrund und eigener Migrationserfahrung ergibt sich aus jenen Personen, die bis einschließlich 1949 als Deutsche auf das heutige Bundesgebiet zugewandert sind. Sie sind Zugewanderte, verfügen aber über keinen Migrationshintergrund.
Berlin-Institut 27
Deutschland: Zuwanderer sind häufiger im Erwerbsalter
Junge, gut gebildete Zuwanderer – vor allem in Kanada
Die Altersstruktur der einheimischen und der zugewanderten Bevölkerung unterscheidet sich in Deutschland erheblich. Während unter den Zuwanderern 72 Prozent im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren sind, liegt der Anteil unter den Einheimischen lediglich bei 65 Prozent. Die für die Wirtschaft günstige Altersverteilung der Zuwandererbevölkerung liegt zum einen daran, dass sie (noch) relativ wenige ältere Menschen umfasst und zum anderen daran, dass es naturgemäß kaum zugewanderte Kinder gibt. Deswegen liegt das Durchschnittsalter der Zuwanderer auch über dem der Einheimischen.
Wer aber sind die Zuwanderer in Deutschland und Kanada? Und wie gut sind sie in den Arbeitsmarkt integriert? Um dies herauszufinden, wäre es wünschenswert, die Charakteristika genau jener Zuwanderer zu analysieren, die als Arbeitskräfte nach Deutschland beziehungsweise Kanada kommen. Leider ist dies mit den verfügbaren Daten nicht
Bevölkerungspyramide Deutschlands 2009 nach Einheimischen und Zuwanderern (EU- und Nicht-EUZuwanderer), in 1.000 Menschen pro Jahrgang (Datengrundlage: Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Statistisches Bundesamt98)
95 Zuwanderer
Einheimische
90 85 80
möglich. Daher werden wir die gesamte Zuwandererbevölkerung unabhängig vom Aufenthaltstitel betrachten. In Deutschland beinhaltet dies sowohl Zuwanderer aus EUStaaten als auch aus anderen Ländern. Um die bestmögliche Datenvergleichbarkeit zu gewährleisten, umfasst die Zuwandererbevölkerung lediglich jene Personen, die selbst zugewandert sind, nicht die größere Gruppe der Personen mit Migrationshintergrund. Die sogenannte zweite Generation der Zuwanderer zählt also zunächst zu den Einheimischen. Zusätzlich schließen wir alle Personen aus, die als Deutsche im Ausland geboren sind, da auch in Kanada im Ausland geborene Kanadier nicht als Zuwanderer zählen. Sie werden weder der Zuwanderer- noch der einheimischen Bevölkerung zugerechnet.* Es fällt auf, dass Zuwanderer zum Zeitpunkt ihrer Einreise im Schnitt jünger sind als die Durchschnittsbevölkerung. Im Jahr 2009 wiesen die Neuankömmlinge in Deutschland einen Altersschnitt von 28,0 Jahren auf und unterschieden sich damit kaum von Zuwanderern nach Kanada.99 Der Altersschnitt der restlichen Bevölkerung lag in Deutschland zur gleichen Zeit bei 42,0 Jahren.100 Besonders jung waren Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten
75 70 65 60 55 50 45 40 35
* Hochrechnungen auf die Gesamtbevölkerung sind bei der Betrachtung von Teilgruppen des Mikrozensus nur bedingt gültig. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist es daher wichtig, zu bedenken, dass diese unter der Prämisse stehen, dass die jeweils von uns betrachtete Gruppe repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist.
30 25 20 15 10 5 0 200
28 Nach Erfolgsmodell Punkten Kanada? vorn
200
400
600
800
1.000
1.200
Die kanadischen und deutschen Daten sind nicht zu 100 Prozent vergleichbar, da in Kanada beispielsweise die temporären Zuwanderer nicht mit in die Statistik einfließen und sich die angegebenen Bildungs- und Berufsabschlüsse in den beiden Ländern zum Teil unterscheiden. Während in Kanada ausschließlich Daten zum höchsten erreichten Bildungsabschluss vorliegen (kein Schulabschluss, High School-Abschluss, High SchoolAbschluss und begonnene postsekundäre Bildung ohne Abschluss, postsekundärer nicht-universitärer Abschluss, Universitätsabschluss), analysieren wir für Deutschland Berufsabschlüsse (kein Berufsabschluss, Lehre/Ausbildung, Hochschulabschluss, andere Abschlüsse). Die Zahlen sind jedoch präzise genug, um einige grundlegende Tendenzen zu verdeutlichen.
Trotz dieser Zahlen weisen die in Deutschland lebenden Zuwanderer mit 43,5 Jahren einen höheren Altersschnitt auf als die einheimische Bevölkerung. Dies liegt vor allem daran, dass verhältnismäßig wenige Kinder nach Deutschland zuwandern, wodurch die jungen Altersgruppen unterbesetzt sind.101 Bei Betrachtung des Bildungsniveaus fällt auf, dass Zuwanderer sowohl in Kanada als auch in Deutschland häufiger über ein abgeschlossenes (Fach-)Hochschulstudium verfügen als Einheimische. Im Jahr 2009 lag der Akademikeranteil in Deutschland unter den Einheimischen ab 15 Jahren bei 13,3 Prozent, bei den Zuwanderern aber bei 14,6 Prozent.102 In Kanada ist das Missverhältnis deutlich stärker ausgeprägt. Im Jahr 2010 verfügten dort 30,6 Prozent aller Zuwanderer ab 15 Jahren über einen Hochschulabschluss, während es unter der einheimischen Bevölkerung 20,9 Prozent waren.103
höher liegt als in der gesamten Zuwandererbevölkerung. In Deutschland besaßen 31,8 Prozent aller Zuwanderer, die das Land in den letzten fünf Jahren erreicht hatten, einen Hochschulabschluss, während es in Kanada sogar 44,7 Prozent waren.104 Dabei offenbarten sich allerdings erhebliche Unterschiede je nach Herkunft der Zuwanderer. So lag der Akademikeranteil in Deutschland mit 27,9 Prozent unter Nicht-EU-Stämmigen deutlich niedriger als unter EU-Stämmigen, von denen 46,1 Prozent über einen Hochschulabschluss verfügten.105
Ein Sonderfaktor in Deutschland ist die weite Verbreitung des dualen Ausbildungssystems. Fast die Hälfte aller ab 15-jährigen Einheimischen verfügt über eine Berufsausbildung als höchsten Abschluss – ein Viertel besitzt dagegen keinerlei berufsqualifizierenden Abschluss. Ungleich schlechter ist die Lage bei den Zuwandereren. Von ihnen kann knapp ein Drittel auf eine abgeschlossene Lehre oder Ausbildung zurückblicken, alarmierende 46,4 Prozent haben dagegen keinen Abschluss. Zuwanderer aus Drittstaaten außerhalb der EU besitzen besonders häufig keinen Berufsabschluss.106
Neuerdings gut qualifizierte Zuwanderer Zuwanderer in Deutschland und Kanada verfügen häufiger über einen Hochschulabschluss als die einheimische Bevölkerung – vor allem jene, die erst in den letzten Jahren ins Land gekommen sind. In Kanada besaßen 2010 etwa 45 Prozent der Menschen, die seit 2006 eingereist waren, einen Universitätsabschluss. Weitere 20 Prozent konnten eine abgeschlossene postsekundäre, nicht-universitäre Ausbildung vorweisen. In Deutschland liegt der Anteil der Hochqualifizierten etwas niedriger, und viele Zuwanderer sind anders als in Kanada gering oder gar nicht qualifiziert.
Deutschland kein Berufsabschluss
In beiden Ländern zeigt sich zudem, dass das durchschnittliche Bildungsniveau unter den erst vor kurzer Zeit Zugewanderten deutlich
Lehre/Ausbildung anderer Abschluss Hochschulabschluss
Einheimische * Zur Abgrenzung der Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten haben wir unter den Zuwanderern, die nicht als Deutsche geboren wurden, nach der ersten Staatsangehörigkeit (für Personen mit doppelter oder ohne deutsche Staatsangehörigkeit) beziehungsweise nach der Staatsangehörigkeit vor der Einbürgerung oder dem Zuzug als Spätaussiedler (für Zuwanderer mit nur der deutschen Staatsangehörigkeit) unterschieden. Zuwanderer aus den in 2004 der EU beigetretenen EU-10-Staaten sowie aus Rumänien und Bulgarien haben wir der Gruppe der Nicht-EU-Länder zugefügt, da für sie zum Zeitpunkt der Datenerhebung in Deutschland noch Übergangsregelungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt galten. Da wir lediglich innerhalb der Gruppe der zwischen 2005 und 2009 nach Deutschland gekommenen Personen nach EU- oder Nicht-EU-Herkunft unterscheiden, werden alle ehemaligen oder aktuellen Staatsangehörigen der EU-15 sowie von Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz der EU zugerechnet.
Zuwanderer
Zuwanderer letzte fünf Jahre
Kanada kein Schulabschluss High School Abschluss postsekundärer, nichtuniversitärer Abschluss Universitätsabschluss Einheimische
Zuwanderer
Zuwanderer letzte fünf Jahre
Bildungs- beziehungsweise Berufsabschlüsse von über 14-jährigen Einheimischen und Zuwanderern in Deutschland (2009) und Kanada (2010) (Datengrundlage: Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Statistisches Bundesamt107; Statistics Canada108)
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KAPITEL 4
mit durchschnittlich 26,4 Jahren.* Sie frischen die alternde Bevölkerung zwischen Rügen und dem Bodensee am stärksten auf.
Die Analyse zeigt, dass sich in Deutschland viele Zuwanderer an den beiden Extremen der Qualifikationsskala wiederfinden, also entweder über gar keinen Berufsabschluss verfügen oder über einen Hochschulabschluss. Besonders hoch liegt der Anteil gering qualifizierter Menschen bei der gesteuerten Zuwanderung, also jener aus Nicht-EU-Staaten. Dies ist eine Folge der Gastarbeiterpolitik der 1950er bis 1970er Jahre, als Deutschland vorwiegend gering gebildete Arbeitskräfte anwarb. Hinsichtlich des Qualifikationsniveaus der Zuwanderer hatte diese Politik einen doppelt negativen Einfluss, denn auch der resultierende Familiennachzug der 1970er bis 1990er Jahre brachte überwiegend gering qualifizierte Menschen nach Deutschland. Demgegenüber haben innereuropäische Wanderungen und die zunehmend selektive Zuwanderungspolitik gegenüber Nicht-EU-Ausländern in den letzten Jahren dazu geführt, dass entgegen der landläufigen Meinung auch viele gut qualifizierte Menschen nach Deutschland kommen.
da lag die Erwerbstätigenquote der Einheimischen zur gleichen Zeit mit 82,2 Prozent etwa auf deutschem Niveau, jene der Zuwanderer mit 74,9 Prozent aber deutlich höher.110 Es fällt auf, dass männliche Zuwanderer in Kanada vergleichbare Erwerbstätigenquoten aufweisen wie in Kanada geborene Männer, die zugewanderten Frauen aber klar hinter einheimischen Frauen zurückbleiben.111 In Deutschland dagegen ist sowohl bei den Männern wie auch bei den Frauen eine deutliche Diskrepanz zwischen Zuwanderern und Einheimischen zu erkennen.112
Defizite auf dem Arbeitsmarkt
Prozent
30 Nach Punkten vorn
Sowohl in Deutschland als auch in Kanada weisen Zuwanderer niedrigere Erwerbstätigenquoten auf als Einheimische. Vor allem jene, die erst vor kurzem ins Land gekommen sind, haben oft Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Das Missverhältnis zwischen Neuankömmlingen und Einheimischen ist in Deutschland stärker ausgeprägt als in Kanada und wäre noch frappierender, wenn die Zuwanderer aus anderen EU-Staaten den Schnitt aller Migranten nicht nach oben ziehen würden.
90
Deutschland
Erwerbstätigenquoten von 25- bis 54-Jährigen in Deutschland und Kanada, 2009 (Datengrundlage: Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Statistisches Bundesamt115; Statistics Canada116)
Kanada
85 80 75 70 65 60 55 50 45
Zuwanderer letzte fünf Jahre
Zuwanderer
EU
Einheimische
...
Nicht-EU
35
Zuwanderer letzte fünf Jahre
40 Zuwanderer
Gemein ist beiden Ländern, dass Zuwanderer trotz ihres höheren Bildungsniveaus seltener erwerbstätig sind als die einheimische Bevölkerung. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen fällt jedoch in Deutschland sehr viel größer aus. Während hierzulande 83,2 Prozent der Einheimischen im Jahr 2009 einer Beschäftigung nachgingen, taten dies nur 68,7 Prozent der Zuwanderer.109 In Kana-
Interessant ist die Situation der zugewanderten Akademiker. Mit 75,6 Prozent weisen sie in Deutschland die höchste Erwerbstätigenquote aller Zuwanderergruppen auf. Gleichzeitig liegen sie aber weit hinter einheimischen Akademikern zurück, von denen
Zuwanderer sind seltener erwerbstätig
Einheimische
Ein wichtiges Merkmal, um die wirtschaftliche Integration der Zuwanderer zu messen, ist die Erwerbstätigenquote – also der prozentuale Anteil der Erwerbstätigen an der gesamten Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Da uns für Kanada lediglich Daten zur Erwerbstätigenquote der 25- bis 54-Jährigen zur Verfügung stehen, werden wir uns auch in Deutschland auf diese Altersgruppe beschränken.
Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass Zuwanderer gerade in den ersten Jahren Schwierigkeiten haben, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Unter den Zuwanderern,
die zwischen 2005 und 2009 nach Deutschland kamen, sind lediglich 57,1 Prozent erwerbstätig.113 Sie liegen damit mehr als elf Prozentpunkte unter dem Schnitt aller Zuwanderer. Besonders betroffen sind wiederum Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten mit einer Erwerbstätigenquote von 51,9 Prozent. Das gleiche Bild zeigt sich in Kanada: Hier sind die in den letzten fünf Jahren zugezogenen Migranten zu 63,6 Prozent erwerbstätig und liegen damit knapp zwölf Prozentpunkte unter dem Schnitt aller Zuwanderer.114
Erwerbstätigenquoten von 25- bis 54-Jährigen nach Bildungsniveau in Kanada und Deutschland, 2009 (Datengrundlage: Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Statistisches Bundesamt121; Statistics Canada122)
den der Datenverfügbarkeit legen wir bei der Analyse für Kanada den Brutto-Stundenlohn zu Grunde, während für Deutschland auf Basis der Mikrozensus-Daten lediglich eine Annäherung an den Netto-Stundenlohn errechnet werden kann.* Die Daten der beiden Länder sind damit nur bedingt vergleichbar.
Abermals zeigt sich, dass Zuwanderer in beiden Ländern schlechter gestellt sind als Einheimische. Während Letztere in DeutschZuwanderer verdienen weniger land 2009 im Schnitt 11,38 Euro pro Stunde verdienten, mussten sich Zuwanderer mit Neben der Erwerbstätigkeit ist das Gehalt ein 10,37 Euro begnügen. In Kanada lag der wichtiges Merkmal der ArbeitsmarktintegraBrutto-Stundenlohn eines einheimischen tion. Da Nicht-Erwerbstätige hierbei außen vor Erwerbstätigen 2008 bei 23,72 Kanadischen bleiben, erlaubt das Gehalt einen genaueren Dollar, der eines Zuwanderers bei lediglich Blick auf die Lage jener Zuwanderer, die im 21,44 Dollar.123 Zielland einen Job gefunden haben. Aus Grün-
* Grundlage der Annäherung an den Netto-Stundenlohn ist das monatliche Netto-Einkommen, das im Mikrozensus in Form von 24 verschiedenen Kategorien abgefragt wird. Sie reichen von „unter 150 Euro“ bis „18.000 Euro und mehr“. Um einen Durchschnitt errechnen zu können, haben wir jeder Person einer bestimmten Einkommensklasse den Durchschnittswert dieser Kategorie als Monatseinkommen zugewiesen. Die nach oben offene 24. Kategorie wurde außen vor gelassen. Da das Monatseinkommen aus vielen verschiedenen Quellen stammen kann (etwa Transferzahlungen des Staates, Kapitaleinkünfte oder Gratifikationen), haben wir lediglich jene Menschen betrachtet, die angaben, ihre Haupteinkommensquelle sei ihre Erwerbstätigkeit. Um die größtmögliche Vergleichbarkeit mit den Daten aus Kanada zu gewährleisten, haben wir außerdem nur die Altersgruppe der 25- bis 54-Jährigen betrachtet, alle Selbstständigen aus der Stichprobe entfernt und nur jene analysiert, die im Mikrozensus beim Monatseinkommen eine positive Angabe gemacht haben. In einem zweiten Schritt haben wir das Monatseinkommen durch die durchschnittlich gearbeiteten Stunden pro Monat geteilt.
Berlin-Institut 31
KAPITEL 4
Universitätsabschluss
postsekundärer, nicht-universitärer Abschluss
...
High School Abschluss
...
35
ohne Schulabschluss
40
35
Hochschulabschluss
40 andere Abschlüsse
45 Lehre/ Ausbildung
50
45 ohne Berufsabschluss
50
alle
Ein ähnliches Bild wie bei der Erwerbstätigkeit zeigt sich bei der Arbeitslosigkeit. Im Jahr 2009 waren 5,6 Prozent der in Deutschland geborenen Personen zwischen 25 und 54 Jahren arbeitslos, aber 9,9 Prozent der Zuwanderer. In Kanada lagen die Zahlen bei 6,4 respektive 9,6 Prozent.119 Auch die Arbeitslosigkeit verringert sich mit dem Bildungsstand, jedoch werden die Unterschiede zwischen Einheimischen und Zuwanderern größer. So weisen zugewanderte Akademiker mit 7,8 Prozent zwar die niedrigste Arbeitslosenquote unter den Zuwanderern auf, sind aber fast viermal so oft arbeitslos wie einheimische Akademiker (2,1 Prozent). Deutlich geringer waren die Unterschiede bei den Personen mit einer beruflichen Ausbildungg (9,0 gegenüber 6,3 Prozent) und den Personen ohne jeglichen Berufsabschluss (11,9 gegenüber 10,5 Prozent).120
alle
Hochqualifizierte benachteiligt 92,6 Prozent erwerbstätig sind. Besonders schlecht schneiden die in den letzten fünf JahSowohl in Deutschland als auch in Kanada sind Zuwanderer aller Bildungsniveaus seltener erwerbstätig als ren zugewanderte Akademiker aus Nicht-EUEinheimische. In Deutschland ist das Missverhältnis allerdings deutlich stärker ausgeprägt. In beiden Ländern Staaten mit einer Quote von 57,8 Prozent ab.117 können vor allem zugewanderte Hochschulabsolventen nicht mit den sehr hohen Erwerbstätigenquoten einheiIn Kanada zeigt sich wiederum ein ähnliches mischer Akademiker mithalten. Muster, allerdings fallen die Unterschiede zwiZuwanderer Zuwanderer Deutschland Kanada schen Zuwanderern und Einheimischen einmal Prozent Prozent Einheimische Einheimische mehr geringer aus. Einer Erwerbstätigenquote von 90,2 Prozent unter einheimischen Akade- 90 90 mikern steht dort eine Quote von 78,7 Prozent 85 85 unter Zuwanderern gegenüber.118 Die Tatsache, 80 80 dass Zuwanderer in Kanada im Vergleich zu Deutschland häufiger erwerbstätig sind, lässt 75 75 sich also nur teilweise darauf zurückführen, 70 70 dass Kanada im Schnitt besser qualifizierte 65 65 Migranten anzieht. Denn auch bei gleichem 60 60 Qualifikationsniveau wie die Einheimischen finden Zuwanderer dort häufiger einen Job. 55 55
Das Gehalt hängt von der Herkunft ab Zuwanderer verdienen in Deutschland im Schnitt pro Stunde rund einen Euro weniger als Einheimische. Akademiker verdienen zwar mehr als andere Zuwanderer, liegen aber 1,50 Euro beziehungsweise zehn Prozent hinter einheimischen Hochschulabsolventen zurück. Zudem weisen sie je nach Herkunftsregion erhebliche Einkommensunterschiede auf. Hochschulabsolventen, die zwischen 2005 und 2009 von der innereuropäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch machten und sich 2009 noch in Deutschland befanden, verdienten mit stündlich 18,18 Euro etwa eineinhalb mal so viel wie Akademiker aus Nicht-EU-Staaten, die lediglich auf 12,87 Euro kamen. Die europäische Migrationselite steht damit deutlich besser da als einheimische Akademiker. Einheimische
€ 11,38
Zuwanderer
€ 10,37
Zuwanderer mit Hochschulabschluss schneiden zwar wiederum besser ab als andere Zuwanderer, bleiben aber gleichzeitig im Vergleich mit einheimischen Akademikern weiter zurück als alle anderen Zuwanderergruppen. Während die Differenz in Deutschland bei etwa zehn Prozent liegt, klaffte in Kanada sogar eine Lücke von 17 Prozent.125 Ein Teil dieser Diskrepanz lässt sich damit erklären, dass in Kanada Bruttolöhne betrachtet werden. Durch das progressive Steuersystem, das besser Verdienende höher belastet, dürften die Unterschiede bei den Netto-Einkünften geringer liegen. In Kanada zeigt sich zudem abermals, dass erst vor kurzem zugewanderte Personen besonders schlecht abschneiden. Sie verdienten 2008 im Schnitt mehr als fünf Kanadische Dollar weniger als die einheimische Bevölkerung.126 In Deutschland schneiden Zuwanderer, die in den letzten fünf Jahren ins Land gekommen sind, dagegen besser ab als der Rest der Zuwandererbevölkerung. Sie verdienten 2009 im Schnitt 11,66 Euro und damit sogar mehr als die einheimische Bevölkerung. Erklären lässt sich diese auf den ersten Blick überraschende Tatsache damit, dass der Anteil Hochqualifizierter, die den Gehaltsschnitt
32 Nach Punkten vorn
einheimische Akademiker
€ 15,41
zugewanderte Akademiker
€ 13,92
nach oben ziehen, zwischen 2005 und 2009 besonders hoch war – vor allem unter den Zuwanderern von innerhalb der EU, die in Deutschland sogar deutlich mehr verdienen als einheimische Hochschulabsolventen. Wie stark die Diskrepanz zwischen Akademikern aus EU-Ländern und Akademikern aus Drittstaaten tatsächlich ist, verdeutlichen deren jeweilige Stundenlöhne. Sie lagen 2009 bei 18,18 Euro für EU-Zuwanderer und 12,87 Euro für Nicht-EU-Zuwanderer.127
Geringe Aufstiegschancen für zweite Generation in Deutschland Die durchgeführte Analyse hat gezeigt, dass es weiterhin erhebliche Unterschiede zwischen Einheimischen und Zuwanderern beim Bildungsstand und beim Erfolg auf dem Arbeitsmarkt gibt. Vor allem Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten, denen das Hauptinteresse dieser Studie gilt, erzielen in Deutschland unterdurchschnittliche Ergebnisse. Doch wie sieht es mit den Kindern der Zuwanderer aus? Schneiden sie erfolgreicher ab als ihre Eltern? Oder verfestigen sich sozioökonomische Unterschiede in der zweiten Zuwanderergeneration?
zugewanderte Akademiker (letzte fünf Jahre, Nicht-EU)
€ 12,87
Netto-Stundenlohn in Euro in Deutschland, 2009 (Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Statistisches Bundesamt124)
zugewanderte Akademiker (letzte fünf Jahre, EU)
€ 18,18
Zur zweiten Zuwanderergeneration zählen wir zunächst allein solche Personen, deren beide Elternteile als Ausländer oder Aussiedler auf das heutige Bundesgebiet zugewandert sind, die aber selbst in Deutschland geboren sind. Im Schnitt sind Zuwanderer der zweiten Generation in unserer Stichprobe 11,1 Jahre alt und damit deutlich jünger als die Gesamtbevölkerung.128 Um eine allzu starke Verzerrung bei der Erwerbstätigkeit und vor allem bei den Löhnen zu vermeiden, werden wir daher lediglich die relativ kleine Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen betrachten. Gemessen an ihren Berufsabschlüssen gleichen Zuwandererkinder in Deutschland eher ihren Eltern als den Einheimischen. 39,7 Prozent von ihnen verfügten 2009 über keinerlei Berufsabschluss, lediglich 12,0 Prozent über eine Hochschulbildung. Unter den Einheimischen lagen die Zahlen in derselben Altersgruppe bei 17,9 respektive 22,0 Prozent.129 Interessanter als die absoluten Zahlen ist jedoch, inwiefern Zuwanderer-
* Bei der Unterstichprobe handelt es sich um das Ad-hoc-Modul, das sich im Jahr 2009 im Rahmen des EU Labour Force Surveys dem „Übergang junger Menschen in den Arbeitsmarkt“ widmete und speziell 15- bis 34-Jährige ansprach.
In Deutschland sind Zuwandererkinder dagegen deutlich seltener erwerbstätig und häufiger arbeitslos als andere. Während Kinder zweier in Deutschland geborener Personen im Alter von 25 bis 34 Jahren 2009 zu 80,5 Prozent erwerbstätig waren, traf dies nur auf 65,3 Prozent der Personen mit zwei zugewanderten Elternteilen und 67,5 Prozent der Personen mit einem zugewanderten Elternteil zu. Und rund 20 Prozent der betrachteten Zuwandererkinder waren 2009 arbeitslos, aber nur 6,7 Prozent der Kinder von in Deutschland Geborenen.136
Eine gänzlich andere Situation präsentiert sich in Kanada. Zuwandererkinder haben dort ein deutlich höheres Bildungsniveau als die Kinder von Einheimischen.132 Der bessere Bildungsstand ihrer Eltern kann dieses Phänomen nur zur Hälfte erklären.133 Zuwandererkinder erzielen also im kanadischen Bildungssystem unabhängig vom Bildungsstand der Eltern bessere Ergebnisse als Kinder von in Kanada geborenen Eltern. Einige Zahlen verdeutlichen dies: Fast ein Drittel (30 Prozent) aller 25- bis bis 39-Jährigen aus Nicht-AkaAuf der Überholspur demiker-Haushalten mit mindestens einem zugewanderten Elternteil konnte im Jahr 2009 einen Hochschulabschluss vorweisen – unter Während die zweite Generation der Zuwanderer in Deutschland geringere Chancen auf den sozialen den Kindern nicht zugewanderter Eltern ohne Aufstieg über Bildung aufweist als Kinder einheiHochschulabschluss waren es lediglich 21 mischer Eltern, übertreffen Zuwandererkinder ihre Prozent.134 Im Vergleich zu Deutschland fallen einheimischen Altersgenossen in Kanada problemlos. Ein Drittel aller Kinder von zugewanderten Nicht-Akazwei Dinge auf: Erstens scheint die soziale Mobilität in Kanada generell höher zu sein als demikern erlangen dort einen Hochschulabschluss. Die scheinbar extrem geringe soziale Mobilität in hierzulande, und zweitens gilt dies besonders Deutschland lässt sich nur teilweise damit erklären, für Zuwanderer der zweiten Generation. dass hierzulande auch eine qualifizierte Berufsausmindestens ein Elternteil zugewandert kein Elternteil zugewandert 30
Prozentualer Anteil der Bevölkerung im Alter von 25 bis 34 Jahren (Kanada 25 bis 39 Jahre) mit Hochschulabschluss wenn kein Elternteil einen Hochschulabschluss besitzt, 2009 (Datengrundlage: Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Statistisches Bundesamt137; M. Turcotte138)
25
20
15
10
5
Berlin-Institut 33
KAPITEL 4
bildung gute Jobchancen gewährleistet.
Ihr Bildungsvorsprung hilft Zuwandererkindern auch auf dem kanadischen Arbeitsmarkt, wo sie im Schnitt seltener arbeitslos sind und höhere Gehälter beziehen als Kinder von Einheimischen. Bei gleichem Bildungsstand verdienen Zuwandererkinder allerdings weniger als andere. Vor allem Angehörige von visible minorities, also der meisten nichteuropäischen Zuwanderer, leiden hierunter. Sie, die einen Großteil der „neuen“ Zuwanderung seit den 1960er Jahren stellen, verdienen trotz ihres Bildungsvorsprungs durchschnittlich sogar weniger als Kanadier, die keiner visible minority angehören. Immerhin ist das Defizit gegenüber Kindern von Einheimischen kleiner als es im Fall ihrer Elterngeneration war.135 Dies deutet darauf hin, dass es Kanada schafft, auch jene Zuwanderergruppen, die auf dem Arbeitsmarkt zunächst besonders schlechte Ergebnisse erzielen, etwa Afrikaner und auch viele Asiaten, über die Generationen hinweg an die einheimische Bevölkerung heranzuführen.
Kanada
Von den 25- bis 34-Jährigen, deren beide Elternteile über keinen Hochschulabschluss verfügen, hatten demnach 2009 in Deutschland 15,5 Prozent den Aufstieg zum Akademiker geschafft. Kinder, deren Eltern beide in Deutschland geboren wurden, besaßen mit 16,1 Prozent die höchsten Aufstiegschancen. Unter den 43 in der Unterstichprobe beobachteten Kindern mit zwei zugewanderten Elternteilen ohne akademischen Abschluss konnte dagegen kein einziger eine Hochschulbildung vorweisen. Wenn nur mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurde, waren es 3,4 Prozent.130 Zweifellos können diese Zahlen keine genaue Diagnose abgeben, doch lassen sie vermuten, dass der soziale Aufstieg in Deutschland für Zuwandererkinder schwieriger ist als für Einheimische. Analysen anderer Autoren, die beispielsweise das Einkommen von Eltern und ihren Kindern messen, kommen zu ähnlichen Ergebnissen.131
In Kanada stellen Zuwandererkinder die Bildungselite
Deutschland
und einheimische Kinder in Deutschland es schaffen, ihren Berufsabschluss im Vergleich zu ihren Eltern zu verbessern. Da der Berufsabschluss der Eltern allerdings nur in einer zehnprozentigen, freiwilligen Unterstichprobe des Mikrozensus abgefragt wurde, sind die Fallzahlen der Analyse relativ gering und lassen nur grobe Tendenzen erkennen.*
5
DAS KANADISCHE SYSTEM IN DER PRAXIS
Kanada zieht mehr Zuwanderer an als Deutschland – sowohl relativ zu seiner Gesamtbevölkerung als auch absolut gesehen. Auch der Anteil der Arbeitsmigranten an allen Zuwanderern liegt dort höher als hierzulande. Außerdem gelingt es Kanada, unter seinen Zuwanderern ein höheres Bil-
dungsniveau zu erzielen, was sich wiederum positiv auf die Integration in den Arbeitsmarkt auswirkt. Und schließlich erreichen die Kinder von Zuwanderern hier anders als in Deutschland höhere Bildungsabschlüsse als Einheimische.
Worauf lässt sich all dies zurückführen? Und warum haben Zuwanderer trotz allem auch in Kanada größere Probleme auf dem Arbeitsmarkt als Einheimische? Die Antworten auf diese Fragen können wertvolle Erkenntnisse darüber liefern, welche Maßnahmen der kanadischen Zuwanderungs- und Integrationspolitik auch für Deutschland interessant sein können.
Kanada liegt vorne Prozentualer Vorsprung Kanadas gegenüber Deutschland (Eigene Berechnungen auf Grundlage von Statistics Canada, Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2009)
Jährlicher Zuwanderungsgewinn je 1.000 Einwohner, Mittelwert 2007 – 2011
7,6
Prozentualer Anteil von Hochschulabsolventen unter Kindern mit mindestens einem zugewanderten Elternteil, 25 bis 34 Jahre (Kanada bis 39 Jahre), 2009
40,2
+ 209 %
Prozentualer Anteil von Arbeitsmigranten an allen Zuwanderern, 2010
27,0
+ 111 %
Prozentualer Anteil von Hochschulabsolventen an allen Zuwanderern (in Deutschland aus Drittstaaten), 2005 bis 2009 (Kanada 2006 bis 2010)
Erwerbstätigenquote von Zuwanderern im Alter von 25 bis 54 Jahren, 2009
44,7
74,9
+ 60 %
+9%
27,9
68,7
+ 744 % 12,8 13,0 0,9
34 Nach Punkten vorn
Seit Jahrzehnten wirbt Kanada aktiv Hochqualifizierte und Fachkräfte an und verzeichnet weltweit mit die höchsten Wanderungsüberschüsse. In Deutschland dagegen setzt sich die Erkenntnis nur langsam durch, dass Zuwanderung von Arbeitskräften unumgänglich ist, um unser Wohlstandsniveau auch in Zukunft weiter auszubauen. Noch weniger Klarheit herrscht in Deutschland bei der Frage, wie die Zuwanderungspolitik praktisch organisiert werden soll. Um mögliche Maßnahmen einzuordnen, ist es zunächst wichtig, eine Klassifizierung verschiedener Steuerungsmechanismen vorzunehmen. Für den Vergleich zwischen Kanada und Deutschland erscheint die Unterscheidung zwischen humankapitalorientierten und arbeitsmarktgesteuerten Modellen zweckmäßig. Im ersten Fall werden Zuwanderer aufgrund ihrer Fähigkeiten so ausgewählt, dass sie langfristig den größtmöglichen Beitrag zur Volkswirtschaft des Aufnahmelandes leisten. In der Praxis handelt es sich dabei meist um hochqualifizierte Personen, die den Anforderungen einer modernen Wissensökonomie entsprechen, und denen zugetraut wird, sich leicht in einer fremden Gesellschaft zurechtzufinden. Im zweiten Fall liegt
der Fokus vorwiegend darauf, kurzfristige Engpässe auf dem Arbeitsmarkt zu beheben. Zuwanderer benötigen daher für die Einreise generell ein konkretes Jobangebot. Zu den Stärken von humankapitalorientierten Modellen zählt, dass sie mittels eines Punktesystems passgenau den Zuzug von Menschen mit bestimmten Fähigkeiten und Potenzialen ermöglichen. Ein weiterer Vorteil ist, dass sie für potenzielle Zuwanderer leicht zu verstehen und aus dem gleichen Grund auch in der Bevölkerung akzeptiert sind. Da die Bewertungskriterien klar festgelegt sind, verfügen Punktesysteme über einen hohen Grad an Transparenz. Auch nach außen sendet ein Land mit einem Punktesystem ein Signal der Offenheit. Diesen Vorteilen stehen jedoch auch einige Nachteile gegenüber. So verursachen Punktesysteme einen erheblichen Verwaltungsaufwand, etwa durch das Prüfen der Bewerbungen. Je nach Ausgestaltung des Systems kann die Integration der Zuwanderer zudem vorübergehend Kosten für die Aufnahmegesellschaft nach sich ziehen. Diese Kosten werden umso höher, je länger die Neuankömmlinge ohne Beschäftigung bleiben. Zudem besteht die Gefahr, dass sich die Zuwanderer nicht dort ansiedeln, wo sie aus volkswirtschaftlicher Sicht benötigt werden.
Kanada gilt international mit seinem Punktesystem, das Zuwanderern weitgehend unabhängig von einem konkreten Arbeitsplatzangebot die Einreise ins Land gewährt, als Vorreiter der humankapitalorientierten Zuwanderungssteuerung. Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland setzt dagegen üblicherweise ein vorhandenes Arbeitsplatzangebot voraus und ist somit arbeitsmarktgesteuert. Da diese Art der Zuwanderung direkt in die Beschäftigung führt, dürften die kurzfristigen Integrationskosten niedriger ausfallen. Zudem kann mit Arbeitsmarkttests vermieden werden, dass die Zuwanderung unerwünschte Nebeneffekte auf den Arbeitsmarkt ausübt, etwa die Verdrängung einheimischer Arbeitskräfte durch Lohndumping. Und schließlich können arbeitsmarktgesteuerte Zuwanderungsmodelle schneller auf kurzfristige Engpässe reagieren – auch jenseits des Hochqualifizierten-Segments. Der Hauptnachteil arbeitsmarktorientierter Steuerungsmodelle ist, dass sie den Zuzug für Arbeitskräfte erschweren, da diese sich bereits in ihrer Heimat um eine Anstellung im Zielland bemühen müssen. Ohne Netzwerke, Kontakte und Kenntnisse des Arbeitsmarkts ist dies oft kaum möglich. Zudem besteht die Gefahr, dass Zuwanderer von ihrem Arbeitgeber ausgenutzt werden, da ihr Aufenthalt unter Umständen von der Beschäftigung abhängt.139
Berlin-Institut 35
KAPITEL 5.1
5.1
DIE AUSWAHL DER ZUWANDERER
In den 1980er Jahren verschlechtert sich in Kanada die Integration 1967 führte die kanadische Regierung das Federal Skilled Worker Program ein, das bis heute das Herzstück der Zuwanderungspolitik ist. Mit Hilfe eines Punktesystems wählt sie dabei jährlich eine bestimmte Zahl an Menschen aus, denen sie mitsamt ihren Familienangehörigen ein dauerhaftes Bleiberecht ausspricht. In der Anfangszeit des Punktesystems funktionierte die Integration relativ reibungslos. Neuankömmlinge aller Zuwanderungskategorien fanden schnell einen Job und verdienten ähnlich gut wie die einheimische Bevölkerung. So bezogen Männer, die in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nach Kanada zuwanderten, in den ersten fünf Jahren ihres Aufenthalts Einkommen in Höhe von etwa 90 Prozent der in Kanada geborenen Bevölkerung. Nach elf bis 15 Jahren erreichten sie das Niveau der Einheimischen und überflügelten diese sogar nach einem Aufenthalt von mindestens 20 Jahren. Ähnliches war für zugewanderte Frauen zu beobachten.140 In den 1980er Jahren begann sich die wirtschaftliche Lage der Zuwanderer jedoch zu verschlechtern. Männer verdienten in den ersten fünf Jahren ihres Aufenthalts im Schnitt knapp 30 Prozent weniger als Einheimische.141 In den 1990er Jahren setzte sich der Trend fort, so dass Neuankömmlinge im Jahr 2000 etwa 13 Prozent weniger verdienten als noch 1980, während die Einkommen der Einheimischen im gleichen Zeitraum um zehn Prozent gestiegen waren.142 Vor allem am unteren Ende der Gehaltsskala weiteten sich die Unterschiede. Fielen im Jahr 1980 noch 24,6 Prozent der Neuankömmlinge
36 Nach Punkten vorn
Stärken und Schwächen zweier Modelle Humankapitalorientierte Zuwanderungsmodelle richten ihren Fokus auf eine langfristig erfolgreiche Integration der Zuwanderer. Hierfür wählen sie die Zuwanderer in der Regel unabhängig von einem Jobangebot nach deren allgemeinen Fähigkeiten und Kenntnissen aus. Diese Modelle sind jedoch aufwändig zu handhaben und verursachen häufig kurzfristige Kosten, wenn Neuankömmlinge nicht sofort eine Beschäftigung finden. Arbeitsmarktgesteuerte Zuwanderungsmodelle vermeiden kurzfristige Kosten, da sie bei der Einreise ein vorhandenes Jobangebot voraussetzen. Probleme können sich hier einstellen, wenn Zuwanderer ihren Job verlieren. Zudem ziehen sie in der Regel weniger Zuwanderer an, da es ohne Kontakte und Netzwerke im Zielland oftmals sehr schwierig ist, einen Job zu finden.
Humankapitalorientierte Zuwanderung
Arbeitsmarktgesteuerte Zuwanderung
Vorteile
Vorteile
• Passgenaue Zuwanderungssteuerung
• Schnelle Integration in den Arbeitsmarkt
• Transparenz • Effektiv gegen kurzfristige Engpässe • Signal der Offenheit nach außen
Nachteile
Nachteile
• Hoher Verwaltungsaufwand
• Jobsuche aus dem Ausland schwierig
• Kurzfristige Mehrkosten für Integration
• Risiko von langfristigen Kosten bei Jobverlust
• Arbeitskräfte landen evtl. nicht dort, wo sie erwünscht sind
• Mögliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber
(Eigene Darstellung)
in die Kategorie Geringverdiener, waren es 2000 bereits 35,8 Prozent. Unter den Einheimischen sank die Rate währenddessen. Die Gefahr, in niedrige Einkommensklassen zu rutschen, war dabei mit 35 bis 45 Prozent vor allem im ersten Jahr nach der Ankunft extrem hoch. Und für viele Zuwanderer blieb dies kein vorübergehender Zustand, sondern hielt mehrere Jahre an.143
Zwar schnitten die über das Punktesystem ausgewählten Zuwanderer deutlich besser ab als andere, doch war die schlechte wirtschaftliche Lage der Zuwanderer dennoch ein Grund dafür, dass die kanadische Regierung die Punkteverteilung im Federal Skilled Worker Program 1986 und 1993
überarbeitete.144 Sie setzte den Wert allgemeiner Fähigkeiten wie etwa Bildung oder Sprachkenntnisse herauf und jenen berufsspezifischer Qualifikationen herunter. Zudem erhöhte sie den Anteil der Wirtschaftsmigranten an allen Zuwanderern. Das System erhielt so erstmals einen klaren am Humankapital der Neuankömmlinge orientierten Anstrich.
zwischen Migranten und Einheimischen nie auf einem derart hohen Niveau wie bei den Einkommen.146 Dies deutet darauf hin, dass viele Neuankömmlinge zwar einen Job in Kanada fanden, allerdings keinen, der ihren mitgebrachten Qualifikationen entsprach, beziehungsweise keinen, der ihre Fähigkeiten adäquat entlohnte.
Die erhoffte Wirkung der Reformen stellte sich jedoch nur teilweise ein. Zwar besaß im Jahr 2000 ein Viertel aller Neuankömmlinge einen Universitätsabschluss – 1980 waren es noch lediglich sechs Prozent gewesen –, doch blieben die Einkommen der Zuwanderer weit hinter denen der Einheimischen zurück.145 Geringfügig besser sah es bei der Erwerbstätigkeit aus. Zwar ging sie unter den Zuwandereren ebenfalls bis Mitte der 1990er Jahre zurück, doch bewegte sich der Unterschied
Trotz der schlechten Zahlen versagte das Punktesystem nicht grundsätzlich: Untersuchungen unter Zuwanderern der Jahre 2000 und 2001 zeigen, dass diejenigen, die eine höhere Punktzahl erreichten, auch bessere Integrationserfolge erzielten. So stiegen die Einkommen mit jedem zusätzlich erzielten Punkt im Schnitt um zwei Prozent, während die Wahrscheinlichkeit, erwerbstätig zu sein, um ein halbes Prozent wuchs. Bewerber am oberen Ende der Skala, also jene mit mindestens 70 Punkten, profitierten von jedem zusätzlichen Punkt überproportional.147
Zuwanderer fallen zurück Während Zuwanderer in den 1970er Jahren schon kurz nach ihrer Ankunft in Kanada ähnlich gut verdienten wie Einheimische und spätestens nach 20 Jahren im Land zu Letzteren aufschließen konnten, fielen neue Zuwanderer in den 1980er und 1990er Jahren immer weiter zurück. Selbst bei gleichem Bildungsstand verdienten sie Mitte der 1990er Jahre bei ihrer Ankunft über 40 Prozent weniger. Ob sie in der Lage sind, diesen Rückstand im Laufe der Zeit aufzuholen, ist noch nicht absehbar.
Im Ausland erworbene Fähigkeiten von geringem Wert Womit aber ließen sich die zurückgehenden Integrationserfolge erklären? An erster Stelle ist hierbei zu nennen, dass in den 1980er und frühen 1990er Jahren immer mehr Menschen aus nicht-europäischen Ländern nach Kanada kamen. Sie brachten oft geringe englische oder französische Sprachkenntnisse mit, was die Integration erheblich erschwerte.149 Diskriminierung seitens der Aufnahmegesellschaft machte den Start ins neue Leben zusätzlich schwieriger. Des Weiteren ließ sich bereits in den 1980er Jahren der Trend beobachten, dass kanadische Arbeitgeber im Ausland erworbene Arbeitserfahrung immer weniger wertschätzten. Dies setzte sich fort und hat inzwischen dazu geführt, dass Zuwanderer mit 20 Jahren ausländischer Arbeitserfahrung kaum mehr verdienen als jene ohne Erfahrung. Als kontraproduktiv erwies sich auch die hohe Punktevergabe für spezifische Berufsgruppen. Sie führte in den 1990er Jahren zu einer starken Zuwanderung von IT-Fachleuten, die mit dem Zusammenbruch der New Economy schlagartig arbeitslos wurden.150
Einkommen von Zuwanderern im Verhältnis zu dem von Einheimischen 1,2
1,2 Frauen
1,0
1,0
0,8
0,8 1970 bis 1974 1975 bis 1979 1980 bis 1984
0,6 0,4
1985 bis 1989 1990 bis 1994 1995 bis 1999
0,2 0
1970 bis 1974 1975 bis 1979 1980 bis 1984
0,6 0,4
1985 bis 1989 1990 bis 1994 1995 bis 1999
0,2 0
1 bis 5 6 bis 10 Jahre seit der Zuwanderung
11 bis 15
16 bis 20
21 bis 25
1 bis 5
6 bis 10
11 bis 15
16 bis 20
21 bis 25
Verhältnis der Einkommen* von ganzjährig in Vollzeit beschäftigten Einwanderern zwischen 16 und 64 Jahren zu Einheimischen mit den gleichen Charakteristika (Bildung, Erfahrung, Ethnie, Provinz, Familienstand) in Kanada nach Zuwanderungszeitraum, Einheimische = 1 (Datengrundlage: Frenette, M. & Morissette, R., 2003148) * Analysegrundlage war der Logarithmus der Einkommen. Die Unterschiede sind in etwa mit prozentualen Unterschieden gleichzusetzen.
Berlin-Institut 37
KAPITEL 5.1
Männer
1967
1978
1986
1993
2002
2013
Bildung
20
12
12
15
25
20
Sprache
10
10
15
14
24
28
Nachfrage nach Beruf
15
15
10
10
Art des Berufs
10
15
15
17
8
8
8
21
15
10
12
10
15
10
10
Berufserfahrung Alter
10
10
10
10
Persönliche Eignung (subjektive Einschätzung)
15
10
10
10
10
8
10
10
Demografischer Faktor Arbeitsplatzangebot
10
10
Integrationsfähigkeit Verwandter als Sponsor
5
5
Zielregion
5
5
50
50
Mindestpunktzahl
Ein häufig zitierter Grund für die sich verschlechternde Lage der Zuwanderer am Arbeitsmarkt ist, dass ihre Bildungsabschlüsse von kanadischen Arbeitgebern zunehmend kritisch beurteilt worden seien. Doch dies trifft nicht zu. Denn Zuwanderer verdienen in Kanada bei gleichem Abschluss schon seit jeher weniger als Einheimische. Daran hat sich in den 1980er Jahren wenig geändert.152 Warum aber verdienen Zuwanderer selbst bei gleicher Bildung weniger? Zwei mögliche Erklärungen drängen sich auf: Entweder werden sie von kanadischen Arbeitgebern diskriminiert oder die Qualität ihrer Bildungsabschlüsse ist tatsächlich minderwertig, so dass ihre formalen Abschlüsse nicht
38 Nach Punkten vorn
70
67
75 (ab 2003: 67)
67
adäquat ihre tatsächliche Leistungsfähigkeit widerspiegeln. Um herauszufinden, welche der beiden Erklärungen zutrifft, haben Forscher Einheimische und Zuwanderer Tests unterzogen, die allgemeine Fähigkeiten und Kenntnisse direkt festzustellen versuchen. Das Ergebnis: Zuwanderer sind bei gleichem Bildungsstand weniger leistungsfähig als Einheimische. Mehr noch: Bei gleichen Testergebnissen verdienten Zuwanderer gar nicht weniger als Einheimische.153 All dies deutet darauf hin, dass ausländische Bildungsabschlüsse häufig nicht kanadischen Standards entsprechen. Ein Restzweifel bleibt dennoch: Denn die schlechteren Testergebnisse von Zuwanderern könnten auch darauf zurückzuführen sein, dass diese aufgrund von Sprachschwierigkeiten in den Prüfungen nicht ihre
Punktesystem ist nicht gleich Punktesystem Im Laufe der Jahre hat die kanadische Regierung ihr Punktesystem wiederholt überarbeitet. Die Reformen haben das Programm zu einem Humankapitalsystem umgebaut, das Zuwanderer aufgrund ihrer allgemeinen Fähigkeiten und Erfahrungen auswählt. So verteilt die Regierung inzwischen keine Punkte mehr für spezifische Berufsgruppen. Das „reine“ Humankapitalmodell existierte dennoch lediglich bis 2008, als die Regierung der Punktewertung eine generelle Zulassungsbeschränkung vorschaltete. Inzwischen können sich nur noch solche Personen bewerben, die entweder einen von 29 „Mangelberufen“ erlernt haben, über ein bestehendes Jobangebot in Kanada verfügen oder ein kanadisches Promotionsstudium absolviert haben.
Erreichbare Höchstpunktzahl je Kategorie und Mindestgesamtpunktzahl im kanadischen Punktesystem, 1967 bis 2013 (Datengrundlage: Green, A. & Green, D., 2004151; Citizenship and Immigration Canada)
vollen Fähigkeiten zeigen konnten. Dafür spricht, dass Zuwanderer und Einheimische bei gleichen Sprachkenntnissen und gleichem Bildungsstand ähnliche Gehälter erzielen.154
Erfolgreicher Wechsel zur reinen Humankapitalsteuerung Mit dem Immigration and Refugee Protection Act versuchte die kanadische Regierung im Jahr 2002 einige der Probleme zu lösen, die mitverantwortlich waren für die schlechten Arbeitsmarktdaten der Zuwanderer. Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der IT-Branche eliminierte sie jegliche Punktevergabe für einzelne Berufsgruppen. Mit den
Hatte die Regierung dem Punktesystem in den 1980er und 1990er Jahren erstmals einen humankapitalorientierten Anstrich gegeben, hatte sie nun ein Humankapitalsystem in Reinform geschaffen. Die Auswirkungen der Reform waren überwiegend positiv. Vor allem die gestiegenen Wertigkeiten von Sprachkenntnissen und Bildungsabschlüssen hatten einen klar messbaren positiven Effekt auf die Integrationserfolge.155 Wissenschaftler fanden dies heraus, indem sie sich die Tatsache zunutze machten, dass in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes ein Teil der Zuwanderer noch nach den alten Richtlinien ausgewählt wurde und ein anderer Teil bereits nach den neuen. So verdienten Neuankömmlinge, die unter die neuen Regelungen fielen, im Jahr 2005 im Schnitt 40.000 Kanadische Dollar im Jahr, jene, die unter die alten Regelungen fielen, dagegen nur 24.000 Dollar. Im Jahr 2005 gaben zudem 80 Prozent aller nach den neuen Kriterien ausgewählten Zuwanderer an, ein Jahr nach ihrer Ankunft in Kanada als Angestellte oder Selbstständige erwerbstätig gewesen zu sein.156 Dass das humankapitalorientierte System häufig für die sich leicht verschlechternde Situation der Zuwanderer zu Beginn des neuen Jahrtausends verantwortlich gemacht wird, ist somit falsch. Denn noch bis 2005 wurden Zuwanderer fast ausschließlich nach den alten Regularien ausgewählt.157 Zwar ist es noch zu früh, den langfristigen Erfolg der Reformen zu beurteilen, doch liegen die Gefahren des Punktesystems ohnehin hauptsächlich in der Anfangszeit nach Ankunft im Land. Die Erfahrung Kanadas aus den 1990er Jahren verdeutlicht dies: Diejenigen Zuwanderer, die es im ersten Jahr ihres Aufenthalts schafften, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zu vermeiden, wiesen auch später deutlich höhere Erfolgsaussichten auf als andere.158
Die Erfahrung der letzten zehn Jahre hat gezeigt, dass die genaue Verteilung der Punkte ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg ist. Um einigen der weiter oben beschriebenen Schwächen des Systems besser gerecht zu werden, will die kanadische Regierung 2013 die Punktevergabe abermals verändern. Noch stärkeres Gewicht will sie in Zukunft auf die Sprachfähigkeit legen, die einen nachweisbaren positiven Einfluss auf den Integrationserfolg hat. Wichtig dabei: Zuwanderer sollten die Sprache möglichst gut beherrschen, geringe Kenntnisse reichen für den kanadischen Arbeitsmarkt in der Regel nicht aus.159 Dies ist eine bedeutende Änderung, da Bewerber mit geringen Kenntnissen in beiden Landessprachen bislang genau so viele Punkte erreichen konnten wie Bewerber mit guten Kenntnissen in einer der beiden Sprachen.160 Außerdem will die Regierung Zusatzpunkte für Arbeitserfahrung in Kanada einführen. Damit trägt sie der Tatsache Rechnung, dass Berufserfahrung aus anderen Ländern die
Integrationserfolge in der Vergangenheit nicht erhöht hat. In der Praxis werden dadurch Menschen, die sich bereits als temporäre Arbeitsmigranten in Kanada aufhalten, bessere Chancen haben, über das Punktesystem einen Daueraufenthalt zu erreichen. Jüngste Erkenntnisse nicht nur aus Kanada deuten darauf hin, dass jüngere Bewerber im Schnitt bessere Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt erzielen als ältere.161 Aus diesem Grund soll die Punktevergabe auch in diesem Bereich neu justiert werden, was auch unter demografischen Gesichtspunkten einen positiven Effekt haben dürfte. Denn bislang hat die Zuwanderung in Kanada nur bedingt dazu beigetragen, die Altersstruktur der Bevölkerung nach unten zu drücken.162 Weitere Änderungsvorschläge beinhalten unter anderem ein Absenken der Gesamtpunktzahl für Arbeitserfahrung sowie eine vorgeschaltete Prüfung von Bildungsabschlüssen, die im schlechtesten Fall zum Ausschluss vom Punktesystem führen kann.
Humankapital zahlt sich aus Da auch nach Einführung des Humankapitalmodells im Jahr 2002 noch zahlreiche Bewerbungen wegen Bearbeitungsrückständen nach den alten Kriterien beurteilt werden mussten, lässt sich der Erfolg der neuen Punktevergabe leicht verdeutlichen. Zuwanderer, die nach den neuen Kriterien ausgewählt wurden, verdienten im ersten Jahr ihres Aufenthalts im Schnitt 58 Prozent mehr als andere. Auch in den Folgejahren verkleinert sich der Unterschied nur unwesentlich. Neben einem höheren Einkommen weisen die „neuen“ Zuwanderer auch deutlich höhere Erwerbsquoten auf. Kanadische Dollar
Jahreseinkommen der im Jahr 2002 über das Punktesystem ausgewählten Zuwanderer in Kanadischen Dollar, 2003 bis 2006 (Datengrundlage: Citizenship and Immigration Canada163)
70.000 60.000 Post-2002-Kriterien 50.000 40.000 30.000 Prä-2002-Kriterien 20.000 10.000 0 2003
2004
2005
2006
Berlin-Institut 39
KAPITEL 5.1
frei gewordenen Punkten wertete sie Sprachkenntnisse deutlich auf und verschärfte abermals das Bildungskriterium.
Hoher Verwaltungsaufwand mindert die Funktionstüchtigkeit des Punktesystems Ein ungewollter Nebeneffekt des Humankapitalsystems war, dass der Berg an nicht bearbeiteten Bewerbungen stetig wuchs. Vor allem als die Regierung die Mindestpunktzahl zum Bestehen im Jahr 2003 von 75 auf 67 Punkte absenkte, nahm die Zahl der eingehenden Anträge deutlich zu. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit stieg so auf 23 Monate – einige Antragsteller mussten bis zu sechs Jahre auf eine Antwort warten.164 Gerade das Prüfen der Angaben zu Sprachkenntnissen, Bildungsstand und Arbeitserfahrung verursachte einen enormen Zeitaufwand.165
Auswahlkriterien im kanadischen Punktesystem im Jahr 2012 Kriterium Bildung Ph.D.- oder MasterAbschluss verschiedene weiterführende Abschlüsse High School Sprachkenntnisse
Die große Zahl unbearbeiteter Bewerbungen veranlasste die kanadische Regierung im Jahr 2008 zur teilweisen Abkehr von der Humankapitalsteuerung, indem sie eine Liste mit besonders nachgefragten Berufen erstellte. Personen, die keinen der inzwischen 29 Mangelberufe erlernt haben, können nur dann am Punktesystem teilnehmen, wenn sie entweder über ein Arbeitsplatzangebot verfügen oder ein kanadisches Promotionsstudium abgeschlossen haben. Dies birgt allerdings die Gefahr, das Punktesystem seiner größten Stärke zu berauben, nämlich der Auswahl von Zuwanderern aufgrund von deren langfristigem Potenzial. Kurzfristigen Bedarf deckt Kanada gewöhnlich über andere Programme, etwa das Temporary Foreign Worker Program oder das Provincial Nominee Program.
40 Nach Punkten vorn
12 bis 22 5 24
Englisch Französisch
16/8 16/8
Berufserfahrung
21 1 Jahr 2 Jahre 3 Jahre mindestens 4 Jahre
15 17 19 21
Alter Eine theoretische Schwäche von Punktesystemen, der hohe Verwaltungsaufwand, hat sich also auch in der kanadischen Praxis gezeigt. Dass derartige Verzögerungen die Funktionstüchtigkeit des Systems in Frage stellen, liegt auf der Hand: Sie schrecken potenzielle Bewerber ab und schränken die Flexibilität des Systems drastisch ein. Denn wenn bereits empfangene Bewerbungen noch Jahre nach einer Reform nach den alten Maßstäben bewertet werden müssen, verfehlen kurzfristige Anpassungen ihr Ziel.
Höchstpunktzahl Punktzahl 25 25
10 17 oder 53 Jahre 18 oder 52 Jahre 19 oder 51 Jahre 20 oder 50 Jahre 21 bis 49 Jahre
2 4 6 8 10
Arbeitsmarkt
10 bestätigtes Jobangebot bereits in Kanada beschäftigt
Integrationsfähigkeit
10 10 10
Bildung des Partners Studium in Kanada Arbeitserfahrung in Kanada Verwandtschaft in Kanada Mindestpunktzahl
3 bis 5 5 5 5 67
(Datengrundlage: Citizenship and Immigration Canada)
Eine weitere Problematik des neuen Systems liegt darin, Engpässe auf dem Markt verlässlich zu identifizieren und zeitnah in die Politik einfließen zu lassen. Bereits in den 1990er Jahren merkten Zuwanderer aus vermeintlich nachgefragten Berufsgruppen häufig erst im Land, dass ihre Fähigkeiten nicht mehr benötigt wurden.166 Selbst das Hauptziel der
Reformen – den Verwaltungsaufwand durch eine geringere Zahl an Bewerbungen abzubauen – konnte nur bedingt erreicht werden. Zwar ist die Zahl unbearbeiteter Bewerbungen seit 2007 deutlich zurückgegangen, doch warten noch immer mehr als 300.000 Bewerber seit mehr als viereinhalb Jahren auf eine Antwort aus Kanada.167 Inzwischen plant die Regierung, all diese „alten“ Bewerbungen ungeprüft zurückzuschicken.168
seit dem 27.2.2008 empfangene Bewerbungen 600.000 500.000 400.000
Wachsende Bedeutung der Arbeitsmarktsteuerung auch außerhalb des Punktesystems Ein immer wichtigerer Zuwanderungskanal in Kanada sind die Provincial Nominee Programs, mit denen die Provinzen nach ihren eigenen Kriterien Zuwanderer auswählen. In den vergangenen zehn Jahren haben diese Programme einen rasanten Aufstieg erlebt. Der Grund hierfür liegt teilweise im nationalen Punktesystem. Denn die überwältigende Mehrheit der über das Federal Skilled Worker Program ausgewählten Zuwanderer lässt sich seit jeher in den Städten der zentralen Provinz Ontario nieder. Andere Provinzen kamen so lange trotz eines Bedarfs an Arbeitskräften zu kurz, etwa Alberta mit seiner boomenden Brennstoffindustrie. Doch inzwischen stellen die sogenannten Provincial Nominees 25 Prozent aller Wirtschaftsmigranten – noch 2002 waren es lediglich zwei Prozent.172 Inzwischen verfügt jede kanadische Provinz über ein Provincial Nominee Program. Innerhalb dieser Programme bieten sie verschiedene Kanäle zur permanenten Zuwanderung an – meist für hoch- und durchschnittlich qualifizierte Arbeitskräfte. In vielen Provinzen existieren zudem Programme für potenzielle Investoren, internationale Studenten oder auch Familienangehörige. Insgesamt zählt Citizenship and Immigration Canada derzeit mehr als 50 verschiedene Zuwanderungsmöglichkeiten innerhalb der Provincial Nominee Programs.173
300.000 200.000
2012 (31. Mai)
2011
100.000
Zahl unbearbeiteter Bewerbungen für das Punktesystem zum Ende des Jahres, 2007 bis 2012 (Datengrundlage: Citizenship and Immigration Canada171)
Eine einheitliche Evaluierung der Programme ist wegen der enormen Vielfalt kaum möglich. Noch weniger vergleichbar werden sie dadurch, dass sich selbst die Programme zur Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften zum Teil erheblich unterscheiden. Zwar setzen die meisten Provinzen ein bestehendes Jobangebot voraus, doch regulieren einige Provinzen die Zuwanderung zusätzlich über eine Liste mit besonders nachgefragten Berufen. Des Weiteren verlangen viele, dass
Berlin-Institut 41
KAPITEL 5.1
vor dem 27.2.2008 empfangene Bewerbungen
2010
Ob Zusatzpunkte für ein Jobangebot sinnvoll sind, ist somit auch eine Ermessenssache. Ist der zusätzliche Verwaltungsaufwand zur Verifizierung des Angebots seine Kosten wert?
Ein großes Problem des kanadischen Punktesystems ist der administrative Aufwand. Mit den Reformen des Jahres 2008, die den Zugang zum Punktesystem deutlich einschränkten, wollte die Regierung Abhilfe schaffen. Dies ist allerdings nur bedingt gelungen. Zwar reduzierte sich der Rückstau an neuen Bewerbungen in den letzten Jahren, da diese gegenüber alten Bewerbungen bevorzugt behandelt werden. Doch noch immer warten etwa 300.000 Menschen, die sich vor dem Stichtag der Reformen vor etwa viereinhalb Jahren beworben haben, auf eine Antwort aus Kanada. Höchstwahrscheinlich werden sie diese jedoch nie erhalten, da die kanadische Regierung alle „alten“ Bewerbungen ungeprüft zurückschicken will.
2009
In den letzten Jahren hat die Zuwanderung über ein bestehendes Arbeitsplatzangebot auch deswegen deutlich an Bedeutung gewonnen, weil es neben der Liste nachgefragter Berufe und der Promotion in Kanada inzwischen die einzige Möglichkeit ist, überhaupt am Punktesystem teilzunehmen. Diese Attraktivität hat nicht nur Vorteile. So beschwerten sich Angestellte kanadischer Behörden in jüngster Zeit wiederholt über Betrügereien beim Nachweis eines Arbeitsplatzangebots. Die kanadische Visumsbehörde in Hongkong stellte beispielsweise im Jahr 2008 in nur 24 Prozent der angefragten Fälle eine positive Arranged Employment Opinion aus, die bestätigt, dass das Jobangebot authentisch ist und dass der Zuwanderer zu branchenüblichen Bedingungen eingestellt wird. Zu Beginn des neuen Jahrtausends hatte dieselbe Behörde noch in mehr als 90 Prozent der Fälle ein positives Urteil gefällt.170
Keine Antwort nach vier Jahren
2008
Trotz aller Reformen hat ein Element der Arbeitsmarktsteuerung im Punktesystem bis heute überlebt: die Extrapunkte für ein bestehendes Arbeitsplatzangebot. Tatsächlich verdienen jene Zuwanderer, die über das Punktesystem mit einem Arbeitsplatzangebot nach Kanada kommen, im ersten Jahr im Schnitt 74 Prozent mehr als andere. Doch dies ist wenig verwunderlich, da andere Zuwanderer gerade in den ersten Monaten noch nach einem Job suchen oder übergangsweise einen schlecht bezahlten Job annehmen. Und so verkleinert sich der Einkommensunterschied zwischen Zuwanderern mit und ohne Jobangebot mit jedem weiteren Jahr in Kanada um neun Prozent.169
Dies hängt auch davon ab, inwiefern der kurzfristige Erfolg der Zuwanderer zu Lasten ihrer langfristigen Perspektive geht. Leider liegen zu dieser Fragestellung aktuell keine detaillierten Untersuchungen vor. Zweifellos verliert das System durch die Vermischung von humankapitalorientierten und arbeitsmarktgesteuerten Komponenten an Klarheit.
2007
Wachsende Bedeutung der Arbeitsmarktsteuerung im Punktesystem
Zuwanderer bereits eine bestimmte Zeit vor Ort als Temporary Foreign Workers tätig gewesen sind.174 Provincial Nominee Programs regeln also nicht primär die Einreise nach Kanada, sondern den Zugang zu einem dauerhaften Bleiberecht. Zwar lassen sich Provincial Nominee Programs nicht zu einhundert Prozent der Arbeitsmarktsteuerung zuordnen, doch haben sie die kanadische Zuwanderungspolitik in den vergangenen 15 Jahren eindeutig stärker in diese Richtung gerückt. Sie zielen oftmals darauf ab, Engpässe in Berufsfeldern zu bedienen, in denen das Punktesystem nicht greift, etwa im Handwerksbereich.* Der verstärkte Fokus auf angelernte Arbeitskräfte zeigt sich auch im Profil der Zuwanderer im Vergleich zum Punktesystem. So hatten 85 Prozent der zwischen 2005 und 2009 gekommenen Federal Skilled Workers entweder einen Bachelor-, Master- oder Promotionsabschluss, aber nur 51 Prozent der Provincial Nominees.175
Migration und Brain Drain Wanderungen von hochqualifizierten Arbeitskräften haben nicht nur Folgen für die Zielländer, sondern auch für die Herkunftsländer. Besonders in Entwicklungsländern besteht die Gefahr eines Brain Drain, also der Abwanderung der wenigen gut qualifizierten Fachkräfte. Die mühsamen Anstrengungen der Länder, einigen jungen Menschen ein Studium zu ermöglichen, würden somit ins Leere laufen. Dies würde nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung hemmen, sondern stünde auch im Widerspruch zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Kanada nimmt dieses Problem in Kauf und trennt klar zwischen Zuwanderungs- und Entwicklungspolitik. Wie aber ließen sich die beiden Politikbereiche sinnvoll kombinieren? Eine einfache Lösung wäre es, die Heimkehr von Migranten, die in der vorübergehenden, neuen Heimat zusätzliches Wissen erlangt haben, aktiv zu fördern. Dies lässt sich allerdings nicht mit dem Ziel vereinbaren, Zuwanderer langfristig als Arbeitskräfte und Mitbürger zu gewinnen. Zudem würden derlei Austauschprogramme dazu führen, dass immer wieder neue Zuwanderer integriert und eingearbeitet werden müssten. Doch auch wenn Auswanderer nicht zurückkehren, können sie ihrem Herkunftsland helfen, indem sie Gelder an Freunde und Verwandte in der Heimat senden. Tatsächlich übersteigen die globalen Rücküberweisungen von Migranten bei weitem die Mittel der internationalen Entwicklungshilfe. Darüber hinaus kehrt nach einer gewissen Zeit ohnehin ein Teil der Migranten in die alte Heimat zurück – nicht nur mit Geld, sondern auch mit Knowhow und Geschäftsbeziehungen. Auf diese Weise haben Rückwanderer ganze Unternehmen aufgebaut, etwa in der aufstrebenden indischen Software-Industrie.
Da viele Provincial Nominees ihren AufentUnterbinden ließe sich die Abwanderung von Hochqualifizierten aus armen Ländern nur, haltsstatus über ein Jobangebot erlangen, wenn sich entwickelte Staaten dazu verpflichteten, auf Zuwanderung aus bestimmten weisen sie in den ersten Jahren gute Erfolge Ländern zu verzichten beziehungsweise sie nicht zuzulassen. Schon heute führt die Weltauf dem Arbeitsmarkt auf. Nach einem Jahr in gesundheitsorganisation eine Liste mit Ländern, in deren Gesundheitswesen es an quaKanada beziehen mehr als 90 Prozent von ihlifizierten Fachkräften wie Ärzten oder Pflegepersonal mangelt. Ihre Abwerbung könnte nen nach eigener Angabe ein Einkommen aus vor Ort zu einer deutlich schlechteren Gesundheitsversorgung führen. Wie bei vielen anSelbstständigkeit oder abhängiger Beschäfderen internationalen Abkommen können Verstöße dagegen allerdings kaum sanktioniert tigung – unter den Federal Skilled Workers werden. Sinnvoller wäre es, wenn die Empfängerländer für die Abwanderung bestimmter sind es lediglich 81 bis 86 Prozent. Fünf Jahre Personengruppen eine Kompensation zahlten oder einen anderen Ersatz leisteten, etwa in nachdem sie das dauerhafte Bleiberecht erForm von Ausbildungsprogrammen oder dem Aufbau von Hochschulen. langt haben, ist der Unterschied zwar geringer aber immer noch vorhanden. Anders sieht es bei der Höhe der Einkommen aus. Hier überholen die über das Punktesystem ausgewählten Zuwanderer die Provincial Nominees nach etwa drei Jahren.176 Ein Vergleich langfristiger Hinsichtlich der Frage, ob Zuwanderer lediglich einen beliebigen Job finden, oder einen, Erwerbstätigkeits- und Einkommensverläufe der ihren Qualifikationen entspricht, weisen liegt leider nicht vor, da viele Provincial * Ab 2013 will die kanadische Regierung den Bedarf an Nominee Programs erst in den vergangenen Provincial Nominee Programs und das Punkangelernten Arbeitskräften auch über ein eigens dafür eingerichtetes Programm decken. Zuwanderer sollen dazehn Jahren geschaffen wurden. Er versprätesystem vergleichbare Ergebnisse auf. 70 runter für ein dauerhaftes Bleiberecht in Frage kommen, che allerdings wertvolle Erkenntnisse, da Prozent aller Provincial Nominees und 72 falls sie Sprachkenntnisse nachweisen können, über eine Prozent der Federal Skilled Workers bejahen Federal Skilled Workers anders als viele Arbeitserfahrung von mindestens zwei Jahren verfügen diese Frage.177 Der leicht niedrigere Wert Provincial Nominees vorwiegend aufgrund und ein Jobangebot oder einen kanadischen Nachweis ihrer Qualifikationen haben. ihres Potenzials ausgewählt werden, sich auf der von den Regionen ausgewählten Zuwanlange Sicht in Kanada zurechtzufinden.
42 Nach Punkten vorn
Federal Skilled Workers holen auf Über das Punktesystem ausgewählte Zuwanderer sind im ersten Jahr ihres Aufenthalts deutlich seltener erwerbstätig und verdienen weniger als Provincial Nominees. Dies liegt vor allem daran, dass Letztere ihren Aufenthaltstitel häufig über ein bestehendes Jobangebot erlangen. Je länger die Zuwanderer sich jedoch in Kanada aufhalten, desto mehr gleichen sich die Zahlen der beiden Gruppen an. Bei den Einkommen überholen die Federal Skilled Workers die Provincial Nominees sogar nach etwa drei Jahren. Die eher langfristige Ausrichtung des Punktesystems zahlt sich hier aus.
Doch erfüllen Provincial Nominee Programs die ihnen zugedachte Aufgabe, für eine gleichmäßigere Verteilung der Zuwanderer in Kanada zu sorgen? Eindeutig ja. Denn während über das Punktesystem 86 Prozent aller Zuwanderer nach Ontario oder British Columbia ziehen, sind es unter den Provincial Nominees lediglich 22 Prozent. Dafür erhalten die sogenannten Prärie-Provinzen Manitoba, Saskatchewan und Alberta 65 Prozent aller Provincial Nominees. Meist bleiben die Nominees auch in der Provinz, von der sie vorgeschlagen wurden: Im Jahr 2008 traf dies auf 82 Prozent aller zwischen 2000 und 2008 ausgewählten Zuwanderer zu.179 Allerdings verstecken sich hinter diesen Zahlen erhebliche regionale Unterschiede. Während in den großen Provinzen British Columbia, Alberta, Saskatchewan und Manitoba bedingt durch die starken Arbeitsmärkte zwischen 83 und 96 Prozent aller Zuwanderer in der Region bleiben, sind es in den sogenannten Atlantic Provinces – Prince Edward Island, Nova Scotia sowie Neufundland und Labrador – nur wenig mehr als die Hälfte.180
Durchschnittliches Jahreseinkommen in Kanadischen Dollar
Erwerbstätigenquoten
60.000
95
50.000 40.000
90 Provincial Nominees
Was kann Deutschland lernen? Der Trend in der kanadischen Zuwanderungspolitik geht wie in vielen anderen Ländern hin zu einem hybriden System, welches Elemente der Humankapitalsteuerung mit Elementen der Arbeitsmarktsteuerung kombiniert. Auf der einen Seite steht hierbei das auf den langfristigen Bedarf an Hochqualifizierten ausgerichtete Federal Skilled Worker Program mit einem Punktesystem als Auswahlmechanismus. Auf der anderen Seite finden sich die eher auf akute Engpässe und handwerkliche Berufe ausgerichteten Provincial Nominee Programs aber auch das auf Pflegekräfte ausgelegte Live-in Caregiver Program. Nach aktuellen Erkenntnissen hat Kanada von dieser Herangehensweise profitiert. Die humankapitalorientierten Reformen des Immigration and Refugee Protection Act im Jahr 2002 haben zu besseren Integrationserfolgen der über das Punktesystem ausgewählten Zuwanderer geführt. Und die Provincial Nominee Programs haben einige
KAPITEL 5.1
derer erklärt sich damit, dass unter ihnen nicht nur qualifizierte Arbeitskräfte ins Land kommen, sondern auch Unternehmer und Familienangehörige, die in den ersten Jahren ihres Aufenthalts oft schlechtere Ergebnisse erzielen. Generell zeigt die Erfahrung der Provincial Nominee Programs, dass der Integrationserfolg deutlich höher liegt, wenn die Zuwanderer bereits vor ihrer Nominierung als Studenten oder temporäre Migranten im Land gelebt haben und damit die Möglichkeit gehabt haben, sich ein persönliches Netzwerk aufzubauen.178
Provincial Nominees
85
30.000 80
Federal Skilled Workers 20.000
Federal Skilled Workers
75
10.000
70
0 1 Jahr 3 Jahre Jahre seit der Einwanderung
5 Jahre
7 Jahre
1 Jahr
3 Jahre
5 Jahre
7 Jahre
Erwerbstätigenquoten und durchschnittliches Jahreseinkommen von im Jahr 2001 ausgewählten Provincial Nominees und Federal Skilled Workers in Abhängigkeit von der Länge ihres Aufenthalts (Datengrundlage: Citizenship and Immigration Canada181)
Berlin-Institut 43
Schwächen des Punktesystems beheben können, insbesondere die räumliche Verteilung der Zuwanderer und das Anwerben von durchschnittlich qualifizierten Arbeitskräften. Aus der kanadischen Erfahrung ergeben sich mindestens drei wichtige Lehren für Deutschland. Erstens kann ein Punktesystem gerade für einen langfristig anhaltenden Bedarf an Arbeitskräften, wie er in Deutschland alleine aus demografischen Gründen besteht, gute Ergebnisse erzielen. Vor allem könnte es das durchschnittliche Bildungsniveau der Zuwanderer erhöhen. Zweitens reicht ein Punktesystem alleine nicht aus, sondern ist höchstens eine Komponente einer umfassenden Zuwanderungspolitik. Und drittens hängt der Erfolg eines Punktesystems eng mit seiner Ausgestaltung zusammen. Nur wenn die Punktevergabe tatsächlich das Humankapital der Zuwanderer abbildet, werden sich langfristig Integrationserfolge einstellen. Zweckmäßige Bewertungsfaktoren scheinen der Bildungsabschluss, das Alter, die Sprachkenntnisse, die Arbeitserfahrung im Land sowie eventuell ein bestehendes Jobangebot zu sein. Des Weiteren müssen objektive Kriterien entwickelt werden, anhand derer die gemachten Angaben verifiziert werden können, zum Beispiel ein offizielles Sprachtestzertifikat. Die kanadische Erfahrung lehrt uns insbesondere, welch enorme Bedeutung Sprachkenntnissen zukommt. Und noch mehr: Der Erfolg von Zuwanderern hängt nicht nur damit zusammen, ob sie generell Kenntnisse der Landessprache haben, sondern auch damit, ob sie diese gut genug sprechen, um ihren Beruf auszuüben. Deutschland hat hier gegen Kanada einen klaren Nachteil. Denn während viele Neuankömmlinge in Kanada Englisch als Mutter- oder Zweitsprache sprechen, ist es nahezu unmöglich, außerhalb der EU deutsche Mutter- beziehungsweise Zweitsprachler zu finden. Zwar könnte dies zu einem gewissen Grad durch die Tatsache abgemildert
44 Nach Punkten vorn
werden, dass Englisch gerade unter Hochqualifizierten als Ausweichsprache dient (was in einem Punktesystem berücksichtigt werden sollte). Doch verdeutlicht es auch ein Kardinalproblem der deutschen Zuwanderungspolitik: Der Pool an potenziellen Zuwanderern ist möglicherweise kleiner als viele glauben. Vor diesem Hintergrund bekäme ein Punktesystem in Deutschland noch eine zweite wichtige Aufgabe, nämlich ein Signal an die Außenwelt zu senden, dass Deutschland sich aktiv um Zuwanderer bemüht. Von einem „Run“ auf Deutschland ist dennoch kurzfristig nicht auszugehen, so dass eines der größten Probleme Kanadas, der massive Rückstau an Bewerbungen, zunächst nicht auftreten sollte. Zudem lehrt uns die kanadische Erfahrung, dass sich die Zahl der eingehenden Bewerbungen auch über die Höhe der erforderlichen Mindestpunktzahl regeln lässt. Wenn diese steigt, sinkt nicht nur die Zahl der erfolgreichen Bewerbungen, sondern über die geringeren Erfolgserwartungen der Bewerber auch die Zahl der gestellten Anträge. Die Einführung eines Punktesystems darf jedoch keinesfalls die einzige Maßnahme zur Steigerung der Attraktivität Deutschlands sein. Selbst das klassische Zuwanderungsland Kanada ergreift aktive Maßnahmen, um seine Bekanntheit bei potenziellen Migranten zu steigern. Die Vermarktung des Landes beginnt schon in den Herkunftsländern der zukünftigen Zuwanderer – etwa über Jobmessen oder direkt über Anwerbeagenturen. Als zentraler Anlaufpunkt für Interessierte bietet der Onlineauftritt von Citizenship and Immigration Canada zudem in übersichtlicher Form alle relevanten Informationen zur Einwanderung nach Kanada – vom Selbsttest im Punktesystem bis hin zum Lehrbuch für den Einbürgerungstest. Auf dem Portal Working in Canada stellt Human Resources and Skills Development Canada ferner eine landesweite Jobbörse zur Verfügung. Sie gestaltet den Prozess nicht nur für Zuwanderer sondern auch für Arbeitgeber einfacher.
Ein Punktesystem hätte für Deutschland nicht nur in der Außendarstellung Vorteile. Auch gegenüber der eigenen Bevölkerung könnte solch ein transparentes Instrument der Zuwanderungssteuerung helfen, bestehende Vorbehalte gegen mehr Zuwanderung abzubauen. Gerade der Fokus auf Hochqualifizierte und langfristige Wohlstandssicherung könnte die öffentliche Meinung positiv beeinflussen.
Arbeitsmarktsteuerung bei kurzfristigem Bedarf Während ein Punktesystem langfristig das Angebot an hochqualifizierten Arbeitskräften in Deutschland verbessern könnte, sind für punktuell auftretenden Fachkräftemangel in bestimmten Branchen andere Instrumente nötig. Arbeitsmarktgesteuerte Modelle, die Zuwanderern zunächst zeitlich befristete Aufenthaltsgenehmigungen ausstellen, haben sich hierbei in Kanada als äußerst wirksam erwiesen. Um im internationalen Wettbewerb um Zuwanderer bestehen zu können, sollten diese allerdings eine klare Perspektive für den Übergang zu einer dauerhaften Bleibe aufweisen. Wozu es führen kann, wenn dieses Angebot fehlt, hat nicht zuletzt die enttäuschende Erfahrung mit der sogenannten Green Card Anfang des Jahrtausends gezeigt. In der Praxis sind arbeitsmarktgesteuerte Zuwanderungsprogramme in zwei Varianten anzutreffen. Entweder akzeptiert ein Staat über eine sektoral gesteuerte Politik nur Menschen bestimmter Berufs- oder Qualifikationsgruppen oder er gewährt allen Personen mit einem konkreten Arbeitsplatzangebot nach bestandenem Arbeitsmarkttest die Einreise.* Die kanadischen Provinzen nutzen im Rahmen der * Sektoral gesteuerte Zuwanderungsprogramme können auch einen humankapitalorientierten Anstrich bekommen, wenn Zuwanderer einer bestimmten Berufsgruppe auch ohne Jobangebot einreisen dürfen. Im Prinzip entsprächen diese Programme dann Punktesystemen mit nur einem einzigen Auswahlfaktor, nämlich der beruflichen Qualifikation.
Eine große Schwäche sektoraler Zuwanderungsprogramme ist allerdings, kurzfristige Engpässe auf dem Arbeitsmarkt verlässlich festzustellen. Zudem sind diese Systeme häufig der politischen Einflussnahme von Interessen- und Lobbyverbänden ausgesetzt (siehe Kasten auf Seite 46). So stellt Citizenship and Immigration Canada fest, dass nur eine Provinz im Rahmen ihres Provincial Nominee Programs ein indikatorengestütztes System nutzt, während alle anderen ihre Bedarfe über Absprachen mit Arbeitgebern, Industrieverbänden, Handelskammern und anderen Akteuren abschätzen.182 Je nach relativer Stärke und Interessenlage der Akteure kann dies dazu führen, dass nicht allein auf Grundlage tatsächlicher Engpässe entschieden wird. Vor diesem Hintergrund wäre es für Deutschland zumindest eine Überlegung wert, temporäre Zuwanderer über ein offenes System zu rekrutieren, das die Einreise mit einem Jobangebot unabhängig von der Branche erlaubt. Zwingend notwendig wäre in einem solchen System ein vorgeschalteter Arbeitsmarkttest.
* Die mit der Blauen Karte EU beschlossene Öffnung des Arbeitsmarkts für alle Zuwanderer, die einen Hochschulabschluss besitzen, wendet sich über das Gehaltskriterium in erster Linie an Hochqualifizierte.
Ein Blick nach Schweden kann mögliche Effekte einer offenen Zuwanderungspolitik zeigen. Dort steht der Arbeitsmarkt seit 2008 allen Zuwanderern offen, solange sie zu den gleichen Konditionen wie Einheimische angestellt werden und die Stelle mindestens zehn Tage lang EU-weit ausgeschrieben war. Letzteres fungiert als eine unbürokratische Art der Vorrangprüfung, die auch für Deutschland
sinnvoll sein könnte. Nachdem Zuwanderer die beiden Hürden erfolgreich genommen haben, erhalten sie eine zunächst auf zwei Jahre befristete Aufenthaltsgenehmigung, die sich einmalig um zwei Jahre verlängern lässt, bevor sie nach vier Jahren im Recht auf einen Daueraufenthalt mündet. Grundsätzlich erhalten Familienmitglieder (Ehepartner und Kinder) das gleiche Aufenthaltsrecht wie der Hauptantragsteller.183
Zwei Säulen staatlicher Zuwanderungspolitik Die kanadische Erfahrung in der Zuwanderungssteuerung lehrt uns, dass ein einzelnes Programm nicht ausreicht, um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Vielmehr ist es sinnvoll, nach langfristigem und kurzfristigem Bedarf zu unterscheiden und die Instrumente der Zuwanderungspolitik entsprechend anzupassen. Dabei ist eine Humankapitalsteuerung anhand eines Punktesystems gerade für den langfristigen Bedarf an Hochqualifizierten ratsam. Dieses sollte allgemeine Fähigkeiten vergleichsweise hoch bepunkten, berufsspezifische dagegen niedrig.
Langfristiger Bedarf an Hochqualifizierten
Kurzfristige Engpässe auf dem Arbeitsmarkt
Punktesystem
Arbeitsmarktsteuerung
Kriterien
Kriterien
• Bildung • Alter • Sprachfähigkeiten • evtl. Arbeitserfahrung in Deutschland
• Jobangebot • Arbeitsmarkttest (gleiche Arbeitsbedingungen, Vorrangprüfung)
Niederlassungserlaubnis
Aufenthaltserlaubnis mit Perspektive auf Niederlassungserlaubnis
(Eigene Darstellung)
Berlin-Institut 45
KAPITEL 5.1
Provincial Nominee Programs beide Systeme. Für temporäre Arbeitsmigranten stehen dort dagegen überwiegend sektoral gesteuerte Kanäle zur Verfügung – für Pflegekräfte, Saisonarbeiter in der Landwirtschaft und andere Arbeitskräfte mit geringer Qualifikation. Auch Deutschland regelt die temporäre Zuwanderung bislang fast ausschließlich sektoral.*
Steuerung ja, aber auf welcher Ebene? Problematische Bedarfsanalyse Bislang wenig diskutiert wird in Deutschland die Möglichkeit, Zuwanderung regional zu steuern. Provincial Nominee Programs tragen in Kanada erheblich zur Funktionstüchtigkeit des Zuwanderungssystems bei, wären auf Deutschland allerdings nicht eins zu eins übertragbar. Denn sie sprechen überwiegend Zuwanderer an, die sich bereits im Land befinden und ihren temporären Aufenthalt in einen permanenten umwandeln möchten. In Deutschland ist dies ohnehin nach fünf Jahren möglich. Insofern wäre es hierzulande wenn überhaupt zweckmäßig, regional gesteuerte Programme zur Auswahl neuer Zuwanderer zu nutzen. Vor dem Hintergrund, dass gerade mittelständische Unternehmen im ländlichen Raum und im Osten Deutschlands vermehrt unter Fachkräftemangel leiden, erscheint dies zunächst sinnvoll. Es stellt sich jedoch die Frage, ob es sich beim Fachkräftemangel in entlegeneren Regionen nicht primär um ein Kommunikationsproblem handelt. Dass es die abseits der großen Zentren ansässigen Unternehmen also nicht schaffen, ihren Arbeitskräftebedarf unter potenziellen Zuwanderern zu verbreiten. In diesem Fall wäre es notwendig, die Vermarktungsmöglichkeiten von Firmen aus kleineren Städten und dem ländlichen Raum zu verbessern, etwa über zentrale Job-Datenbanken. Zuwanderer hätten dann die Möglichkeit, über die arbeitsmarktgesteuerte zweite Säule der Zuwanderungspolitik eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Ob zusätzlich ein Programm zur regionalen Steuerung der Zuwanderung notwendig ist, welches das System weiter verkompliziert, bleibt fraglich.* In Kanada erfüllt es vor allem seinen Zweck, weil das Land über keine zentrale arbeitsmarktgesteuerte Säule für Zuwanderer verfügt. * Etwas anders läge der Fall, wenn die zweite Säule der Zuwanderungspolitik zusätzlich sektoral gesteuert wäre. Hier ließe sich das Argument anführen, dass regionale Akteure die Bedarfe genauer abschätzen können als nationale.
46 Nach Punkten vorn
Sektorale Zuwanderungsprogramme sind populär. Sie setzen sich zum Ziel, passgenau jene Fachkräfte ins Land zu holen, die aktuell nachgefragt werden. Ein attraktiver Gedanke, der allerdings damit steht und fällt, wie genau die Bedarfslage auf dem Arbeitsmarkt abgeschätzt werden kann und wie schnell sich die Erkenntnisse in die Praxis umsetzen lassen. Für die Analyse von Engpässen kommen unterschiedliche Verfahren in Frage. Marktwirtschaftlich ließen sich akute Bedarfe unter anderem durch eine Abgabe von Arbeitgebern für zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland bestimmen. Denn je dringender Unternehmen zusätzliche Arbeitskräfte benötigen, desto eher werden sie auch bereit sein, hierfür einen Preis zu zahlen. Praktisch ließe sich ein solches System entweder über einen festen Abgabebetrag oder über eine Auktion regeln. Letzteres hätte allerdings den Nachteil, dass größere Firmen die Bedarfsfindung aufgrund ihrer Finanzkraft verzerren könnten. Populärer als marktwirtschaftliche Methoden sind in der Praxis planwirtschaftliche Elemente. Sie setzen entweder auf indikatorengestützte Modelle zur Engpassdiagnose oder auf direkte Abstimmungen mit beteiligten Akteuren wie Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, Handels- und Handwerkskammern und anderen Interessengruppen. Als objektiver gilt hierbei die Analyse von Indikatoren, also von Kennzahlen wie etwa der Arbeitslosigkeit in einem bestimmten Berufsfeld, da die Alternative immer die Gefahr von Verzerrungen aufgrund politischer Einflussnahme birgt. Doch auch wer auf Indikatoren zurückgreift, steht vor einer Vielzahl von unterschiedlichen Möglichkeiten. Eine vergleichsweise simple Herangehensweise ist es, die Zahl der offenen Stellen in einer Branche mit der Zahl der arbeitslos gemeldeten Fachkräfte der gleichen Branche abzugleichen. In Deutschland wäre dies mit Daten der Bundesagentur für Arbeit möglich. Als problematisch könnte sich hierbei allerdings erweisen, dass nicht alle Firmen ihre unbesetzten Stellen tatsächlich bei den Arbeitsagenturen melden. Nach Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) liegt die Meldequote offener Stellen in Deutschland bei gerade einmal einem Drittel.184 Zudem bilden derlei Statistiken immer nur die Vergangenheit ab, lassen aber keine Schlüsse über die zukünftige Entwicklung von Knappheiten zu. Eine geeignetere Methode zur Engpassdiagnose könnte die vom IAB jährlich durchgeführte „Erhebung des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots“ sein – eine repräsentative Befragung von rund 75.000 Betrieben. Da es sich hierbei aber ebenfalls lediglich um eine Bestandsaufnahme und keine Prognose handelt, zweifeln Experten ihre Eignung dafür an, verlässlich zukünftige Mangelberufe zu identifizieren.185 Vor diesem Hintergrund bleibt die Steuerung nach dem Arbeitsplatzkriterium samt Arbeitsmarkttest mit einfacher europäischer Vorrangprüfung die bestmögliche Option für zunächst befristete Zuwanderung jenseits eines Punktesystems. Denn wenn es möglich ist, über Arbeitsmarkttests sicher zu stellen, dass ausländische Arbeitnehmer nicht zu Dumping-Löhnen eingesetzt werden, sollte das Jobangebot an einen Ausländer als ausreichendes Signal für einen Engpass dienen.
Damit eine ökonomisch gesteuerte Zuwanderung erfolgreich verläuft, müssen qualifizierte Fachkräfte nicht nur ins Land kommen, sondern auch schnell eine adäquate Beschäftigung finden. Wie im vorigen Kapitel gesehen, kann eine richtig ausgestaltete Zuwanderungspolitik hierfür wichtige Grundlagen schaffen. Ohne eine zusätzliche Integrationspolitik wird sie allerdings nicht im Stande sein, die vielfältigen Probleme und Herausforderungen zu lösen, denen Migranten in ihrer neuen Heimat begegnen. Dies gilt insbesondere, wenn Zuwanderer wie in Kanada ohne bestehendes Jobangebot einreisen können. Eine Studie aus Kanada zeigt, wie schwierig es für Neuankömmlinge ist, eine Beschäftigung zu finden. Immerhin 46 Prozent der Befragten gaben vier Jahre nach ihrer Einreise an, die Suche nach einem passenden Job sei bislang die größte Schwierigkeit in Kanada gewesen. Von ihnen sagten 50 Prozent, dass fehlende kanadische Berufserfahrung ein Grund für die Schwierigkeiten gewesen sei; 37 Prozent nannten fehlende Kontakte auf dem Arbeitsmarkt; weitere 35 Prozent litten darunter, dass ihre ausländischen Qualifikationen nicht anerkannt wurden; und 32 Prozent beklagten sprachliche Hürden.*, 186 Falsche Erwartungen, fehlende Netzwerke und schlechte Kenntnisse der kanadischen Kultur und Sprache haben dazu beigetragen, dass Zuwanderer noch immer seltener erwerbstätig sind und weniger verdienen als Einheimische. Nicht alle genannten Probleme lassen sich mit einer aktiven Integrationspoli* Mehrfachnennungen waren möglich.
tik lösen – eine Menge von ihnen aber schon. Daher unterstützt die Regierung Zuwanderer durch eine Vielzahl von Programmen und Initiativen, die im offiziellen Sprachgebrauch unter dem Namen Settlement Services zusammengefasst werden.** Alarmiert durch die zunehmenden Integrationsprobleme der 1990er Jahre, hat die Regierung das Budget dieser Programme kontinuierlich erhöht. Allein aus Ottawa sollen im Jahr 2012/2013 knapp 600 Millionen Kanadische Dollar in den Sektor fließen – etwa dreimal so viel wie im Jahr 2005/2006.***, 187
Der Neustart beginnt schon im Heimatland Ein wichtiger Gedanke der kanadischen Integrationspolitik ist, dass die Weichen für den Erfolg der Zuwanderer bereits vor der Abreise aus ihrem Heimatland gestellt werden. In dieser Phase geht es neben dem Spracherwerb vor allem darum, den zukünftigen Zuwanderern wichtige Informationen zum Leben und Arbeiten in Kanada zur Verfügung zu stellen. Dies hat einerseits zum Ziel, falsche und überhöhte Erwartungen zu vermeiden, ** Settlement Services sind nicht ausschließlich auf den ökonomischen Erfolg der Zuwanderer ausgerichtet, sondern haben das weiter gefasste Ziel, die ökonomische, soziale, kulturelle und politische Integration der Neuankömmlinge zu fördern. Im Rahmen dieses Kapitels widmen wir uns hauptsächlich jenen Programmen, die darauf abzielen, Zuwanderern den Einstieg in ein passendes Beschäftigungsverhältnis zu erleichtern. *** Québec ist hierbei nicht mitgezählt, da es eine quasiautonome Integrationspolitik verfolgt. Im Jahr 2012/2013 stehen der Provinz aus föderalen Mitteln mindestens 283 Millionen Kanadische Dollar für Integration zu.
andererseits aber auch, den Zuwanderern Kultur und Umgangsformen in Kanada näher zu bringen. Denn viele Neuankömmlinge scheitern gerade an scheinbar selbstverständlichen Sachen wie der korrekten Anrede, der Diskussionskultur oder der Form der Job-Bewerbung. So beklagten sich viele Zuwanderer in einer Umfrage, dass ihnen nach Ankunft in Kanada nicht automatisch ein Job angeboten wurde – das Konzept der aktiven Jobsuche war ihnen aus ihren Heimatländern nicht bekannt.188 Als erstes sogenanntes Pre-Arrival Program schuf die kanadische Regierung im Jahr 1998 die Canadian Orientation Abroad (COA) Initiative. Sie wendet sich an Flüchtlinge und Arbeitsmigranten. Im Rahmen von ein- oder mehrtägigen Seminaren bekommen zukünftige Zuwanderer schon vor ihrer Einreise Einblicke in den Ablauf des alltäglichen Lebens in Kanada – dazu gehören unter anderem Informationen über Preise und Lebenshaltungskosten, Klima, Rechte und Pflichten von Einwohnern, Wohnungssuche und Erwerbstätigkeit. Die Teilnahme ist freiwillig, und die Seminare finden gewöhnlich in der Muttersprache der Teilnehmer statt. Im Laufe der Jahre ist das Canadian Orientation Abroad Programm deutlich gewachsen. Nahmen im Jahr 1998 lediglich 773 Menschen an den Veranstaltungen teil, sind es inzwischen jährlich mehr als 13.000 in 14 verschiedenen Ländern.189 Je nach Bedarf kann die International Organization for Migration, die das Programm für Citizenship and Immigration Canada ausführt, auch mobile Trainingscenter in weiteren Ländern zur Verfügung stellen.
Berlin-Institut 47
KAPITEL 5.2
5.2
DIE INTEGRATION DER NEUANKOMMLINGE
Der Hauptfokus von Canadian Orientation Abroad ist es jedoch, Flüchtlinge aus Krisenregionen auf ihr neues Leben in Kanada vorzubereiten. Für hochqualifizierte Arbeitsmigranten sind die Inhalte der Seminare oft wenig hilfreich, da sie in Kanada vor anderen Herausforderungen stehen und speziellere Informationen über den Arbeitsmarkt benötigen. Aus diesem Grund führte das zuständige Ministerium im Jahr 2007 das Canadian Immigrant Integration Program (CIIP) ein. Ziel des ursprünglich zweijährigen Pilotprojekts war es, über das Punktesystem ausgewählten Zuwanderern rechtzeitig vor der Einreise nach Kanada nicht nur generelle Informationen bereitzustellen, sondern mit ihnen im Rahmen von individuellen Beratungen einen persönlichen Fahrplan für eine erfolgreiche Integration zu entwickeln.190 In diesem Zusammenhang machen die Berater die Zuwanderer auch auf weiterführende Integrationsangebote von Partnerinstitutionen in Kanada aufmerksam. So haben Neuankömmlinge nach ihrer Ankunft eine Anlaufstelle, über welche sie die ersten Schritte im Land weiter planen können. Inzwischen hat die kanadische Regierung das Projekt bis mindestens 2013 verlängert und spricht mit ihm neben Federal Skilled Workers auch Provincial Nominees an. Grund für die Ausweitung war der große Erfolg des Programms. Denn den Teilnehmern fiel es nach ihrer Ankunft in Kanada deutlich leichter als anderen Zuwanderern, schnell eine Beschäftigung zu finden, die ihren Qualifikationen entsprach. So konnten 93 Prozent der Zuwanderer, die CIIP durchlaufen hatten und einen Job haben, diesen bereits sechs Monate nach ihrer Einreise vorweisen. Insgesamt waren 67 Prozent aller Absolventen erwerbstätig, was nur auf den ersten Blick niedrig erscheint. Denn auch Familienangehörige, die den Hauptantragsteller nach Kanada begleiten und selbst nicht aktiv nach einem Job suchen, dürfen an dem Programm teilnehmen. In Interviews gaben zahlreiche
48 Nach Punkten vorn
Gut vorbereitet für den Umzug Fünf von sechs Absolventen des Canadian Immigrant Integration Programs geben an, dass sie durch die im Heimatland erhaltenen Beratungen ein besseres Verständnis davon hätten, was sie in Kanada tun müssen, um einen Job zu finden. Das Programm stärkt allerdings nicht nur die Kenntnisse der Teilnehmer, sondern trägt auch zu deren Motivation bei, einen Job zu finden, der ihren Fähigkeiten entspricht. Verständnis von notwendigen Schritten, um eine Beschäftigung zu finden
Nicht besser
Größerer Wille, einen Job im gewünschten Berufsfeld zu finden
Keine Antwort
Keine Antwort
7
7
7 36
Etwas besser
Viel besser
50
Nein
22
71 Ja
Befragung unter Absolventen des Canadian Immigrant Integration Programs, 2010, N = 1.497 (Datengrundlage: Centre for Community Based Research191)
Teilnehmer zudem an, dass ihnen die durch das Programm vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten bei der Jobsuche sehr nützlich gewesen wären. Folglich sagten 91 Prozent der im Zuge der Evaluierung des Programms befragten Personen, dass sie das Canadian Immigrant Integration Program weiterempfehlen würden.192 Eine individuelle Beratung zukünftiger Zuwanderer in deren Heimatländern erfordert einen großen logistischen und finanziellen Aufwand. Derzeit unterhält die Association of Canadian Community Colleges, die das Programm für die kanadische Regierung ausführt, Standorte in vier verschiedenen Ländern (China, Indien, Philippinen, Großbritannien), mit Hilfe derer das Programm in insgesamt 25 Staaten angeboten werden kann. Da Arbeitsmigranten theoretisch aber aus jedem Land der Erde kommen können, bleibt die Reichweite zwangsläufig begrenzt. Immerhin erreicht das Programm 70 Prozent aller Zuwanderer der Federal Skilled Worker Kategorie und 44 Prozent der Provincial Nominees.193
Damit auch die restlichen Zuwanderer von Integrationsprogrammen vor ihrer Abreise profitieren können, unterhält die kanadische Regierung verschiedene Online-Angebote, die Informationen zur Verfügung stellen und es teilweise sogar erlauben, erste Kontakte nach Kanada aufzubauen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Canada InfoNet, dessen Kernpunkt ein Mentoren-Programm ist, über welches Zuwanderer sich mit Kanadiern aus dem gleichen Berufsfeld austauschen können. Auch das Canadian Immigrant Integration Program vermittelt seine Teilnehmer an ein Internetportal, die Integrated Pre-Arrival Services Online. Hier können Zuwanderer ihre Kommunikationsfähigkeiten trainieren, Bewerbungsschreiben optimieren und sogar Kontakt mit kanadischen Arbeitgebern aufnehmen.
Was? In Gruppen durchgeführte Orientierungs- und Informationsprogramme zu Sprache, Anerkennung von Abschlüssen, Bildung und Erwerbstätigkeit; individuelle Beratungen mit persönlichem Integrationsplan; Weitervermittlung an Programme in Kanada Wann? Vor der Abreise aus dem Heimatland
Was ist meine Qualifikation in der Ferne wert? Zur Vorbereitung auf den Neustart in Kanada zählt auch, den Wert seiner Bildungs- und Berufsabschlüsse auf dem kanadischen Arbeitsmarkt in Erfahrung zu bringen. Dies ist jedoch häufig nicht einfach, da der Zugang zu reglementierten Berufen grundsätzlich von den einzelnen Provinzen geregelt wird, die teilweise sehr unterschiedlichen Zertifizierungsverfahren folgen. Um sich im Dickicht der Bestimmungen zurechtzufinden, benötigen Zuwanderer zentral gebündelte, verlässliche Informationen – möglichst noch vor ihrer Abreise aus dem Heimatland. Nur so können sie eventuell notwendige Nachqualifizierungen zeitnah in Angriff nehmen.
Wer bietet an?
Association of Canadian Community Colleges im Auftrag von Citizenship and Immigration Canada; Programm besteht in vier Ländern Wer nimmt teil? Bereits ausgewählte Federal Skilled Workers und Provincial Nominees sowie deren Familienmitglieder
Ein Problem für viele Zuwanderer ist es, aus der Fülle der Angebote, die für sie geeigneten herauszufiltern. Dieser Prozess führt häufig zu Frustration und Fehlinformationen. Daher sollten Zuwanderer schon am Beginn des Integrationsprozesses mit den richtigen Anlaufstellen versorgt werden. Beispielhaft agiert hier das Canadian Immigrant Integration Program, das zukünftige Teilnehmer über ein Anschreiben direkt zu den Seminaren einlädt.
Lange Zeit funktionierte die Anerkennung von Bildungsabschlüssen in Kanada alles andere als zufriedenstellend: 40 Prozent aller Zuwanderer berichteten zu Beginn des neuen Jahrtausends, dass sie in diesem Bereich Probleme gehabt hätten – und weniger als ein Viertel hatte sich vor der Abreise aus dem Heimatland mit dem Thema auseinander gesetzt.194 Aus diesem Grund hat das Canadian Immigrant Integration Program die Anerkennung ausländischer Abschlüsse in sein Programm aufgenommen. Zukünftige Zuwanderer können sich nun im Rahmen ihrer individuellen Beratung auch hierzu informieren. Ein wichtiger Akteur auf dem Feld der Anerkennung von Abschlüssen ist das von der Regierung finanzierte Foreign Credential Referral Office (FCRO), das Zuwanderern als praktischer Ratgeber zur Seite steht. Zentrales Werkzeug des FCRO ist eine Website, die nach Berufsgruppen gegliedert Links zu sämtlichen der mehr als 400 Lizensierungsstellen Kanadas anbietet. Die Tatsache, dass 69 Prozent der insgesamt 500.000 Besuche der Website im Jahr 2011 aus dem Ausland erfolgten, verdeutlicht den Nutzen des Portals für zukünftige Zuwanderer.195
Doch der Zugang zu Informationen ist bei Weitem nicht die einzige Hürde, die Zuwanderer bei der Anerkennung ihrer Qualifikationen nehmen müssen. Noch wichtiger ist, dass der eigentliche Anerkennungsprozess fair, transparent und vor allem zügig abläuft. Ein Drittel derjenigen, die vor der Abreise die Anerkennung ihrer Abschlüsse nicht geklärt haben, nennt als Grund hierfür mangelnde Zeit.196 Dies mag zum Teil am individuellen Zeitmanagement der Zuwanderer liegen. Eine Rolle dürfte hierbei aber auch der schier endlose Anerkennungsprozess spielen. Erst vor kurzem setzte sich die kanadische Regierung deshalb zum Ziel, Entscheidungen in Zukunft innerhalb von einem Jahr treffen zu wollen.197 Die Frist von einem Jahr ist ein zentraler Punkt des Pan-Canadian Framework for the Assessment and Recognition of Foreign Qualifications, das die Zentralregierung gemeinsam mit den Provinzen im Jahr 2009 verabschiedete. Zwar ist das Framework kein rechtlich bindendes Dokument, doch bekennen sich darin die verschiedenen Regierungsebenen dazu, den Anerkennungsprozess in Zukunft offener zu gestalten und die Verfahren zwischen den einzelnen Provinzen so anzunähern, dass Zulassungen einer Provinz generell auch in den anderen akzeptiert werden.198 Eine weitergehende Rolle als die des Koordinators kann die Regierung in Ottawa ob der zahlreichen unterschiedlichen Organisationen, die an dem Prozess beteiligt sind, nur schwerlich ausüben. Durch die jährlich erscheinenden Progress Reports hält sie das Thema aber in der Öffentlichkeit und bietet erfolgreichen Projekten und Initiativen eine Plattform zur Darstellung. So können etwa Krankenpfleger inzwischen online einen Test ihrer Fähigkeiten machen und sich auf das nationale Lizensierungsexamen
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Canadian Immigrant Integration Program
vorbereiten. Und in anderen Bereichen wie dem Ingenieurswesen oder der Architektur existieren neuerdings Abkommen zwischen kanadischen und ausländischen Lizensierungsstellen über die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen.199 All dies sind jedoch bruchstückhafte und nicht selten bilaterale Lösungsansätze, die die Vermutung nahe legen, dass es die eine, große Lösung für das Problem nicht gibt. Nur durch viele kleine Schritte kann die Situation für Zuwanderer erleichtert werden. Hierbei ist es wichtig, die gemachten Fortschritte inhaltlich aufeinander abzustimmen und den Zugang zu Informationen für Zuwanderer zentral zu gestalten. Zu einer effizienteren Gestaltung des Systems könnten etwa nationale Zulassungsstellen beitragen, die kurzfristig Provinzregelungen ausführen und langfristig auf harmonisierte Zulassungskriterien hinarbeiten.200
Bridging Programs – Brücken zum Erfolg Das Pan-Canadian Framework for the Assessment and Recognition of Foreign Qualifications sieht drei mögliche Ergebnisse für das Anerkennungsverfahren vor. Die zuständigen Agenturen können die Zuwanderer entweder direkt für die Ausübung ihres Berufes zulassen oder sie dazu auffordern, fachspezifische Fortbildungen zu besuchen oder ihnen den Zugang zu einer Profession gänzlich verwehren. Danach ist es für den Integrationserfolg von entscheidender Bedeutung, dass Zuwanderern Programme zur Anpassungsqualifizierung zur Verfügung stehen. Kanadier sprechen in diesem Zusammenhang von Bridging Programs, also Programmen, die Kenntnis- oder Qualifikationslücken schließen, sie „überbrücken“. Idealerweise starten Bridging Programs schon vor (via Internet) oder direkt nach der Ankunft in
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Kanada. In der Realität ist dies jedoch selten der Fall, da der Anerkennungsprozess trotz aller Bemühungen zu diesem Zeitpunkt meist noch nicht abgeschlossen ist.
Bridging Programs existieren in vielen verschiedenen Berufsfeldern und werden sowohl von Hochschulen als auch von spezialisierten Agenturen angeboten. Allein die Ryerson University in Toronto bietet Kurse in so unterschiedlichen Feldern wie Buchhaltung, Ernährungswissenschaften, Sozialarbeit, Physiotherapie und Geburtshilfe an. Diese Programme vermitteln sowohl theoretische als auch praktische Kenntnisse und sind in der Länge oftmals den Bedürfnissen der Teilnehmer angepasst. So können etwa Hebammen ihr Programm je nach Kenntnisstand entweder nach neun oder zwölf Monaten abschließen, um dann an der offiziellen Zulassungsprüfung teilzunehmen. Neben berufsspezifischen Programmen bieten verschiedene Organisationen auch allgemeinere Programme an, die sich nicht direkt auf die Vermittlung von fachlichem Wissen konzentrieren, sondern sogenannte soft skills trainieren – von Bewerbungstechniken bis hin zur richtigen Diskussionskultur. Viele Bridging Programs erhalten finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Kassen. Dennoch müssen Zuwanderer häufig einen Teil der Kosten selbst beisteuern. In Kanada stehen ihnen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, vergleichsweise günstig an Kredite hierfür zu gelangen. Ein bekanntes Beispiel ist der im Jahr 2003 gegründete Immigrant Access Fund, den Personen in den Provinzen Alberta und Saskatchewan nutzen können. Mit Unterstützung der Regierung in Ottawa gewährt er Zuwanderern, die eine Qualifizierungsmaßnahme in Anspruch nehmen wollen, günstige Kredite von bis zu 10.000 Kanadischen Dollar. Diesem Modell haben sich inzwischen viele große Banken in Kanada angeschlossen und bieten selbst Mikrokredite an, die speziell auf Fortbildungsmaßnahmen für Zuwanderer ausgelegt sind.
Theorie und Praxis verzahnen Fortbildungen außerhalb von Betrieben können helfen, bestimmte Qualifikationslücken zu schließen. Sie beheben allerdings nicht das Problem, dass in vielen reglementierten Berufen auch praktische Berufserfahrung eine Zulassungsvoraussetzung ist.201 Und auch im nicht reglementierten Bereich leiden viele Zuwanderer darunter, dass sie keine kanadische Arbeitserfahrung vorweisen können. Um dem entgegenzuwirken, bietet die kanadische Regierung seit 2008 das Federal Internship for Newcomers Program an, welches Zuwanderern die Möglichkeit gibt, Praktika im öffentlichen Sektor zu absolvieren. Ein noch umfangreicheres Programm ist die aus dem Nicht-Regierungssektor stammende
Career Bridge Was? Bezahlte, berufsbezogene Praktika über einen Zeitraum von vier bis zwölf Monaten, um Zuwanderern den Einstieg in die Erwerbstätigkeit zu erleichtern Wann? Innerhalb der ersten drei Jahre in Kanada Wer bietet an?
Career Edge (Nicht-Regierungsorganisation) Wer nimmt teil? Zuwanderer mit qualifizierten Bildungsabschlüssen und internationaler Berufserfahrung ohne vorherige Tätigkeit in Kanada
Was? Berufsspezifisches Sprachtraining in Kanadas Amtssprachen (Englisch, Französisch); Bridge-to-work assistance (Arbeitsplatzvermittlung, Praktika, Mentorenprogramme, kulturelle Orientierung) Wann? Ab Ankunft in Kanada Wer bietet an?
Service providers (Provinzen/ Territorien, Arbeitgeber, Bildungseinrichtungen, Nicht-Regierungsorganisationen, Gemeinden, Hilfsorganisationen) im Auftrag von Citizenship and Immigration Canada Wer nimmt teil? Zuwanderer, die einen festen Wohnsitz in Kanada haben und dem Arbeitsmarkt unmittelbar zur Verfügung stehen
Career Bridge, die seit 2003 Zuwanderer für Praktika an Firmen vermittelt. Hiervon profitieren einerseits die Zuwanderer, die für die Arbeit bezahlt werden, aber auch die Firmen selbst, die passgenau mit vorausgewähltem Personal versorgt werden. Nach Angaben von Career Edge, der durchführenden Organisation, gelingt es mehr als 80 Prozent der Teilnehmer nach dem Praktikum eine Vollzeitstelle in ihrem Spezialgebiet zu finden.202
Um einen Job in Kanada zu finden, ist es besonders wichtig, möglichst schnell berufsspezifisches Vokabular auf Englisch beziehungsweise Französisch zu kennen. Viele Zuwanderer verfügen bei ihrer Ankunft zwar über gute Sprachkenntnisse für den Alltagsgebrauch, aber nicht für ihren Beruf. Dies kann auch das Language Instruction for Newcomers to Canada Program (LINC), welches kostenfrei Grundkurse in Englisch und Französisch anbietet, nur bedingt kompensieren. Aus diesem Grund initiierte die kanadische Regierung im Jahr 2003 ein neues Programm, das Enhanced Language Training (ELT). Mit ihm bietet sie nun auch berufsspezifisches Sprachtraining an, das zudem immer auch eine sogenannte Bridgeto-Work-Komponente enthält. In drei Viertel der Fälle sind dies Praktika in Unternehmen. Doch auch Mentorenprogramme, die Zuwanderer und einheimische Praktiker zum Erfahrungsaustausch zusammenbringen, sind häufig anzutreffen. Inwiefern das ELTProgramm den Erfolg der Zuwanderer im Arbeitsleben beeinflusst, ist leider noch nicht eingehend untersucht worden. Vereinzelte Befragungen haben aber ergeben, dass Zuwanderer sowohl ihre Sprachkenntnisse als auch ihr Wissen über den kanadischen Arbeitsmarkt ausbauen konnten.203
vorzuschlagen. Firmen, die ihre Mitarbeiter für das Mentorenprogramm abstellen, profitieren davon häufig auch selbst, da sie einen direkten Kontakt zu potenziellen Angestellten herstellen.
The Mentoring Partnership Was? Mentorenprogramme: Zusammenführen von qualifizierten Zuwanderern und etablierten Beschäftigten aus demselben Berufs- oder Industriebereich; mindestens 24 Stunden persönlicher Austausch innerhalb von vier Monaten (landesspezifische Informationen über das gewählte Berufsfeld, Aufbau von Netzwerken, Unterstützung bei der Suche nach potenziellen Arbeitgebern und bei Bewerbungen) Wann? Innerhalb der ersten drei Jahre in Kanada Wer bietet an?
Mentorenprogramme haben sich auch abseits des Enhanced Language Training als beliebtes Instrument der kanadischen Settlement-Politik etabliert. So bietet das Toronto Region Immigrant Employment Council (TRIEC) seit 2004 eine Mentoring Partnership an, die jedes Jahr etwa 1.000 Neuankömmlinge mit Praktikern aus dem gleichen Berufsfeld zusammenbringt. Letztere verpflichten sich dazu, den Zuwanderern in mindestens 24 Stunden persönlichen Austauschs Einblicke in ihr geplantes Berufsfeld zu vermitteln, Tipps für Bewerbungen und Einstellungsgespräche zu geben und ihnen potenzielle Arbeitgeber
Toronto Region Immigrant Employment Council (TRIEC) Wer nimmt teil? Zuwanderer mit qualifizierten Bildungsabschlüssen und internationaler Berufserfahrung ohne vorherige Tätigkeit in Kanada
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Enhanced Language Training
Als durchführende Organisation setzt TRIEC bei all seinen Aktivitäten darauf, möglichst viele Akteure zusammenzubringen, die einen Einfluss auf die Erwerbstätigkeit von Zuwanderern ausüben. Dazu gehören Vertreter von Arbeitgebern, Verbänden, Bildungseinrichtungen und Regulierungsbehörden, aber auch Offizielle der verschiedenen Regierungsebenen sowie die Zuwanderer selbst. Gerade die Tatsache, dass Arbeitgeber in den Integrationsprozess einbezogen werden, gilt als ein entscheidender Erfolgsfaktor.204 Dieser Fokus spiegelt sich auch in der 2005 ins Leben gerufenen Initiative Hire Immigrants wider, die Arbeitgeber direkt anspricht und ihnen die Vorteile einer multikulturellen Personalpolitik vor dem Hintergrund des demografischen Wandels verdeutlicht. Dass TRIEC als innovativer Akteur in der Settlement-Politik äußerst erfolgreich agiert, zeigt sich daran, dass es inzwischen in zahlreichen kanadischen Städten TRIEC nachempfundene Immigrant Employment Councils gibt.205
Willkommenskultur auf Kanadisch Immigrant Employment Councils Was? Berufsspezifische Mentorenprogramme; bezahlte Praktika; Programme zur Stärkung des Bewusstseins für kulturell vielfältige Belegschaften unter Arbeitgebern; Verbesserung von Einstellungsverfahren; Erfahrungsaustausch zwischen Arbeitgebern Wer? Verschiedene arbeitsmarktrelevante Akteure (Regierung, Arbeitgeber, Regulierungsbehörden, Pädagogen, Gemeindeverbände, Zuwanderer) Wo?
Immigration Employment Councils existieren an 13 Orten (Fredericton and Moncton, Halifax, Waterloo Region, London, North Bay, Montreal, Niagara, Ottawa, Toronto, Calgary, British Columbia, Edmonton, Auckland) Warum? Verbesserung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für qualifizierte Zuwanderer; Veränderung der Einstellung gegenüber Zuwanderern; Schaffen einer Willkommenskultur
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Soziale Kontakte und persönliche Beziehungen bleiben der wichtigste Faktor, der über den Erfolg oder Misserfolg von Zuwanderern auf dem Arbeitsmarkt entscheidet. Im Longitudinal Survey of Immigrants to Canada gaben etwa 40 Prozent der über das Punktesystem ausgewählten Zuwanderer an, bei Problemen mit der Erwerbstätigkeit Hilfe bei Freunden gefunden zu haben. Nur etwa die Hälfte nannte Regierungseinrichtungen als Anlaufstelle.206 Umso wichtiger ist es, Integrationspolitik vor Ort – in den Kommunen und Stadtvierteln – zu verankern und dort Barrieren zwischen Neuankömmlingen und Alteingesessenen abzubauen. Von wachsender Bedeutung sind hierbei sogenannte Local Immigration Partnerships (LIP). Sie bringen Regierungsvertreter mit relevanten Akteuren aus dem Nicht-Regierungsbereich zusammen und erarbeiten Integrationskonzepte, die auf spezifische lokale Probleme zugeschnitten sind. In der praktischen Arbeit bedienen sie sich nicht nur vieler der in diesem Kapitel aufgelisteten Instrumente, sondern auch weiterer Mittel wie etwa Sportveranstaltungen und anderer Freizeitangebote. Zwar sind LIP bislang auf die Provinz Ontario begrenzt, doch dürfte sich dies bald ändern, da das Parlament die Idee erst 2010 als best practice zur Nachahmung empfohlen hat.207 Der spezifische Vorteil der Partnerschaften liegt unter anderem darin, dass sie durch die Einbindung vieler Akteure Dopplungen beim Programmangebot vermeiden können. Denn gewöhnlich
Etwa 40 Prozent der Federal Skilled Workers, also der über das Punktesystem ausgewählten Zuwanderer, geben an, dass sie bei der Jobsuche bei Freunden Hilfe gefunden hätten. Nur jeweils halb so viele berichten von Hilfestellungen seitens Bildungseinrichtungen oder Regierungsorganisationen. Eine erfolgreiche Integrationspolitik kann also nicht nur auf öffentliche Angebote setzen, sondern muss auch und vor allem die soziale Integration am Wohnort aktiv unterstützen. Prozent nach sechs Monaten
45
nach zwei Jahren 40
nach vier Jahren
35 30 25 20 15 10 5 0 Freunde
Bildungseinrichtungen
Regierungsorganisationen
Anlaufstellen beim jeweils größten Problem bei der Jobsuche unter Federal Skilled Workers (Ankunftsjahr 2000/2001), sechs Monate, zwei Jahre und vier Jahre nach Ankunft in Kanada (Datengrundlage: Xue, L., Portrait of an Integration Process. Difficulties encountered and resources relied on for newcomers in their first 4 years in Canada)
finanziert die Regierung in Kanada verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen, die dann unabhängig voneinander Integrationsprogramme durchführen. Idealerweise sorgt eine lokale Integrationspolitik nicht nur dafür, dass Zuwanderer Ansprechpartner auf der Suche nach Beschäftigung gewinnen, sondern vor allem
auch dafür, Misstrauen und Vorbehalte zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen abzubauen. Leider ist es trotz aller Bemühungen bislang nicht gelungen, Rassismus und Diskriminierung in Kanada gänzlich zu beseitigen. So gab im einzig 2002 durchgeführten Ethnic Diversity Survey jeder fünfte Angehörige einer visible minority an, dass er in den letzten fünf Jahren wegen seiner Hautfarbe manchmal oder oft unfair behandelt worden sei. Weitere 15 Prozent hatten diese Erfahrung immerhin selten gemacht.208 Um dies in Zukunft zu verhindern, verfasste die Regierung im Jahr 2005 ein Dokument mit dem Namen Canada’s Action Plan Against Racism (CAPAR). Zu den Zielen des Planes zählt nicht nur, Rassismus-Opfern beizustehen, sondern auch, durch gezielte Programme, Toleranz zu fördern und alle Menschen in Kanada gleichermaßen am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Mit der Welcoming Communities Initiative (WCI), die zwischen 2005 und 2010 verschiedene Programme förderte, leistete auch Citizenship and Immigration Canada einen Beitrag zum Anti-Rassismus-Plan CAPAR. Speziell verfolgte die Initiative drei Ziele: Sie sollte Verbindungen zwischen Neuankömmlingen und Einheimischen herstellen, auf Gemeindeebene Hürden der Integration abbauen und Bildungsprojekte gegen Rassismus unterstützen.209 Mit der Modernisierung des Settlement-Programms ist die Initiative in dem Bereich Community Connections aufgegangen.* Da Programme zur Förderung einer Willkommenskultur erst langfristig wirken, ist ihr Erfolg weniger einfach zu bewerten als etwa jener von Arbeitsmarktprogrammen. Eine Evaluierung der Welcoming Communities Initiative kommt dennoch zu dem Schluss, dass sie einen wichtigen Beitrag dazu geleistet hat, Hürden zwischen Zuwanderern und Einheimischen abzubauen.210
Local Immigration Partnerships Was? Siedlungs- und Integrationsprogramme mit gemeindespezifischer Strategie; aktives Zusammenwirken von Gastgebergemeinden und Zuwanderern Wer? Verschiedene Interessengruppen auf lokaler Ebene (Gemeindeorganisationen, Regierungsvertreter, Siedlungsbehörden, Arbeitgeber, Schulen, Bibliotheken, Anbieter von Sprachtraining, Gesundheitszentren, Dienste für Familien und Kinder) Wo?
Citizenship and Immigration Canada fördert 45 Local Immigration Partnerships in Ontario; Leitung durch regionale Regierungen oder Gemeindeorganisationen Warum? Förderung der Zusammenarbeit von Verantwortlichen; explizite Einbeziehung von Siedlungs- und Integrationsfragen in Planungsprozesse der Gemeinde; verbesserte Koordination von Integrationsleistungen; Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Teilhabe der Zuwanderer innerhalb der Gemeinden
* Inzwischen trägt ein Forschungs-Konsortium aus Universitäten und anderen Hochschulen in der Provinz Ontario den Namen Welcoming Communities Initiative.
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Freunde sind die größte Hilfe
Multikulturalismus – kleines Programm, große Wirkung Häufig beziehen Organisationen, die im Bereich Anti-Diskriminierung tätig sind, ihre Gelder nicht ausschließlich über die Settlement-Politik, sondern auch über das Multiculturalism Program, welches die langfristige Integration von Zuwanderern im Land fördert. In diesem Zusammenhang stellte das Inter-Action-Programm im Jahr 2010/2011 insgesamt etwa 14 Millionen Kanadische Dollar für 46 verschiedene Projekte und 94 Veranstaltungen in ganz Kanada zur Verfügung. Unter den Empfängern fanden sich vor allem Organisationen, deren Ziel es ist, Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen und Glaubensrichtungen zu ermöglichen.211
Im Vergleich zum Bereich Settlement verfügt die Multikulturalismus-Politik über ein sehr begrenztes Fördervolumen. Viele Beobachter betonen jedoch, dass der Wert des Multikulturalismus eher in der symbolischen Anerkennung von ethnischer Vielfalt liegt als in konkreten Programmen.212 Zudem manifestiert sich die Politik nicht einzig in Förderprogrammen, sondern auch darin, dass sich alle Regierungsorgane dazu verpflichten, den Gedanken des Multikulturalismus in die Gestaltung ihrer Politik einfließen zu lassen.213 Dass diese Herangehensweise durchaus zu Erfolgen führt, zeigen Meinungsumfragen. So sagten in einer Umfrage von Focus Canada im Jahr 2010 etwa 86 Prozent aller Teilnehmer, sie sähen Multikulturalismus als wichtig für die kanadische Identität an.214 Zudem zeigt eine Vielzahl unterschiedlicher Indikatoren, etwa die Zahl der bikulturellen Ehen, dass die soziale Integration in Kanada auch aufgrund
der Multikulturalismus-Politik im internationalen Vergleich extrem erfolgreich verläuft.215 Am deutlichsten wird dies in der jährlichen Zahl der Einbürgerungen: Seit Jahren nehmen zwischen 100.000 und 200.000 Menschen jedes Jahr die kanadische Staatsangehörigkeit an – dies entspricht etwa 84 Prozent aller dazu berechtigten Zuwanderer.216 Diese Zahlen, die höher liegen als in fast jedem anderen Land der Erde, spiegeln eine grundlegende Idee der kanadischen Zuwanderungspolitik wider: Der Staat wirbt nicht nur Arbeitskräfte an, sondern auch zukünftige Bürger, und der Integrationsprozess ist erst dann abgeschlossen, wenn Zuwanderer auch formal die kanadische Nationalität besitzen.
Der Weg in die Erwerbstätigkeit
Bescheid über erfolgreiche Bewerbung
Orientierungs- und Informationsprogramme (CIIP, COA)
Umzug
etwa 1/2 Jahr
Orientierungsprogramme zur Starthilfe (ENTRY Program)
Anerkennung von Abschlüssen
Anpassungsqualifizierungen mit Bridging Programs, erste praktische Erfahrungen (Career Bridge)
Sprachtraining und Weiterbildungen via Internet
CIIP = Canadian Immigrant Integration Program COA = Canadian Orientation Abroad ELT = Enhanced Language Training LIP = Local Immigration Partnerships WCI = Welcoming Communities Initiative
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Berufsspezifischer Sprachunterricht (ELT )
Kontakt mit Einheimischen vor Ort (LIP, WCI, Mentorenprogramme)
etwa 3 Jahre
In Kanada existiert eine Vielzahl an innovativen und erfolgreichen Programmen zur Integration von Zuwanderern. Und dennoch steht die Politik vor großen Herausforderungen. Denn nicht der Mangel an guten Ideen ist das Problem, sondern vielmehr, die verschiedenen Akteure zu koordinieren und die Leistungen flächendeckend über das riesige Territorium zu erbringen. Dies wird dadurch erschwert, dass in der Regel nicht der Staat selbst die Integrationsprogramme durchführt, sondern Auftragnehmer aus der Zivilgesellschaft, sogenannte Community Partners. Da diese mit regionalen Besonderheiten vertraut sind, versprechen sie die innovativsten und kostengünstigsten Lösungsansätze. Doch gleichzeitig können sie kaum eine flächendeckende Versorgung gewährleisten, da sie vorwiegend in urbanen Zentren angesiedelt sind. Darüber hinaus bieten verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure häufig unabhängig voneinander ähnliche Dienstleistungen an. Die Regierung muss daher den Spagat meistern, ihren zivilgesellschaftlichen Partnern ausreichend Spielraum in der Programmgestaltung zu lassen, die durchgeführten Programme gleichzeitig aber so weit aufeinander abzustimmen, dass Dopplungen und regionale Ungleichgewichte minimiert werden.
Hierbei steht die Regierung vor einer weiteren Herausforderung. Denn in den 1990er Jahren gab sie die Verantwortung über Integrationspolitik in einigen Provinzen an die regionalen Regierungen ab. Den größten Grad an Autonomie genießen nach Québec, das eine gänzlich eigenständige Zuwanderungspolitik besitzt, British Columbia und Manitoba. Sie empfangen zwar Geld aus Ottawa, können ihre Settlement-Programme allerdings beinahe komplett unabhängig von der Zentralregierung planen und durchführen.
tiativen zu evaluieren, um vielversprechende Ideen und Konzepte in die Breite tragen zu können. Dadurch entstehen zwar Kosten, doch wären diese ungleich höher, wenn es nicht gelänge, Zuwanderer schnell zu integrieren. Zudem lassen sich über best practices jene Pilotprojekte finden, deren Verstetigung sich lohnt. Durch die resultierenden längeren Förderzeiträume erlangen Community Partners Planungssicherheit, die verhindert, dass sie in finanzielle Schieflage geraten und ihr wertvolles Knowhow gefährden.
Derlei Abkommen müssen nicht zu schlechteren Ergebnissen führen. Viele Experten loben gerade die Integrationspolitik Manitobas als vorbildlich.217 Mit Manitoba Start stellt die Regierung Zuwanderern eine zentrale Anlaufstelle zur Verfügung, welche schon Migrations-Interessierte in ihren Heimatländern berät und sie auch nach der Ankunft in Kanada begleitet. Unter anderem verweist Manitoba Start alle Neuankömmlinge an das sogenannte ENTRY Program – ein dreiwöchiges Orientierungsprogramm –, welches unter anderem wichtige Informationen zu Möglichkeiten des Sprachtrainings und zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen bereitstellt.
Für die Neuankömmlinge ist es zudem wichtig, dass sich die verschiedenen Akteure nicht nur lokal vernetzen, sondern dass die unterschiedlichen Integrationsprogramme ineinander übergehen und das Integrationsangebot als Gesamtbild wahrgenommen wird. Dieses Gesamtbild krankt jedoch immer noch daran, dass Informationen häufig nicht gebündelt vorzufinden sind. Gute Gegenbeispiele bilden das Canadian Immigrant Integration Program und Career Bridge, die erst jüngst eine Partnerschaft vereinbarten. Hierdurch ist es Career Bridge möglich, die Teilnehmer-Datenbank des Canadian Immigrant Integration Program einzusehen und Zuwanderer noch präziser, frühzeitiger und vor allem landesweit für Praktika zu vermitteln. In noch größerem Ausmaß funktioniert die Koordination über die Canadian Immigrant Settlement Sector Alliance, in welcher etwa 450 zivilgesellschaftliche Akteure vernetzt sind, die hier ein Forum vorfinden, um ihre Programme aufeinander abzustimmen.
Die wachsende Unzufriedenheit mit der Sonderbehandlung einiger Provinzen hat allerdings dazu geführt, dass die Regierung in Ottawa im Sommer 2012 verkündete, die Integrationspolitik wieder zu zentralisieren. Gleichzeitig unterstützt sie seit geraumer Zeit den Prozess der Delegation bestimmter Verantwortlichkeiten an die lokale Ebene, also an die Kommunen und Stadtbezirke. Die besten Beispiele hierfür sind die Local Immigration Partnerships oder auch die Immigrant Employment Councils. Durch die Vernetzung relevanter Akteure vor Ort sollen effizientere Problemlösungen erreicht werden. Doch auch hierbei ist es wichtig, die durchgeführten Ini-
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Innovation vs. Koordination
Was kann Deutschland lernen? Dass Deutschland es jahrzehntelang versäumt hat, sich um die Integration seiner Zuwanderer zu kümmern, ist inzwischen allgemein bekannt. Erst 2005 schuf die Bundesregierung im Zuge des Zuwanderungsgesetzes mit den Integrationskursen ein zentrales Instrument, mit dem sie Personen mit Migrationshintergrund die deutsche Sprache und Kultur näher bringen will. Gleichzeitig setzte sie einen gesellschaftlichen Dialog zum Thema Integration in Gang, der 2012 im „Nationalen Aktionsplan Integration“ mündete. Bedingt durch die Versäumnisse der Vergangenheit liegt der Schwerpunkt der Politik dabei weniger auf Neuankömmlingen als auf Menschen, die zum Teil schon seit Jahrzehnten im Land wohnen oder sogar hier geboren wurden. Eine moderne Settlement-Politik für Neuankömmlinge wird jedoch gerade vor dem Hintergrund einer zunehmend aktiv gesteuerten Zuwanderungspolitik nötig werden – erst recht, falls Deutschland sich entscheiden sollte, ein Punktesystem einzuführen, das Zuwanderern die Einreise auch ohne Jobangebot gestattet. In einigen Bereichen existieren bereits Ansätze einer solchen Integrationspolitik. Dies gilt insbesondere für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Rein rechtlich gesehen ist Deutschland hier seit dem 2012 in Kraft getretenen Anerkennungsgesetz sogar weiter als Kanada. Denn nunmehr haben alle Zuwanderer mit einem ausländischen Berufsabschluss in einem Ausbildungsberuf oder einem bundesweit
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reglementierten Hochschulberuf das Recht, innerhalb von drei Monaten eine Auskunft über die Wertigkeit ihrer Qualifikationen zu erhalten. Eine weitere Stärke des Gesetzes ist es, dass Antragsteller sich nicht in Deutschland befinden müssen. Das kanadische Erfolgsrezept der „Integration vor der Einreise“ hat sich also zumindest in diesem Bereich auch hierzulande bereits durchgesetzt. Und auch der Informationszugang ist gut geregelt: Das zweisprachige Internet-Portal „Anerkennung in Deutschland“ stellt mit dem „Anerkennungs-Finder“ ein einfach zu bedienendes Werkzeug zur Verfügung, das Zuwanderer mit den für sie relevanten Stellen in Verbindung bringt. Doch auch das Anerkennungsgesetz ist kein Allheilmittel. So betrifft es nur jene Hochschulabsolventen, die einen auf Bundesebene reglementierten Beruf ausüben wollen. Auf Bundesländer-Ebene reglementierte Berufe, etwa Ingenieur oder Lehrer, sowie die große Mehrheit der nicht reglementierten Berufe fallen dagegen nicht unter das Gesetz. Eine große Stärke der kanadischen Integrationspolitik ist die weite Verbreitung von sogenannten Bridging Programs. Sie helfen Zuwanderern, die Fähigkeiten und Qualifikationen zu erlangen, die ihnen zu einem erfolgreichen Berufseinstieg fehlen. In Deutschland stehen diese Anpassungsqualifizierungen nur in deutlich geringerem Ausmaß zur Verfügung. Vor allem die Verzahnung von Theorie und Praxis – in Kanada beispielsweise über Mentoren- und Praktikumsprogramme gelöst – erweist sich in Deutschland noch als unzureichend.218 Auch der Zugang zu Orientierungs- und Informationsprogrammen im Heimatland der Zuwanderer – vergleichbar mit dem Canadian Immigrant Integration Program – und das Angebot an Mikrokrediten für Qualifizierungsmaßnahmen bedürfen weiterer Verbesserungen.
Eine erfolgversprechende Methode zur Anpassungsqualifizierung von Zuwanderern fördert hierzulande der Europäische Sozialfonds – die sogenannten ESF-BAMF-Kurse. Hierbei handelt es sich um Programme zur berufsbezogenen Sprachförderung, die häufig auch Praktika und Betriebsbesichtigungen beinhalten. Sie ähneln damit dem kanadischen Enhanced Language Training, das die Regierung einführte, weil die in den grundlegenden Sprachkursen vermittelten Kenntnisse nicht für die professionelle Kommunikation ausreichten.
Fachkräfte brauchen sehr gute Sprachkenntnisse Inwiefern sind also die deutschen Integrationskurse sinnvoll? Denn sie haben lediglich das Ziel, Zuwanderern zu Sprachkenntnissen auf dem Niveau B1 des „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens“ zu verhelfen, ihnen also zu ermöglichen, sich in einfacher Sprache in vertrauten Themen zu unterhalten. Dies dürfte für Fachkräfte nicht reichen, um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich mit Einheimischen zu konkurrieren. Für andere Zuwanderer, etwa Flüchtlinge und Familiennachzüger, haben sie sich dagegen in der Vergangenheit bewährt und dazu beigetragen, dass Absolventen der Kurse deutlich häufiger erwerbstätig sind als vor dem Kurs und größere Fortschritte auf dem Arbeitsmarkt verzeichnen als andere Zuwanderer.219 Die kanadische Erfahrung zeigt auch, dass die besten Integrationsangebote nutzlos sind, wenn Zuwanderer nicht über sie informiert werden. Umso wertvoller sind integrierte Angebote wie etwa Manitoba Start
Koordinationsprobleme auch in Deutschland Ähnlich wie in Kanada findet Integrationspolitik auch in Deutschland nicht ausschließlich auf Bundesebene statt, sondern ist ein Geflecht von Zuständigkeiten verschiedener Akteure. Da die Bundesregierung es lange Zeit versäumte, Integrationsmaßnahmen anzubieten, haben Kommunen vielerorts versucht, eigenständig die Lücke zu schließen. Hierbei mangelte es jedoch an zentraler Steuerung und Koordination, so dass sich ein Wildwuchs an verschiedenen Programmen entwickeln konnte. In seinem Jahresgutachten 2011 beschwert sich der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration darüber, dass viele Kommunen noch immer versuchen würden, das „Rad neu zu erfinden“. Er plädiert dafür, eine zentrale „Serviceagentur für kommunale Integrationsfragen“ zu schaffen, die die Vernetzung der Kommunen untereinander erleichtert und dabei hilft, erfolgreiche Projekte zu identifizieren und in die Fläche zu tragen.220
Die kanadische Erfahrung lehrt uns, dass es nicht nur notwendig ist, Kommunen miteinander zu vernetzen, sondern auch, verschiedene Akteure vor Ort in die Integrationspolitik einzubeziehen. In Kanada geschieht dies über Local Immigration Partnerships und Immigrant Employment Councils. Derlei Kooperationen mit dem Privatsektor sind in Deutschland noch Mangelware, obwohl etwa mit dem bereits 2001 ins Leben gerufenen Stuttgarter Bündnis für Integration ein vielversprechendes Vorbild besteht. Das Bündnis zeigt exemplarisch, wie es gelingen kann, auch jenseits der Politik finanzielle Mittel für Integrationsprojekte zu akquirieren – eine Aufgabe, die vor dem Hintergrund leerer kommunaler Kassen weiter an Gewicht gewinnen wird. Der Fokus auf lokale Integrationspartnerschaften bedeutet allerdings nicht, dass sämtliche Maßnahmen auf der kommunalen Ebene am besten aufgehoben sind. Zwar verfügen Kommunen über detaillierte Kenntnisse des lokalen Arbeitsmarkts. Doch fehlt es ihnen an Kapazitäten, um flächendeckend Bridging Programs und Weiterbildungen anzubieten. Eine wichtige Rolle dürften die Kommunen dagegen bei der angestrebten Schaffung einer Willkommenskultur spielen. Denn Akteure vor Ort können maßgeblich zu interkultureller Toleranz und Verständigung beitragen – etwa durch Informationskampagnen oder Programme zur politischen Bildung.
Multikulturalismus auf Deutsch In Kanada wird die Multikulturalismus-Politik häufig als Schlüssel dazu angesehen, dass Zuwanderung in der Bevölkerung eine breite Akzeptanz genießt, und auch Zuwanderer überwiegend positiv von ihren Erfahrungen berichten. Dennoch scheint es unwahrscheinlich, dass sich die deutsche Politik in näherer Zukunft zum Multikulturalismus bekennt. Denn das Wort hat in den vergangenen Jahren einen derart schlechten Ruf erlangt, dass es sich für einen von der Bevölkerung gestützten Neuanfang in der Zuwanderungspolitik nicht eignet. Wichtiger als der Name sollten ohnehin die inhaltlichen Ziele der Politik sein. Sie bestehen in Kanada darin, kulturelle Barrieren zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen abzubauen, um allen Einwohnern Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben zu ermöglichen, sowie aktiv den kreativen Austausch zwischen allen Bevölkerungsgruppen zu fördern. In der Praxis ist die deutsche Integrationspolitik gar nicht so weit entfernt von einer Multikulturalismus-Politik nach kanadischem Vorbild. Dies manifestiert sich unter anderem in verschiedenen Projekten gegen Rassismus und Diskriminierung, aber auch in der jüngsten Initiative des Bundes, die öffentliche Verwaltung durchlässiger für Menschen mit Migrationshintergrund zu gestalten. Langfristig sollten sich Politik und Gesellschaft trotz der genannten Initiativen noch klarer als bislang zu ethnischer Vielfalt bekennen und auch die erzielten Erfolge stärker in den Vordergrund rücken. Noch immer ist die deutsche Zuwanderungs-Debatte von der Gastarbeiter-Politik des 20. Jahrhunderts und von den damit zusammenhängenden langfristigen Integrationsproblemen geprägt. Dies verstellt eine sachliche und zukunftsgerichtete Diskussion über eine aktive Zuwanderungssteuerung, die im 21. Jahrhundert immer notwendiger wird. Die kanadische Erfahrung zeigt jedoch, welch enorme Wirkung von einem offenen Bekenntnis ausgehen kann.
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in der gleichnamigen kanadischen Provinz. Derlei Vernetzung findet in Deutschland noch zu wenig statt und müsste ausgebaut werden. Ein guter Startpunkt ist die „Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer“ (MBE), die Neuankömmlingen in den ersten drei Jahren in Deutschland kostenfrei mit praktischen Ratschlägen zu Sprache, Erwerbstätigkeit und vielem mehr zur Seite steht und in einem persönlichen Förderplan mündet. Eine weitere vielversprechende Idee ist das Make it in Germany Internetportal, das Informationen zu allen wichtigen Bereichen der Zuwanderung enthält. Allerdings ist es (noch) deutlich weniger detailliert als etwa die Website von Citizenship and Immigration Canada.
5.3
DIE INTEGRATION DER ZWEITEN GENERATION
Kanada schafft es nicht nur, Neuankömmlinge besser und schneller zu integrieren als Deutschland, sondern auch, dass deren Kinder größere Bildungserfolge erzielen als einheimische Kinder. Den Bildungsvorsprung ihrer Eltern gegenüber Einheimischen können sie sogar ausbauen. Beim Übergang in den Arbeitsmarkt tun sich die Kinder von Zuwanderern zwar schwerer als ihre einheimischen Altersgenossen, sie können einen Großteil ihres Bildungsvorsprungs aber dennoch in eine höhere Erwerbstätigenquote und in höhere Gehälter umsetzen. Durch ihren Bildungsvorsprung schneiden Zuwandererkinder auch deutlich besser ab als ihre Eltern, die bei allen betrachteten Indikatoren hinter den Einheimischen zurückliegen (siehe Kapitel 3).221 Gänzlich anders sieht es in Deutschland aus: Hier haben Zuwanderer im Mittel eine geringere Bildung als Einheimische. Fast die Hälfte von ihnen verfügt nicht einmal über einen Berufsabschluss. Ihre Kinder schaffen es zudem nicht, die von ihren Eltern „geerbte“ Bildungslücke gegenüber Einheimischen zu schließen. Deutschland tut sich mit der Integration also auch in der zweiten Generation schwerer als Kanada. Aber woran liegt es, dass Zuwandererkinder in Kanada sowohl im Vergleich zu jenen in Deutschland als auch im Vergleich zu ihren einheimischen Altersgenossen derart gut abschneiden?
Zuwandererkinder in Kanada sind höher qualifiziert Kinder von Zuwanderern schneiden in Kanada im Bildungsvergleich besser ab als einheimische Kinder. So haben Zuwandererkinder eineinhalb Mal so oft einen hohen Bildungsabschluss, während Einheimische häufiger niedrige Bildungsabschlüsse aufweisen. In Deutschland zeigt sich ein völlig anderes Bild: Hier bleiben Zuwandererkinder deutlich hinter einheimischen Kindern zurück. Der generell geringe Anteil Hochqualifizierter in Deutschland lässt sich auch dadurch erklären, dass rund jeder Dritte in der betrachteten Altersgruppe noch in der Ausbildung oder im Studium ist. In Kanada mit seinem „schnelleren“ Ausbildungssystem ist dieser Anteil nicht einmal halb so groß. Kinder zugewanderter Eltern Kinder einheimischer Eltern Kanada
Prozent
Deutschland
70
60
50
40
30
20
10
0 Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen niedriger
mittlerer Bildungsabschluss
hoher
niedriger
mittlerer Bildungsabschluss
hoher
Bildungsabschluss von 20- bis 29-jährigen Kindern zugewanderter und einheimischer Eltern in Kanada und Deutschland, 2007 (Datengrundlage: Liebig, T., Widmaier, S.222)
58 Nach Punkten vorn
sexuelle Orientierung
90
Bildungsabschluss der Eltern
80 70 60 50 40
Anteil der Schüler, die eine weiterführende Schule mit Abschluss oder vorzeitig verlassen haben, unterteilt nach Bevölkerungsgruppe, sexueller Orientierung und Bildungsstand der Eltern, 2011 erfolgreich die weiterführende Schule abgeschlossen
30 20 10
weiterführende Schule ohne Abschluss verlassen
0 10
Bessere Startbedingungen und viele Aufsteiger Ein Grund für das hohe Bildungsniveau der zweiten Generation liegt bereits in der Auswahl der Zuwanderer. Durch die humankapitalorientierte Zuwanderungspolitik zieht Kanada vornehmlich Akademiker an. Der im Vergleich zu Einheimischen höhere Bildungsstand der Neuankömmlinge wirkt sich wiederum positiv auf das schulische Abschneiden ihrer Kinder aus. Doch auf die elterliche Bildung lässt sich nur etwa die Hälfte des Bildungsgefälles zwischen Kindern zugewanderter und einheimischer Eltern zurückführen.224 Der Rest erklärt sich damit, dass Zuwandererkinder überproportional häufig zu den Bildungsaufsteigern zählen, von denen es in Kanada im Vergleich zu Deutschland generell sehr viele gibt.225 Tatsächlich ist der eigene Bildungserfolg bei Zuwandererkindern weitgehend vom Bildungsniveau der Eltern entkoppelt.226
Universität
College
weiterführende Schule
LGBTQ*
heterosexuell
lateinamerikanisch
Mittlerer Osten
gemischt
schwarz
südasiatisch
ostasiatisch
weiß
20
(Datengrundlage: Toronto District School Board223) * steht für lesbian, gay, bisexual, transgendered, queer individuals/ communities
Doch warum ist dies so? Eine Rolle dürfte die Erwartungshaltung der Zuwanderer und ihrer Kinder spielen. So stecken sich Angehörige von visible minorities selbst bei gleichem Qualifikationsniveau der Eltern höhere Bildungsziele als andere. Insgesamt wollen fast vier von fünf 15-Jährigen dieser Gruppe einen Universitätsabschluss erreichen. Ihre Altersgenossen, die in Kanada geboren sind und keiner visible minority angehören, wollen dies nur zu knapp 60 Prozent. Einiges lässt darauf schließen, dass sie die Erwartungen der jeweiligen Eltern angenommen haben. Denn deren Zielsetzungen ähneln sehr jenen ihrer Kinder.227 Eine mögliche Erklärung für die hohen Bildungsaspirationen könnte sein, dass Zuwanderer – und insbesondere die große Gruppe der Arbeitsmigranten – mit dem Wunsch nach einem besseren Leben nach Kanada kommen und deshalb stärker am sozialen Aufstieg ihrer Kinder interessiert sind. Höhere Ambitionen alleine können den Bildungsaufstieg der Zuwandererkinder allerdings nicht erklären. Denn gegenüber Einheimischen haben sie häufig den Nachteil, dass
Große Unterschiede beim Bildungserfolg Das Toronto District School Board hat ausgewertet, wie erfolgreich die Schüler waren, die im Jahr 2006 die neunte Klasse besuchten. Bis zum Jahr 2011 schafften knapp 79 Prozent von ihnen den Schulabschluss, rund 14 Prozent gingen vorzeitig ab. Die restlichen sieben Prozent befanden sich noch in einem zusätzlichen Schuljahr. Anhand der Informationen aus dem Student and Parent Census wurde dann der Bildungserfolg einzelner Schülergruppen miteinander verglichen. Diese Auswertung dient als Grundlage dafür, jene Gruppen gezielt unterstützen zu können, denen es schwerer fällt, die weiterführende Schule erfolgreich abzuschließen.
sie eine andere Muttersprache als Englisch oder Französisch sprechen. Zudem können sie ihre Ambitionen nur dann umsetzen, wenn sie auf Rahmenbedingungen treffen, die ihnen Chancen eröffnen, ihre Potenziale zu entfalten. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei das kanadische Schulsystem, das alle Kinder vom Kindergarten bis zum Ende der Junior High School in der 9. Klasse gemeinsam durchlaufen. Erst danach trennen sich ihre Wege.228 Zuwandererkinder haben also vergleichsweise viel Zeit, einen etwaigen Sprachrückstand auf ihre Klassenkameraden aufzuholen. Zusätzlich unterstützt werden sie dabei von speziellen Förderprogrammen.
Individuelle Schülerbetreuung in Toronto Neben den verschiedenen Provinzen gestalten die regionalen Schulbehörden das kanadische Bildungssystem maßgeblich mit. Die größte von ihnen ist das Toronto District School Board mit 600 Schulen und rund 250.000 Schülern.229 In Kanadas größter Stadt gelegen, organisiert es den schulischen Alltag der Kinder und Jugendlichen. Eine große Herausforderung besteht darin, die ethnisch und kulturell extrem gemischte Schülerschaft mit Bildung zu versorgen: Jeder vierte Schüler ist nicht in Kanada geboren, bei vier von fünf Schülern ist mindestens ein Elternteil zugewandert. Damit liegt der Anteil
Berlin-Institut 59
KAPITEL 5.3
Bevölkerungsgruppe
100
erkannt werden. Das School Board führt dazu in regelmäßigen Abständen einen sogenannten Student and Parent Census durch. Hierbei wird nicht nur nach sozio-ökonomischen Faktoren wie der ethnischen Zugehörigkeit, dem Geburtsort sowie dem Bildungsstand und dem Einkommen der Eltern gefragt, sondern Leitbild des Toronto District School Board auch nach dem Schulklima, den außerschuist das im Jahr 2000 entwickelte Equity Foundation Statement. In ihm verpflichtet sich lischen Aktivitäten und den Bildungszielen die Behörde dazu, allen Schülern die Möglich- der Schüler, sogar nach der sexuellen Orienkeit zu geben, das Beste aus ihren Fähigkeiten tierung. Da die Daten zwar vertraulich aber zu machen.230 Sie konzentriert sich also nicht nicht anonym erhoben werden, lässt sich der nur auf Zuwandererkinder, sondern versucht, individuelle Bildungserfolg im Zeitverlauf dokumentieren. So können jene Gruppen identijegliche Benachteiligungen einzelner Schüler fiziert werden, die ein höheres Risiko haben, (-gruppen) auszugleichen. Voraussetzung in der Schule schlecht abzuschneiden.231 dafür ist jedoch, dass jene Gruppen auch von Schülern mit Migrationshintergrund (nach deutscher Definition) hier deutlich höher als in deutschen Großstädten. Und dennoch erzielen die kanadischen Schüler aus Zuwandererfamilien beeindruckende Erfolge.
Learning Opportunities Index Was? Index zur Messung der sozialen Struktur der Schülerschaft von Schulen; die Schulen sollen entsprechend ihrer Bedürftigkeit mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden Wie? Messung der Einkommensstruktur und des Bildungsniveaus der Eltern sowie der bestehenden Familienformen im Wohnumfeld der Schüler; Ranking der Schulen anhand der Höhe des Förderbedarfs ihrer Schüler; Neuberechnung alle zwei Jahre Wer bietet an?
Toronto District School Board Warum? Sicherung von gleichen Bildungschancen für Kinder unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund
60 Nach Punkten vorn
Chancengleichheit entsteht nach Auffassung der Schulbehörde in Toronto durch eine auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler abgestimmte Förderung und nicht durch deren generelle Gleichbehandlung. So wird für Kinder mit besonderem Förderbedarf ein Individual Education Plan erstellt. Dieser enthält konkrete jährliche Ziele, die die Lehrer gemeinsam mit den Eltern erarbeiten.232 Damit die Lehrer diese aktive Rolle ausfüllen können, werden sie gezielt geschult. Um mögliche Diskriminierungen durch die Form des Unterrichts zu verhindern, werden auch die Lehrpläne stetig weiterentwickelt.233 Dennoch ist es auch in Toronto für Kinder aus sozial schwächerem Umfeld schwieriger, einen hohen Bildungsabschluss zu erreichen.234 Schulen in sozialen Brennpunkten sind daher stärker gefordert, den individuellen Bedürfnissen ihrer Schüler gerecht zu werden. Letzteres funktioniert aber nur dann, wenn ihnen dafür die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Im Jahr 2000 entwickelte das Toronto District School Board daher den Learning Opportunities Index. Mit ihm sollen jene Schulen identifiziert werden, die aufgrund der sozialen Struktur ihrer Schülerschaft besondere Unterstützung benötigen. Dazu wertet die Schulbehörde alle zwei Jahre eine Reihe von Indikatoren zum Wohnumfeld der Schüler aus. Zu ihnen zählen unter
English as a Second Language Was? Sprachförderprogramm an Grund- und weiterführenden Schulen Wie? In den Grundschulen Sprachförderung durch den Klassenlehrer oder einen zusätzlichen Sprachlehrer; in weiterführenden Schulen separate Kurse auf unterschiedlichem Sprachniveau; Integration in den regulären Lehrplan; Zuwandererkinder können am regulären Schulleben teilnehmen Wer bietet an?
Toronto District School Board Wer nimmt teil? Schüler mit sprachlichem Förderbedarf; Teilnahme bei Bedarf auch nach Abschluss der Schule möglich Warum? Schnellstmögliche Überwindung von Defiziten in der Unterrichtssprache
anderem das Durchschnittseinkommen, der Anteil an Geringverdienern und Abhängigen sozialer Leistungen, der Anteil Erwachsener mit geringer Bildung und der Anteil alleinerziehender Eltern. Anhand eines Rankings werden dann die Schulen mit dem höchsten Förderbedarf ermittelt. Diese erhalten finanzielle Mittel aus einem eigens eingerichteten Fördertopf. Fehlende Unterstützungsmöglichkeiten im Elternhaus oder der Nachbarschaft der Schüler sollen so in der Schule aufgefangen werden.235
Mangelnde Sprachkompetenz stellt für Zuwandererkinder häufig eine hohe Hürde dar. So ist Englisch für mehr als jeden zweiten Schüler an den Schulen des Toronto District School Board nicht die Muttersprache oder die vorrangig im Elternhaus gesprochene Sprache.236 Die Sprachfähigkeit ist aber ein entscheidender Faktor für den schulischen Erfolg. Defizite in der Unterrichtssprache erschweren es Schülern, dem Unterricht zu folgen. Das Sprachförderprogramm English as a Second Language richtet sich daher an all jene, deren Muttersprache nicht Englisch ist und bei denen in einem Einstufungstest Nachholbedarf festgestellt wurde. Zu den Teilnehmern an dem Programm zählen sowohl selbst zugewanderte Kinder als auch in Kanada geborene Kinder aus Zuwandererfamilien.237 In der Grundschule kann die Sprachförderung sowohl während des regulären Unterrichts als auch in gesonderten Unterrichtseinheiten erfolgen. Durchgeführt wird sie vom Klassenlehrer oder von einem zusätzlichen Sprachlehrer.238 In den weiterführenden Schulen können die Schüler entsprechend ihrer Vorkenntnisse Sprachkurse in vier verschiedenen Niveaustufen belegen. Den Schülern wird so die Möglichkeit gegeben, sowohl erste Grundkenntnisse in Englisch zu erwerben als auch das fließende Sprechen zu erlernen. Da die Kurse in den regulären Lehrplan integriert sind, können die Schüler sich die Teilnahme als normalen Unterricht anrechnen lassen.239 Speziell an zugewanderte Kinder im Alter von 11 bis 18 Jahren, die nicht nur über geringe Englischkenntnisse verfügen, sondern in ihrem Herkunftsland bisher gar nicht oder nur eingeschränkt eine Schule besuchen konnten, wendet sich das Literacy Enrichment Academic Program. Angeboten wird das Programm an insgesamt 40 Grund- und 13 Sekundarschulen des Toronto District School Board. Es richtet sich in erster Linie an Flücht-
lingskinder und beinhaltet neben der Sprachförderung auch Unterrichtseinheiten in Lesen und Mathematik.240 Das Toronto District School Board fördert auch die Mehrsprachigkeit seiner Schüler, indem es die Eltern ermuntert, sich weiterhin in der Muttersprache mit ihren Kindern zu unterhalten. Die Behörde folgt damit nach eigenen Aussagen Studien, die zeigen, dass Schüler mit einem guten Fundament in ihrer Muttersprache erfolgreicher in der Schule sind.241 Im Rahmen der International Languages Elementary & African Heritage Programs erhalten Zuwandererkinder zudem die Möglichkeit, Unterrichtseinheiten in ihrer jeweiligen Muttersprache zu besuchen. Vom Kindergarten bis zur 8. Klasse bekommen sie so zweieinhalb Stunden wöchentlich Lerninhalte in ihrer Erstsprache präsentiert. Das Angebot ist eine Ergänzung zum regulären Unterricht und steht auch einheimischen Kindern offen, die eine Fremdsprache erlernen wollen.242 Zu den Zielen der Schulbehörde gehört auch, die Eltern über den schulischen Erfolg ihrer Kinder zu informieren und sie in deren schulische Entwicklung einzubinden.243 Schwierig ist dies jedoch, wenn die Eltern kaum Englisch sprechen. Damit sie bei wichtigen Bildungsfragen trotzdem nicht außen vor bleiben, stellt das School Board den Schulen finanzielle Mittel bereit, damit Briefe an die Eltern übersetzt werden können und bei Elterngesprächen in der Schule ein Dolmetscher anwesend sein kann.244 Darüber hinaus bietet die Schulbehörde wichtige Informationen generell in den am häufigsten gesprochenen Sprachen der Eltern an. Eine breit angelegte Befragung der Eltern zu ihrer Zufriedenheit mit dem Toronto District School Board im Jahr 2010 erfolgte beispielsweise in 25 verschiedenen Sprachen. Ein Ergebnis der Erhebung: 82 Prozent der befragten Eltern bewerteten es positiv, dass ihnen Informationen zu den Bildungsmöglichkeiten ihrer Kinder in ihrer Muttersprache bereitgestellt wurden.245
Settlement Workers in Schools Program Was? Integrationsmanager in Grund- und weiterführenden Schulen mit hoher Anzahl an zugewanderten Schülern; Ansprechpartner für Lehrer, Schüler und ihre Eltern; zusätzliche Gruppeninformations- und Orientierungsveranstaltungen Wer bietet an?
Citizenship and Immigration Canada Warum?
Settlement workers als Bindeglied zwischen Lehrer und Eltern; Informationen und Orientierung für zugewanderte Familien; Aufzeigen von Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten sowie Schaffung eines integrativen Umfelds in Schulen
Werden Eltern von den Schulen in die Bildung ihrer Kinder mit einbezogen, wirkt sich dies auch positiv auf ihre Kinder aus – sie sind besser in der Schule und gehen erst später von der Schule ab. Doch trotz aller Bemühungen fällt es gerade neu zugewanderten Eltern teilweise schwer, Kontakt zu Schule und Lehrern aufzubauen. So nannten aus China stammende Eltern häufig sprachliche Barrieren und mangelnde Vertrautheit mit dem kanadischen Schulsystem als Gründe für ihre eingeschränkte Teilnahme an schulischen Aktivitäten wie Eltern-Lehrergesprächen, Spendenaktionen oder musikalischen und sportlichen Veranstaltungen.246 Als Bindeglied zwischen Eltern und Schulbelegschaft fungieren daher häufig sogenannte settlement workers. Sie sind eine Art Integrationsmanager, die im Rahmen des von der nationalen Regierung in Ottawa geförderten Settlement
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Sprachkenntnisse fördern – Eltern einbeziehen
Workers in Schools Program in Schulen mit hohem Zuwandereranteil eingesetzt werden. Die zugewanderten Eltern erhalten von ihnen nicht nur Informationen zum Schulsystem sondern auch zu verschiedensten Angeboten rund um ihren neuen Wohnort – angefangen bei Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten über allgemeine lokale Angebote bis hin zu Sprachkursen.247 Letztere bietet das School Board auch selbst an.248 Doch settlement workers agieren nicht nur als Bindeglied zwischen Eltern und Lehrern, sondern helfen auch der Schulverwaltung und den Lehrern dabei, effektiv mit Zuwandererkindern zu arbeiten.249
Früh Grundlagen schaffen Einige Programme des Toronto District School Board beziehen die Eltern auch direkt in die Arbeit mit ihren Kindern ein, bevor diese das Schulalter erreicht haben. Hierzu gehören die insgesamt 75 Parenting and Family Literacy Centres, die vorrangig in dicht bewohnten und kulturell vielfältigen Stadtteilen liegen. Eltern oder auch Großeltern können diese Treffpunkte gemeinsam mit ihren Kindern oder Enkelkindern im Alter von null bis sechs Jahren 20 Stunden die Woche nutzen.250 In den Zentren sollen die Kinder
spielerisch ihre Sprachfähigkeiten erweitern, um bei der Einschulung nicht hinter ihren Altersgenossen zurückzuliegen. Die Eltern unterstützen ihre Kinder hierbei und lernen gleichzeitig, wie sie ihren Nachwuchs am besten fördern können. Dank einer Bibliothek mit Büchern in verschiedenen Sprachen können sie den Kindern auch in der Muttersprache vorlesen. Zusätzlich erhalten sie wichtige Informationen zu Impfungen, Ernährung sowie anderen Förderprogrammen und können sich mit anderen Eltern austauschen.251
Familienzentren zahlen sich aus
Parenting and Family Literacy Centres
Haben Kinder vor der Kindergartenzeit ein Parenting and Family Literacy Centre besucht, erreichen sie deutlich seltener einen geringen Wert beim Early Development Instrument, einem Test der Schulreife. Selbst wenn sie nur gelegentlich in den Zentren waren, schneiden sie in vier von fünf Bereichen besser ab als ihre Altersgenossen in der Nachbarschaft. Regelmäßige Besuche verringern in allen Bereichen das Risiko, zum schwächsten Viertel zu gehören.
Was?
haben die Familienzentren nicht besucht 40
Kostenlose Programme in Grundschulen (Lesen, Musizieren, Märchenstunden, spielerisches Lernen); gemeinsame Teilnahme von Kindern und Eltern, Großeltern oder Betreuern; Leitung durch ausgebildete Erzieher; Kooperation mit Lehrern der Schule
haben die Familienzentren regelmäßig besucht 35 30 25
Wer bietet an?
20
Toronto District School Board
15
Wer nimmt teil?
10
Familien in der Gemeinde mit bis zu sechs Jahre alten Kindern
5
Warum?
Möglichst frühe Förderung von Kindern durch die Einbeziehung der Familien in ihre Ausbildung
62 Nach Punkten vorn
haben die Familienzentren gelegentlich besucht
Gesundheit und Wohlbefinden
soziale Kompetenzen
emotionale Reife
sprachliche und kognitive Fähigkeiten
Anteil der Kinder, die zum schwächsten Viertel nach EDI-Wert gehören, 2008 (Datengrundlage: Yau, M.252)
Kommunikationsfähigkeit und allgemeiner Wissensstand
Was kann Deutschland lernen? Die kanadische Erfahrung lehrt uns, dass die Auswahl der Zuwanderer zwar einen positiven Effekt auf das Abschneiden ihrer Kinder hat, sich aber die unterschiedlichen Bildungserfolge der zweiten Generation in Deutschland und Kanada nicht alleine durch das höhere Bildungsniveau der Zuwanderer in Kanada erklären lassen. Denn in Kanada erreichen auch viele Zuwandererkinder aus gering gebildeten Familien eine hohe Qualifikation und schaffen damit den Bildungsaufstieg. Unterstützt werden sie dabei durch unterschiedliche Maßnahmen und Programme, deren Ziel es ist, sprachliche Defizite und nachteilige soziale Voraussetzungen in oder sogar noch vor der Schule auszugleichen. In Deutschland hingegen verläuft der Aufholprozess der zweiten Generation äußerst träge. Dies liegt auch am generell wenig durchlässigen Schulsystem. Doch gerade der hohe Anteil an eher gering gebildeten Zuwanderern in Deutschland macht einen Bildungsaufstieg der zweiten Generation umso dringlicher. Die Anstrengungen dazu sollten in Deutschland also deutlich höher sein. Denn rund vier von zehn Zuwandererkindern schaffen derzeit keinen Berufsabschluss. Und lediglich zwölf Prozent absolvieren ein Hochschulstudium. Sie bleiben damit weit hinter den gleichaltrigen Einheimischen zurück und können sich im Vergleich zum Bildungsniveau ihrer Eltern kaum verbessern (siehe Kapitel 3).
Nur in jedem zweiten Elternhaus wird Deutsch gesprochen Sowohl in Kanada als auch in Deutschland steigt der Anteil der Jugendlichen, bei denen zuhause die Sprache des Einwanderungslandes gesprochen wird, von der ersten zur zweiten Generation an. Dennoch spricht mehr als jeder zweite in Deutschland geborene Jugendliche, dessen Eltern zugewandert sind, zuhause deren Muttersprache. In Kanada trifft dies nur auf jeden Dritten zu.
100
Kanada Deutschland
90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 erste Generation
zweite Generation
ein Elternteil im Ausland geboren
Anteil der 15-jährigen Schüler, die zuhause die Sprache des Einwanderungslandes sprechen, 2009 (Datengrundlage: Klieme, E., Artelt, C., Hartig, J., Jude, N., Köller, O., Prenzel, M., Schneider, W. & Stanat, P.254)
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Die Wirkung der Parenting and Family Literacy Centres zeigt sich im Kindergarten, wenn die Schulreife der Kinder untersucht wird. In Toronto geschieht dies mit dem Early Development Instrument (EDI), das die sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten, den Gesundheitszustand, die soziale und emotionale Reife, den allgemeinen Wissensstand sowie die Kommunikationsfähigkeit der Kinder misst. Haben Kinder vor der Kindergartenzeit zumindest gelegentlich die Parenting and Family Literacy Centres besucht, erzielen sie im Mittel seltener einen niedrigen EDI-Wert als ihre Altersgenossen in der Nachbarschaft, die nicht in den Zentren waren. Stärker noch profitieren jene Kinder, die regelmäßig in die Zentren kommen. Sie bleiben auch in der Grundschule deutlich seltener in ihrer Lese- und Schreibfähigkeit zurück. Insgesamt schaffen es die Kinder durch den Besuch der Zentren sogar, an Altersgenossen aus besser gestellten Stadtteilen vorbeizuziehen – eine bemerkenswerte Leistung.253 Die Frage, ob die Zentren in den Wohngegenden eher die höher gebildeten Eltern anziehen und sich dadurch ein Teil des positiven Effektes erklären lässt, blieb in der Auswertung leider unberücksichtigt.
Auch in Deutschland könnten daher Fördermaßnahmen nach kanadischem Vorbild vielen Kindern und Jugendlichen eine Perspektive bieten und ihren Willen zum Bildungsaufstieg stärken. Von Programmen, die Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Schichten fördern, würden insbesondere Zuwandererkinder profitieren. Denn sie kommen im Vergleich zu einheimischen Kindern bislang deutlich häufiger aus Elternhäusern mit geringem Bildungs- und Einkommensniveau.255 Doch auch speziell auf Zuwandererkinder zugeschnittene Programme sind notwendig. Denn mangels ausreichender Sprachkenntnisse haben sie häufig eine zusätzliche Hürde in ihrer Schullaufbahn zu meistern. Aktuell wird bei rund der Hälfte der Zuwandererkinder im Elternhaus kein Deutsch gesprochen. Letzteres hat – anders als in Kanada – einen signifikanten Einfluss auf ihren schulischen Erfolg. Gerade bei Erhebungen zur Rechen- und Lesefähigkeit zeigen jene Zuwandererkinder, die zuhause kein Deutsch sprechen, deutlich schlechtere Leistungen.256
Sprachdefizite frühzeitig überwinden Damit mangelnde Sprachkenntnisse nicht dauerhaft den schulischen Erfolg von Kindern mit Migrationshintergrund hemmen, sind gezielte Sprachförderprogramme notwendig. Ähnlich wie mit dem Förderprogramm English as a Second Language in Toronto könnten so jene unter ihnen, die Defizite in der Unterrichtssprache aufweisen, gezielt in der Schule oder außerschulisch gefördert werden. Die Sprachförderung sollte jedoch nicht erst in der Schule oder kurz davor beginnen. Gerade das mehrgliedrige Schulsystem in Deutschland, das Kindern wenig Zeit zum Aufholen von Defiziten lässt, macht ein frühzeitiges Eingreifen notwendig. Mit den sogenannten Sprachstandserhebungsverfahren wird in Deutschland zwar die sprachliche Entwicklung von Vier- bis Sechsjährigen untersucht.257 Die sich daran anschließende Sprachförderung schafft es bislang jedoch nicht, den Rückstand von sprachförder-
Nicht alle Kinder nehmen an frühkindlicher Bildung teil
bedürftigen Kindern wettzumachen. Schon allein, weil es im Alter von drei bis vier Jahren eine wichtige natürliche Schwelle beim Spracherwerb gibt, müsste die Sprachförderung wesentlich früher ansetzen. Entscheidend sind also frühkindliche Betreuungs- und Bildungsangebote. Doch gerade Kinder mit Migrationshintergrund suchen diese deutlich seltener auf. Sie verpassen damit eine wichtige Chance zum Spracherwerb in einem hierfür besonders geeigneten Alter.258 Dass gerade jene Kinder, die am stärksten von frühkindlicher Bildung profitieren würden, nicht erreicht werden, hat unterschiedliche Gründe. Generell schicken sozial schwächere Familien ihre Kinder seltener in Betreuungseinrichtungen. Zuwanderer gehören häufiger als Einheimische zu dieser Gruppe.259 Zudem scheinen Zuwanderer eher Vorbehalte gegenüber Kindertagestätten zu haben, besonders dann, wenn diese kirchliche Träger haben.260 Sprachbarrieren können es zudem schwer machen, ein Vertrauensverhältnis zu den Betreuern aufzubauen. Gerade bei so jungen Kindern ist dies jedoch besonders wichtig, damit Eltern ihre Kinder in die Obhut der Betreuer geben.261
Bei der außerfamiliären Betreuung der Drei- bis Fünfjährigen ohne Migrationshintergrund ist in den meisten Bundesländern nahezu eine Vollversorgung erreicht – rund 95 Prozent von ihnen besuchen einen Kindergarten. Kinder mit Migrationshintergrund werden dagegen seltener außerhalb der Familie betreut. Besonders eklatant ist der Unterschied bei den unter Dreijährigen.
mit Migrationshintergrund
ohne Migrationshintergrund
3 bis 5 Jahre unter 3 Jahre 100 90
80
70
60
50
40
30
20
10
10
20
30
40
50
60
70
80
90 100
Betreuungsquoten von Kindern unter drei sowie zwischen drei und fünf Jahren mit und ohne Migrationshintergrund in Kindertageseinrichtungen sowie in öffentlich geförderter Kindertagespflege in Prozent, 2010 (Datengrundlage: Statistisches Bundesamt262)
64 Nach Punkten vorn
Prozent
Die Eltern in die Schulen holen Eltern haben einen wichtigen Einfluss auf den Lernerfolg ihrer Kinder und sollten von den Schulen eingebunden werden. Verfügen sie jedoch nur über geringe Deutschkenntnisse, gestaltet sich dies oft schwierig. Damit Sprachdefizite der Eltern nicht zu Hürden für den Erfolg ihrer Kinder werden, sollten Schulen Eltern mit geringen Deutschkenntnissen in ihrer Muttersprache ansprechen. Erreicht werden könnte dies zum Beispiel, indem Benachrichtigungen und Briefe an die Eltern übersetzt und Dolmetscher bei Elterngesprächen herangezogen werden. Vielen zugewanderten Eltern dürfte der Gang in die Schulen so leichter fallen.
Mit dem zunehmenden Trend hin zur Ganztagsschule sollten Schulen ohnehin stärker in den Mittelpunkt der Integrationsarbeit rücken. Wenn sie Integrationskurse oder zusätzliche Sprachkurse anböten, würden sie für viele Eltern automatisch zu einem wichtigen Anlaufpunkt. Ähnlich wie beim Settlement Workers in Schools Program könnten auch an deutschen Schulen Integrationsmanager zugewanderte Eltern direkt ansprechen. Die Manager sollten nicht nur Beratungsdienste für Schüler und Eltern anbieten, sondern auch Lehrer und Schulleitung verstärkt auf die besonderen Belange von Schülern mit Migrationshintergrund aufmerksam machen.
Den unterschiedlichen Förderbedarf von Schulen ermitteln Je stärker Schulen den individuellen Förderbedarf der Kinder und Jugendlichen berücksichtigen, desto mehr finanzielle und personelle Mittel benötigen sie. Dies gilt besonders für jene Schulen, auf die viele Kinder aus sozial benachteiligten Schichten gehen. Daher gilt es, mit geeigneten Instrumenten die soziale Struktur der Schülerschaft zu ermitteln. Nur so lassen sich die wirklich bedürftigen Schulen ermitteln. Vorbild könnte hier der Learning Opportunities Index des Toronto District School Board sein. Schulen in sozial schwächeren Gegenden können durch die höhere finanzielle Zuwendung attraktiver werden. Die Abwärtsspirale aus einem hohen Anteil an leistungsschwachen Schülern und schlechter Unterrichtsqualität würde so durchbrochen. Letzteres käme gerade vielen Zuwandererkindern zu Gute.263
Einige Bundesländer steuern ihre finanziellen Zuwendungen an Schulbezirke bereits mit einem Sozialindex. Dazu gehört neben Hamburg und Bremen auch das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen.264 Hier wurden im Schuljahr 2009/2010 insgesamt 1.000 Stellen für Grundschulen und 620 Stellen für Hauptschulen nach dem Sozialindex verteilt. Dieser berücksichtigt neben der Arbeits-, Sozialhilfe-, und Migrantenquote (Ausländer und Aussiedler) auch den Anteil von Wohnungen in Einfamilienhäusern. Da der Sozialindex in NordrheinWestfalen bislang lediglich auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte berechnet wird, sind Aussagen über den Förderbedarf einzelner Schulen allerdings kaum möglich. Wie die Stellen innerhalb der Kreise an die jeweiligen Schulen verteilt werden, liegt im Ermessen der Schulbehörde.265 Mit einem standardisierten und transparenten Verfahren auf Schulebene könnte die Verteilung der Stellen besser auf die jeweiligen Bedürfnisse der Schulen abgestimmt werden.
KAPITEL 5.3
Angebote wie Parenting and Family Literacy Centres können zwar Kindertagesstätten nicht ersetzen, aber eine gute Ergänzung zu ihnen sein. Wenn sie wie in Toronto vorrangig in Stadtteilen mit hohem Zuwandereranteil liegen, sprechen sie gerade jene Eltern an, die ihre Kinder selten in Kindertagesstätten schicken. Dass die Eltern diese Zentren gemeinsam mit ihren Kindern nutzen, wirkt sich in doppelter Weise positiv aus: Zum einen können die Vorbehalte, wie sie etwa gegenüber Kindertagesstätten bestehen, sinken, weil die Eltern direkt erfahren, was ihre Kinder mitbekommen. Zum anderen werden die Eltern stärker in die Sprachförderung einbezogen. Indem sie in den Zentren lernen, wie sie ihre Kinder am besten beim Spracherwerb unterstützen, können sie ihnen auch zuhause wichtige sprachliche Anregungen geben. In Nordrhein-Westfalen besteht mit den sogenannten NRW Familienzentren bereits ein vielversprechendes Angebot.
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WAS TUN?
Der demografische Wandel verknappt das Angebot an Arbeitskräften in Deutschland. Die verstärkte Einbindung von Frauen und älteren Arbeitsnehmern wird die negativen ökonomischen Folgen dieser Entwicklung abfedern, aber nicht ausgleichen können. Dringend benötigte Fachkräfte müssen in Zukunft verstärkt aus dem Ausland kommen. Doch Deutschland hat bis dato wenig Erfahrung in der Anwerbung qualifizierter Zuwanderer. Erkenntnisse aus Ländern, die ihr Angebot an Arbeitskräften schon länger gezielt über Zuwanderung aufbessern, können daher ein wichtiger Ideen- und Impulsgeber für Deutschland sein. Kanada ist der prominenteste Vertreter der humankapitalorientierten Zuwanderung – also der Idee, Zuwanderer nach ihren Fähigkeiten und Kompetenzen auszuwählen, unabhängig davon, ob sie bereits ein Jobangebot vorliegen haben. Langfristig erhofft sich Kanada hiervon Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze. Trotz aller Erfahrungen bleibt Kanada aber auch ein Labor, in dem permanent neue Ideen und Regelungen getestet und verbessert werden. Mit der vorliegenden Studie hat das Berlin-Institut versucht, einige wichtige Lehren aus diesem Prozess für Deutschlands Zuwanderungs- und Integrationspolitik herauszuarbeiten.
66 Nach Punkten vorn
Deutschland als Einwanderungsland gestalten und vermarkten
A
Arbeitskräfte aus dem Ausland können uns künftig dabei helfen, unseren Wohlstand auszubauen und unsere sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren. Dafür braucht Deutschland fähige Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft hierher verlegen. Diese Tatsache muss der Bevölkerung noch stärker verdeutlicht werden als bislang. Gleichzeitig muss sich Deutschland auch nach außen als attraktives Wanderungsziel präsentieren.
2 Drittstaaten hoffähig machen EU-Staaten kommen als Quellländer von Zuwanderung nur begrenzt in Frage. Eine Dauerlösung können sie nicht bieten, da die meisten von ihnen in absehbarer Zeit vor ähnlichen demografischen Problemen stehen werden wie Deutschland: Auch ihre Bevölkerungen altern und werden in Zukunft schrumpfen. Viele innereuropäische Migranten kehren zudem nach kurzer Zeit wieder in ihre Heimatländer zurück. Aus diesem Grund sollte eine langfristige Anwerbestrategie explizit auch auf Drittstaatler ausgelegt sein.
3 Deutschland aktiv bewerben 1 Sich zu Einwanderung bekennen Politiker aller Parteien sollten sich künftig stärker zu einer langfristigen und offensiven Zuwanderungspolitik bekennen und verdeutlichen, dass Länder wie Kanada oder Australien seit Jahrzehnten von ihr profitieren und sie auch in Deutschland zusätzliche Arbeitsplätze schaffen kann. Nur so kann es gelingen, einen breiten gesellschaftlichen Konsens für eine verstärkte Einwanderung von Arbeitskräften zu finden und die gewünschte Willkommenskultur zu schaffen.
Im Wettbewerb um die begrenzte Zahl von wanderungswilligen Fachkräften genießen traditionelle Einwanderungsländer wie Kanada, die USA oder Australien durch ihre lange Zuwanderungsgeschichte und die englische Landessprache Vorteile. Umso wichtiger ist es für Deutschland, sich in Zukunft auch nach außen als attraktives Wanderungsziel zu präsentieren. Dies kann über Jobbörsen im Ausland, integrierte Internet-Portale oder auch Informationsveranstaltungen von deutschen Institutionen im Ausland geschehen, etwa über Handelskammern, deutsche Schulen oder Goethe-Institute.
4 Rahmenbedingungen attraktiv gestalten
5 Ein intelligentes Punktesystem einführen
7 Arbeitsmarktgesteuerte Zuwanderung offener gestalten
Zur Vermarktung des Standorts Deutschland gehört auch, attraktive Rahmenbedingungen für Zuwanderer zu schaffen. Letzteren sollte es grundsätzlich möglich sein, enge Familienmitglieder mit nach Deutschland zu bringen. Ferner sollten temporäre Aufenthalte die Perspektive auf ein dauerhaftes Bleiberecht beinhalten. Damit sich die Zuwanderer langfristig in Deutschland niederlassen, müssen sie zudem auch jenseits des Arbeitsplatzes Teil der Gesellschaft werden. Der schnelle Erwerb der Staatsbürgerschaft ist hierfür eine wichtige Voraussetzung. Die Mindestaufenthaltsdauer von sechs Jahren sollte daher auf etwa vier Jahre verkürzt werden.
Deutschland sollte ein Punktesystem einführen, das in der Lage ist, effektiv hochqualifizierte Arbeitskräfte zu rekrutieren. Ein solches System würde zudem ein Signal der Offenheit nach außen senden und damit die Vermarktung des Landes vorantreiben. Als Auswahlkriterien bieten sich der Bildungsstand, die Sprachkenntnisse, das Alter sowie Arbeitserfahrung in Deutschland an. Extrapunkte für bestimmte Berufsgruppen sollten in einem humankapitalorientierten System möglichst außen vor bleiben. Geringe Deutschkenntnisse sollten durch gute Englischkenntnisse ausgeglichen werden können. Denn Englisch wird gerade im Hochqualifizierten-Bereich oft als Ausweichsprache genutzt. Die über das Punktesystem ausgewählten Zuwanderer sowie deren Ehepartner und Kinder sollten eine permanente Aufenthaltsgenehmigung (Niederlassungserlaubnis) erhalten.
Um kurzfristige Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu schließen und benötigte Fachkräfte mittlerer Qualifikation ins Land zu bringen, sollte Deutschland die arbeitsmarktgesteuerte Zuwanderung offener gestalten. Während bislang nur Fachkräfte bestimmter Berufsgruppen ins Land kommen können, sollte in Zukunft jedem Ausländer mit Jobangebot und bestandenem Arbeitsmarkttest die Einreise samt Arbeitserlaubnis für einen zunächst begrenzten Zeitraum gewährt werden. Nachdem der Zuwanderer eine bestimmte Zeit in Deutschland gelebt und gearbeitet hat, sollte er die Möglichkeit haben, ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten. Um Lohndumping zu verhindern, sollte in dem Arbeitsmarkttest geprüft werden, ob der Zuwanderer zu den gleichen Bedingungen wie ein Einheimischer angestellt wird. Eine Vorrangprüfung, die sicherstellt, dass keine mindestens gleich qualifizierte Fachkraft in Deutschland und der EU zur Verfügung steht, sollte so simpel wie möglich gestaltet werden.
Der wichtigste Teil einer gesteuerten Zuwanderungspolitik sind die Regelungen zur Einreise nach Deutschland. Sie beeinflussen direkt, welche und wie viele Zuwanderer ins Land kommen. Die kanadische Erfahrung lehrt uns, dass ein einzelnes Instrument hierfür nicht ausreicht. Vielmehr bieten sich für Zuwanderer verschiedener Berufs- und Qualifikationsgruppen unterschiedliche Anreizsysteme zur Einreise.
6 Flexibilität wahren Ein Punktesystem kann die Zuwanderung nur dann sinnvoll steuern, wenn es flexibel ist. Notwendige Anpassungen der Punktevergabe sollten über jährliche Rechtsverordnungen der Bundesregierung geregelt werden. Damit die Feinjustierung des Systems nicht parteipolitischen Interessen zum Opfer fällt, sollte ein Expertenrat mit Vertretern von Wirtschaftsforschungsinstituten, Arbeitgebern und Arbeitnehmern eingerichtet werden, der alljährlich Anpassungsmaßnahmen erarbeitet. Zudem bietet sich an, die jährliche Zuwanderung über eine Quote zunächst niedrig zu halten und dann langsam zu steigern. Zum einen kann so die notwendige nachgelagerte Infrastruktur an Integrationsleistungen schrittweise angepasst werden. Zum anderen würde dies Deutschland erlauben, bei überschaubarem Risiko Erfahrungen zu sammeln.
8 Zentrale Job-Datenbank installieren Um den Kontakt zwischen Arbeitgebern und Arbeitskräften im Ausland herzustellen, bietet sich eine zentrale Job-Datenbank an. In ihr könnten Unternehmen ihre Job-Ausschreibungen platzieren, um Arbeitskräfte aus dem Ausland auf sich aufmerksam zu machen. Potenzielle Zuwanderer könnten die Datenbank dazu nutzen, sich mit ihrem Lebenslauf und ihren Qualifikationen zu präsentieren. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen im ländlichen Raum, die selten über ein internationales Netzwerk zur Arbeitskräftegewinnung verfügen, erhielten so die Möglichkeit, ihren Fachkräftebedarf zu decken.
Berlin-Institut 67
KAPITEL 6
Steuerungsinstrumente für Zuwanderung schaffen
B
9 Um internationale Studenten werben
11 Integration im Heimatland beginnen lassen
Deutschland sollte sich noch stärker darum bemühen, junge Leute aus aller Welt zum Studium anzuwerben und sie nach Abschluss ihrer Ausbildung im Land zu halten. Denn internationale Absolventen deutscher Hochschulen zeigen die besten Integrationsergebnisse. Bildungseinrichtungen sind dabei gefordert, noch mehr Studiengänge auf Englisch anzubieten, was auch den einheimischen Studenten zu Gute kommt.
Integrationsangebote sollten bereits im Heimatland der Zuwanderer ansetzen. Informations- und Orientierungskurse wie das Canadian Immigrant Integration Program (siehe Seite 49) können dazu beitragen, dass Zuwanderer gut vorbereitet und mit realistischen Erwartungen nach Deutschland kommen. Auch Sprachkurse sollten vermehrt schon im Ausland angeboten werden. Hierzu könnten deutsche Institutionen vor Ort, etwa Goethe-Institute, ihr Angebot ausbauen.
C
Gute Startbedingungen schaffen
Ohne Starthilfen ist selbst für hochqualifizierte Zuwanderer der Neuanfang häufig sehr mühsam. Um Zuwanderer dabei zu unterstützen, möglichst schnell eine ihren Qualifikationen entsprechende Beschäftigung zu finden, müssen staatliche und nicht-staatliche Akteure verschiedene Leistungen anbieten und diese effektiv vermarkten.
68 Nach Punkten vorn
Soziale Kontakte und persönliche Beziehungen begünstigen einen gelungenen Start in den Arbeitsmarkt. Damit Zuwanderer schnell Anschluss finden, bieten sich Mentorenprogramme an, in denen sich Neuankömmlinge mit Einheimischen austauschen können. Vor allem Kontakte mit Personen aus dem angestrebten Berufsfeld wie etwa die Mentoring Partnership von TRIEC (siehe Seite 51) fördern die Integration der Zuwanderer erheblich.
15 Arbeitgeber einbeziehen 12 Anerkennung ausländischer Abschlüsse verbessern Trotz Anerkennungsgesetz bleibt auf dem Feld der Anerkennung ausländischer Abschlüsse viel zu tun. Denn von den Ländern reglementierte Berufe sowie nicht reglementierte Berufe fallen nicht unter das Gesetz, bedürfen aber ebenfalls einer Regelung, die Zuwanderern den Einstieg ins Arbeitsleben erleichtert. Auch die Anerkennung von Abschlüssen sollte zu großen Teilen schon vor der Einreise nach Deutschland erfolgen.
10 Zwischen Neuankömmlingen und zweiter Generation differenzieren Die Starthilfe für neu zuwandernde Arbeitskräfte stellt andere Herausforderungen an die Politik als die „nachzuholende“ Integration von teilweise bereits seit Jahren in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. Der Sammelbegriff Integration überdeckt den Unterschied zwischen Neuankömmlingen und „Alteingewanderten“ in der öffentlichen Wahrnehmung. Um den Bedürfnissen beider Gruppen gerecht zu werden, sollte zwischen den verschiedenen Aufgabenfeldern stärker differenziert werden.
14 Mentorenprogramme aufbauen
13 Programme zur Anpassungsqualifizierung ausbauen Anpassungsqualifizierungen für Ausländer, die keine vorbehaltlose Erlaubnis für die Ausübung ihres Berufs bekommen, müssen parallel zur Zuwanderung ausgeweitet werden. Programme, die sich an den kanadischen Bridging Programs (siehe Seite 50) orientieren, verbinden idealerweise theoretischen Unterricht mit praktischen Inhalten, etwa in Form von Berufspraktika. Des Weiteren bestünde gerade unter einem Punktesystem ein Bedarf an berufsspezifischen Sprachkursen, die sich vorwiegend an Fortgeschrittene wenden. Integrationskurse sollten dahingehend ergänzt werden.
Arbeitgeber haben vermutlich das größte Interesse an der Zuwanderung von Fachkräften. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen leiden schon heute unter einem Mangel an qualifiziertem Personal. Daher sollten sie viel stärker als bislang in den Integrationsprozess einbezogen werden, etwa über Immigrant Employment Councils (siehe Seite 52) nach kanadischem Vorbild. Außerdem müsste in den Unternehmen das Bewusstsein gestärkt werden, dass sie zu einem gewissen Teil selbst die Rahmenbedingungen für die Beschäftigung von Zuwanderern schaffen müssen – indem sie etwa in der ersten Zeit den Zuwanderern Freiräume für Weiterbildungsmaßnahmen und Sprachkurse einräumen. Darüber hinaus sollten einzelne Angestellte als „Integrationsbeauftragte“ Neuankömmlingen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
16 Koordination der Akteure verbessern Um die verschiedenen Startprogramme sinnvoll aufeinander abzustimmen, müssen sich die Anbieter von Leistungen stärker miteinander vernetzen. Damit können einerseits Dopplungen ähnlicher Programme vermieden, und andererseits der oftmals kritisierte
Bildungssystem durchlässiger gestalten – Zuwandererkinder bedarfsgerecht fördern
D
Eine humankapitalorientierte Zuwanderungspolitik schlägt sich auch im Bildungsstand der Zuwandererkinder positiv nieder. Doch auch in Zukunft werden nicht nur hochqualifizierte Fachkräfte zuwandern, sondern auch durchschnittlich und gering qualifizierte Berufsgruppen. Deren Kinder haben es in Deutschland doppelt schwer: Sie treffen auf ein wenig durchlässiges Bildungssystem, das früh aussortiert, wodurch ihnen nur wenig Zeit bleibt, die häufig schlechteren Sprachkenntnisse aufzuholen. Die deutsche Politik muss es ihnen also einerseits ermöglichen, den Rückstand durch bedarfsgerechte Programme so schnell wie möglich aufzuholen, andererseits aber auch dafür sorgen, dass Kinder von Zuwanderern und Einheimischen gleichermaßen eine Perspektive für den Bildungsaufstieg bekommen.
17 Schulen zu Integrationszentren ausbauen Mit dem Ausbau der Ganztagsschulen werden Kinder in Zukunft noch mehr Zeit in der Schule verbringen. Umso wichtiger ist es, dass Schulleitung und Lehrpersonal die Schüler individuell fördern und ihnen die Möglichkeit geben, das Beste aus ihren Fähigkeiten zu machen – etwa über Individual Education Plans (siehe Seite 60), bei deren Gestaltung die Eltern der Kinder mit einbezogen werden.
Damit auch zugewanderte Eltern die Fortschritte ihrer Kinder aktiv verfolgen können, sollten sie bei Bedarf in ihrer Muttersprache angesprochen werden können. Um Berührungsängste abzubauen, bietet es sich zudem an, nach Vorbild des kanadischen Settlement Workers in Schools Program (siehe Seite 61), Integrationsmanager in Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund zu installieren. Auch Integrationskurse und weiterführende Sprachkurse könnten in Zukunft in Schulen angeboten werden. Die Schulen würden so auch für die Eltern zu einem wichtigen Anlaufpunkt und sie würden eher mit den Lehrern ihrer Kinder in Kontakt kommen.
18 Schulen mit hohem Förderbedarf ermitteln Um knappe öffentliche Gelder zielgerichtet dort einsetzen zu können, wo sie am meisten benötigt werden, sollten Schulen mit besonderem Förderbedarf ermittelt werden. Ein an den kanadischen Learning Opportunities Index (siehe Seite 60) angelehntes Verfahren könnte dabei helfen, diese Schulen zu identifizieren. In den Index sollten verschiedene sozio-ökonomische Faktoren der Gemeinde oder des Stadtbezirks der Schülerschaft einfließen – etwa das Durchschnittseinkommen, der Anteil an Geringverdienern und Abhängigen sozialer Leistungen sowie der Anteil alleinerziehender Eltern.
19 Sprachunterricht schon vor der Schullaufbahn anbieten Für viele Zuwandererkinder stellt die deutsche Sprache die höchste Hürde auf dem Weg zum schulischen Erfolg dar. Für sie muss der Staat schon vor Beginn der Schullaufbahn spezielle Förderkurse anbieten, damit die Kinder ihren Rückstand bis zum Ende der Grundschule aufholen können, wenn sie mit der Wahl der weiterführenden Schule eine wichtige Weiche für die Zukunft stellen.
20 Frühkindliche Bildungsangebote für Eltern und Kinder schaffen Frühkindliche Betreuungsangebote wie Kindertagesstätten fördern effektiv den Spracherwerb. Doch gerade sozial schwächere und Zuwandererfamilien nutzen diese Angebote seltener als andere. Um sie trotzdem zu erreichen, sollten in benachteiligten Stadtteilen ergänzende Zentren geschaffen werden, die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern besuchen können. Nach Vorbild der kanadischen Parenting and Family Literacy Centres (siehe Seite 62) könnten Kinder hier spielerisch ihre Sprachfähigkeiten erweitern, während die Eltern lernen, wie sie ihre Kinder am besten fördern können.
E
Datenlage verbessern
In Kanada hat sich gezeigt, dass es wichtig und hilfreich ist, ein möglichst differenziertes Bild der Integrationslandschaft zu haben. Denn erst wer weiß, wie gut oder schlecht eine bestimmte Zuwanderergruppe oder eine bestimmte soziale Schicht in diesem oder jenem Stadtteil abschneidet, ist in der Lage, konkrete Unterstützungsmaßnahmen anzubieten. Auch Erfolge der Integrationspolitik lassen sich nur durch eine genaue Beobachtung der Situation von Migranten analysieren und ausbauen. Deutschland sollte über Befragungen wie den Mikrozensus anonymisiert möglichst viele sozio-ökonomische Merkmale von Migranten erfassen – aber auch die Teilnahme an Integrationsangeboten. Zudem wäre es wünschenswert, zu erfahren, aus welchen Gründen (beispielsweise Erwerbstätigkeit, Asyl oder Familiennachzug) die Zuwanderer nach Deutschland gekommen sind. Im Bildungswesen könnte derweil ein Student and Parent Census (siehe Seite 60) nach kanadischem Vorbild Schwierigkeiten einzelner Schülergruppen aufdecken und dabei helfen, diese zu beheben.
Berlin-Institut 69
KAPITEL 6
Wildwuchs an Angeboten eingedämmt werden. Darüber hinaus gilt es auch bei aufeinander folgenden Programmen, die Zuwanderer an die Hand zu nehmen und sie von einem Angebot an das nächste weiterzuleiten.
QUELLEN 1
OECD (2011). International Migration Outlook: SOPEMI 2011. OECD Publishing.
12
Statistics Canada (2012). Cansim Table No. 052-0005. Ottawa.
2 Citizenship and Immigration Canada (2012). Applying for citizenship. http://www.cic.gc.ca/ english/citizenship/index.asp, abgefragt am 14.04.2012.; Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22.07.1913 (RGBl. S. 583); zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. November 2011 (BGBl. I S. 2258).
13
Vgl. Endnote 9.
14
Vgl. Endnote 9.
15
Eurostat (2011). Online-Datenbank. Luxemburg.
16
Vgl. Endnote 15.
17 Brücker, H. (2010). Zuwanderungsbedarf und politische Optionen für die Reform des Zuwande3 Dietz, M., Kettner, A., Kubis, A., Leber, U., Müller, A. rungsrechts. Institut für Arbeitsmarkt- und Be& Stegmaier, J. (2012). Unvollkommene Ausgleichsrufsforschung. Nürnberg. http://www.iab.de/389/ prozesse am Arbeitsmarkt. Institut für Arbeitsmarkt- section.aspx/Publikation/k110822n01, abgefragt und Berufsforschung. http://doku.iab.de/forschungs- am 14.09.2012. bericht/2012/fb0812.pdf, abgefragt am 12.08.2012 18 Statistisches Bundesamt (2009). 4 Bundesagentur für Arbeit (2011). Perspektive 2025. Bevölkerung Deutschlands bis 2060. Fachkräfte für Deutschland. Nürnberg. http:// 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. www.arbeitsagentur.de/zentraler-Content/VeroefWiesbaden fentlichungen/Sonstiges/Perspektive-2025.pdf 19 Eigene Berechnungen auf Grundlage von Statis5 tisches Bundesamt (2009). Bevölkerung DeutschPrognos AG (2008). Arbeitslandschaft 2030. Steuert Deutschland auf einen generellen Personal- lands bis 2060. 12. koordinierte Bevölkerungsmangel zu? http://www.prognos.com/fileadmin/pdf/ vorausberechnung. Wiesbaden. publikationsdatenbank/Arbeitslandschaft_2030_ 20 Statistisches Bundesamt (2009). Die BevölLangfassung_2008-10-08.pdf, abgefragt am kerung Deutschlands bis 2060. 12. koordinierte 23.08.2012. Bevölkerungsvorausberechnung. Untergrenze der 6 mittleren Variante. Wiesbaden.; Statistics Canada, Kay, R. & Richter M. (2010). Fachkräftemangel im Mittelstand. Was getan werden muss. Wiso Diskurs. Cansim Table No. 051-0001 & Cansim Table Bonn. http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07079.pdf, No. 052-0005, Ottawa. abgefragt am 02.09.2012. 21 Seebaß, K. & Siegert, M. (2011). Migranten am 7 Arbeitsmarkt in Deutschland. Bundesamt für MigEnglisch, P. (2011). Agenda Mittelstand. ration und Flüchtlinge. Working Paper 36. IntegraMittelstandsbarometer 2011. Ernst & Young. tionsreport. Nürnberg. http://www.bamf.de/ 8 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch vom 18.12.1989 SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/ (BGBl. I S. 2261, ber. 1990 I S. 1337); zuletzt geänWorkingPapers/wp36-migranten-am-arbeitsdert durch Art. 14 des Gesetzes vom 23.10.2012 markt-in-deutschland.pdf;jsessionid=577FD1 (BGBl. I S. 2246, 2263). EF30E814D31A4298F05CF7D241.1_cid251?__ 9 Statistisches Bundesamt (2012). GENESIS-Online- blob=publicationFile, abgefragt am 14.09.2012. Datenbank. Wiesbaden. 22 Longhi, S., Nijkamp, P. & Poot, J. (2008). 10 Statistisches Bundesamt (2012). Leichter RückMeta-Analysis of Empirical Evidence on the Labour gang der Geburtenziffer 2011 auf 1,36 Kinder je Frau. Market Impacts of Immigration. Région et DévelopPressemitteilung Nr. 329. Wiesbaden.; Statistics pement, 27, 161 – 191.; Vgl. Fußnote 17. Canada (2012). Online-Datenbank. Ottawa. 23 Sachverständigenrat deutscher Stiftungen 11 Statistisches Bundesamt (2009). für Integration und Migration (2012). Die zwei Die Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 12. Seiten staatlicher Fachkräftepolitik: Verringekoordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Unter- rung dauerhafter Abwanderung und Förderung grenze der mittleren Variante. Wiesbaden. qualifizierter Zuwanderung. Berlin.
70 Nach Punkten vorn
24
Brücker, H. & Jahn, E.J. (2010). Einheimische Arbeitskräfte gewinnen durch Zuwanderung. IAB-Kurzbericht 9/2009. Nürnberg. http://doku.iab.de/kurzber/2010/kb2610.pdf, abgefragt am 17.04.2012. 25 Bonin, H. (2006). Der Finanzierungsbeitrag der Ausländer zu den deutschen Staatsfinanzen. Eine Bilanz für 2004. Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit. Bonn. 26
Vgl. Endnote 17.
27
Vgl. Endnote 23.
28
Report of the Royal Commission on Bilingualism and Biculturalism, Book IV. In E. Cameron (Hrsg.) (2004). Multiculturalism & Immigration in Canada, S. 3 – 15. Toronto: Canadian Scholars’ Press Inc.
29
Statistics Canada (o.J.). Estimated population of Canada, 1605 to present. Ottawa.; Vereinte Nationen (2010). World Population Prospects: The 2010 Revision. New York.
30 Simmons, A.B. (2010). Immigration and Canada: Global and Transnational Perspectives. Toronto: Canadian Scholars’ Press Inc. 31
Vgl. Endnote 30.
32
Vgl. Endnote 30.
33
Vgl. Endnote 30.
34
Vgl. Endnote 30.
35
Citizenship and Immigration Canada (2012). Skilled workers and professionals: Who can apply – Proof of funds. http://www.cic.gc.ca/english/ immigrate/skilled/funds.asp, abgefragt am 11.04.2012.
36
Statistics Canada (2008). Census snapshot – Immigration in Canada: A portrait of the foreignborn population, 2006 Census, Canadian Social Trends, 85, 45 – 53.
37 Statistics Canada (2011). Canada Year Book 2011. Louiseville: Transcontinental Gagné. 38
Statistics Canada (o.J.). Cansim table 0510006. Ottawa.
40
Kallen, E. (1982). Multiculturalism: Ideology, Policy and Reality. In E. Cameron (Hrsg.) (2004). Multiculturalism & Immigration in Canada, S. 75 – 96. Toronto: Canadian Scholars’ Press Inc.
55
Citizenship and Immigration Canada (1996). Citizenship and Immigration Statistics. http:// epe.lac-bac.gc.ca/100/202/301/immigration_ statistics-ef/mp22-1_1996.pdf, abgefragt am 12.04.2012.; Vgl. Endnote 43.
56
Vgl. Endnote 43.
70 57
Cameron, E. (Hrsg.) (2004). Multiculturalism & Immigration in Canada. Toronto: Canadian Scholars’ Press Inc.
Citizenship and Immigration Canada (2012). Quarterly Administrative Data Release. http:// www.cic.gc.ca/english/resources/statistics/ data-release/2011-Q4/index.asp, abgefragt am 13.04.2012.
42
58
41
Vgl. Endnote 30.
43
OECD (2012). Online-Datenbank. Paris.
Citizenship and Immigration Canada (2011). Facts and Figures 2010. Immigration Overview. Ottawa.
Citizenship and Immigration Canada (2012). Applying for citizenship. http://www.cic.gc.ca/english/ citizenship/index.asp, abgefragt am 14.04.2012.
44
60
Vgl. Endnote 43.
45 Vgl. Endnote 43; Statistics Canada (2012). Summary tables – Permanent and Temporary Residents 2011. Ottawa. 46 Vgl. Endnote 43.; Citizenship and Immigration Canada (2011). Preliminary tables: Permanent and temporary residents, 2011. http://www.cic.gc.ca/ english/resources/statistics/facts2011preliminary/index.asp, abgefragt am 28.03.2012. 47
Government of Canada (2012). Open Data. http:// www.data.gc.ca, abgefragt am 11.04.2012.
59
Vgl. Endnote 46.
49
Vgl. Endnote 43.
Vgl. Endnote 60.
64
Bundesministerium des Innern & Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2011). Migrationsbericht 2010. http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Kurzmeldungen/migrationsbericht.pdf?__ blob=publicationFile, abgefragt am 16.02.2012.
72 Kolb, H. (2004). Einwanderung zwischen wohlverstandenem Eigeninteresse und symbolischer Politik. Das Beispiel der deutschen „Green Card“. Studien zu Migration und Minderheiten, 12. Münster: LIT Verlag.
Statistisches Bundesamt (2012). Online-Datenbank. Wiesbaden.
78
Statistisches Bundesamt (2012). Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Vorläufige Wanderungsergebnisse 2011. Wiesbaden.
79
50
Citizenship and Immigration Canada (2012). Facts and Figures 2011. Immigration Overview. Ottawa.; Citizenship and Immigration Canada (1996). Citizenship and Immigration Statistics. http://epe.lac-bac.gc.ca/100/202/301/ immigration_statistics-ef/mp22-1_1996.pdf, abgefragt am 12.04.2012. 51
Vindberg, R. (12. März 2008). Should I Stay or Should I Go? Vortrag auf der Metropolis Konferenz in Ottawa, Kanada.
Vgl. Endnote 60.
71
73 Focus Migration (2007). Deutschland. LänderMarkus, F. (2011). Zuwanderung von Hochprofil Nr. 1. http://focus-migration.hwwi.de/uploads/ qualifizierten nach Deutschland und in die USA. tx_wilpubdb/LP01_Deutschland_v2.pdf, abgefragt Europäische Hochschulschriften, 598. am 14.02.2012. 74 Vgl. Endnote 72. 61 Knortz, H. (2008). Diplomatische Tauschgeschäfte. 75 Vgl. Endnote 73. „Gastarbeiter“ in der westdeutschen Diplomatie 76 Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanund Beschäftigungspolitik 1953-1973. Köln: Böhlau derung und zur Regelung des Aufenthalts und der Verlag GmbH. Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 62 Davy, U. (Hrsg.) (2001). Die Integration von Ein30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950). wanderern. Rechtliche Regelungen im europäischen 77 Vgl. Endnote 76. Vergleich. Wien: Europäisches Zentrum. 63
48
69 Sippel, L. & Klingholz, R. (2009). Asylbewerber in der BRD. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Online-Handbuch. http://www.berlininstitut.org/online-handbuchdemografie/ bevoelkerungspolitik/deutschland/asylbewerber-inder-brd.html, abgefragt am 13.04.2012.
Vgl. Endnote 76.
65
Köppe, O. (2002). MigrantInnen zwischen sozialem Rechtsstaat und nationalem Wettbewerbsstaat. Zur Bedeutung von Justiz und Politik bei der Vergabe von „bürgerlichen“ und sozialen Rechten an MigrantInnen unter sich verändernden sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen. http://duepublico. uni-duisburg-essen.de/servlets/DerivateServlet/ Derivate-5422/koeppediss.pdf, abgefragt am 15.02.2012.
80
Migration-Info.de (2001). Deutschland: Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf zu Zuwanderung und Integration. Newsletter 8. http://www.migrationinfo.de/mub_artikel.php?Id=010801, abgefragt am 12.04.2012. 81
Vgl. Endnote 76.
82
Vgl. Endnote 71.
Citizenship and Immigration Canada (2012). Information for foreign workers in Canada on the Temporary Foreign Worker Program regulatory changes. http://www.cic.gc.ca/english/work/ tfw.asp, abgefragt am 10.04.2012.
83 Vgl. Endnote 71. Bade K.J. (14./15. Mai 1992). Ausländer- und Asyl84 Vgl. Endnote 76. politik in der Bundesrepublik Deutschland: Grund85 probleme und Entwicklungslinien. Beitrag zur KonVgl. Endnote 71. ferenz „Einwanderungsland Deutschland: Bisherige 86 Ette, A. & Sauer, L. (2010). Auswanderung aus Ausländer- und Asylpolitik – Vergleich mit Konzepten Deutschland. Daten und Analysen zur internationaanderer europäischer Länder“ in Potsdam. len Migration deutscher Staatsbürger. Wiesbaden: 67 Vgl. Endnote 9. Verlag für Sozialwissenschaften.
54
68
52
Vgl. Endnote 43.
53
Vgl. Endnote 43.
66
Vgl. Endnote 66.
87
Vgl. Endnote 78.
Berlin-Institut 71
QUELLEN
39 Palmer, H. (1975). Social Adjustment of Immigrants to Canada 1940 – 1975. In E. Cameron (Hrsg.) (2004). Multiculturalism & Immigration in Canada, S. 65 – 74. Toronto: Canadian Scholars’ Press Inc.
88
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (o.J.). Das Bundesamt in Zahlen 2010. Asyl, Migration, ausländische Bevölkerung und Integration. Nürnberg.
111
Vgl. Endnote 110.
112
Vgl. Endnote 98.
113
Vgl. Endnote 98.
89
114
Vgl. Endnote 110.
115
Vgl. Endnote 98.
116
Vgl. Endnote 110.
117
Vgl. Endnote 98.
118
Vgl. Endnote 110.
Vgl. Endnote 78.
90
Statistisches Bundesamt (2012). Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Einbürgerungen 2011. Fachserie 1. Reihe 2.1. Wiesbaden.
91
Statistisches Bundesamt (2011). Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Einbürgerungen 2010. Fachserie 1. Reihe 2.1. Wiesbaden.
92
Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22.07.1913 (RGBl. S. 583); zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. November 2011 (BGBl. I S. 2258).
93
Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22.07.1913 (RGBl. S. 583); zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. November 2011 (BGBl. I S. 2258).
94
Vgl. Endnote 71.
95 Migrationshintergrund-Erhebungsverordnung vom 29. September 2010 (BGBl. I S. 1372). 96
Statistisches Bundesamt (2011). Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2010. Fachserie 1 Reihe 2.2. Wiesbaden. 97
Vgl. Endnote 37.
98
Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Statistisches Bundesamt (2009). Mikrozensus 2009. Scientific-Use-File. Wiesbaden.
119
Statistics Canada (2011). Cansim Table 2820102. Ottawa.
120 121
Vgl. Endnote 98.
122
Vgl. Endnote 98.
123
Gilmore, J. (2009). The 2008 Canadian Immigrant Labour Market: Analysis of Quality of Employment. Statistics Canada. Catalogue No. 71-606-X. Ottawa.
100
Vgl. Endnote 98.
101
Vgl. Endnote 98.
102
Vgl. Endnote 98.
103 Statistics Canada (2011). Cansim Table 282-0105. Ottawa. 104
Vgl. Endnote 98.; Vgl. Endnote 103.
105
Vgl. Endnote 98.
106
Vgl. Endnote 98.
107
Vgl. Endnote 98.
108
Vgl. Endnote 103.
109
Vgl. Endnote 98.
110 Statistics Canada (2011). Cansim Table 2820106. Ottawa.
72 Nach Punkten vorn
134 Turcotte, M. (2011). Intergenerational education mobility: University completion in relation to parents’ education level. Statistics Canada. Catalogue No. 11-008-X. Ottawa. 135
Vgl. Endnote 132.
136
Vgl. Endnote 98.
137
Vgl. Endnote 98.
138
Vgl. Endnote 134.
139 Papademetriou, D.G. & Sumption, M. (2011). Rethinking Points Systems and EmployerSelected Immigration. Migration Policy Institute. Washington DC. 140
Picot, G. (2004). The Deteriorating Economic Welfare of Canadian Immigrants. Canadian Journal of Urban Research, 13, 25 – 45.
124
Vgl. Endnote 98.
125
Vgl. Endnote 123.
126
Vgl. Endnote 123.
127
Vgl. Endnote 98.
128
Vgl. Endnote 98.
142
Vgl. Endnote 140.
129
Vgl. Endnote 98.
143
Vgl. Endnote 141.
130
Vgl. Endnote 98.
144 Abbott, M.G. & Beach, C.M. (2011). Immigrant Earnings Differences Across Admission Categories and Landing Cohorts in Canada. Canadian Labour Market and Skills Researcher Network Working Paper No. 81.
99
Statistics Canada (2011). Cansim Table 051-0011. Ottawa.
Vgl. Endnote 98.
133 Picot, G. & Hou, F. (2011). Preparing for Success in Canada and the United States: The Determinants of Educational Attainment Among the Children of Immigrants. Statistics Canada. Catalogue No. 11F0019M – No. 332. Ottawa.
131
Yuksel, M. (2009). Intergenerational Mobility of Immigrants in Germany: Moving with Natives or Stuck in their Neighbourhoods? IZA DP NO. 4677. Bonn.; Vogel, T. (2006). Reassessing intergenerational mobility in Germany: some new estimation methods and a comparison of natives and immigrants. ZEW. Mannheim. http://www.zew.de/en/ publikationen/dfgflex/workshop_06/Vogel.pdf, abgefragt am 12.05.2012.; Riphahn, R.T. (2004). Are there Diverging Time Trends in the Educational Attainment of Nationals and Second Generation Immigrants? http://www.lsw.wiso.uni-erlangen.de/ userfiles/team/riphahn/are%20there%20 diverging.pdf, abgefragt am 12.05.2012.
132
Picot, G. & Hou, F. (2011). Seeking Success in Canada and the United States: The Determinants of Labour Market Outcomes Among the Children of Immigrants. Statistics Canada. Catalogue No. 11F0019M – No. 331. Ottawa.
141
Picot, G. (2008). Immigrant Economic and Social Outcomes in Canada: Research and Data Development at Stastistics Canada. Catalogue no. 11F0019M – No. 319. Ottawa.
145 Beach, C.M., Green, A.G. & Worswick, C. (2006). Impacts of the Point System and Immigration Policy Levers on Skill Characteristics of Canadian Immigrants. Queen’s Economics Department Working Papers No. 1115. Kingston.; Picot, G. & Sweetman, A. (2012). Making It in Canada. Immigration Outcomes and Policies. IRPP Study No. 29. 146 Picot, G. & Sweetman, A. (2012). Making It in Canada. Immigration Outcomes and Policies. IRPP Study No. 29. 147
Sweetman, A. & Warman, C. (2012). The Structure of Canada’s Immigration System and Canadian Labour Market Outcomes. Queen’s Economics Department Working Paper No. 1292. Kingston.
148 Frenette, M. & Morissette, R. (2003). Will they ever converge? Earnings of immigrant and Canadian-born workers over the last two decades, Statistics Canada, Catalogue no. 11F0019MIE – No. 215. Ottawa. 149
Bonikowska, A., Hou, F. & Picot, G. (2011). Do Highly Educated Immigrants Perform Differently in the Canadian and U.S. Labour Markets? Statistics Canada. Catalogue no. 11F0019M – No. 329. Ottawa. 150
Vgl. Endnote 146.
162
Banerjee, R. & Robson, W. (2009). Immigration’s impact on the growth and structure of the Canadian workforce. In: H. Grubel (Hrsg.). The Effects of Mass Immigration on Canadian Living Standards and Society. Fraser Institute. 121 – 144.
163 164
Vgl. Endnote 156.; Citizenship and Immigration Canada (2012). Evaluation Shows Ministerial Instructions are Relevant and Necessary. http://www. cic.gc.ca/english/resources/evaluation/min-instruct/section1.asp#s1_2, abgefragt am 10.04.2012.
165 151
Green, A. & Green, D. (2004). The Goals of Canada’s Immigration Policy: A Historical Perspective. Canadian Journal of Urban Research, 13, 102 – 139.
152
Vgl. Endnote 146.
153
Bonikowska, A., Green, D.A. & Riddell, W.C. (2010). Immigrant Skills and Immigrant Outcomes under a Selection System: The Canadian Experience. http://www.socialsciences.uottawa.ca/ grei-rgei/fra/documents/Bonikvowska_Green_ Riddell_IALSSimmigrantpaperOct262010.pdf, abgefragt am 18.06.2012.
154
Vgl. Endnote 146.; Goldmann, G., Sweetman, A. & Warman, C. (2011). The Portability of New Immigrants’ Human Capital: Language, Education and Occupational Matching. IZA DP No. 5851. Bonn. 155
Vgl. Endnote 146.
156
Citizenship and Immigration Canada (2010). Evaluation of the Federal Skilled Worker Program. Catalogue no. Ci4-54/2010E-PDF. Ottawa.
157
Vgl. Endnote 156.
Vgl. Endnote 156.
166
Alboim, N. (2009). Adjusting the Balance: Fixing Canada’s Economic Immigration Policies. Maytree. http://www.maytree.com/wp-content/ uploads/2009/07/adjustingthebalance-final.pdf, abgefragt am 21.06.2012. 167
Vgl. Endnote 57.
168
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183 Focus Migration (2007). Länderprofil Nr. 18. Schweden. http://www.bpb.de/gesellschaft/ migration/dossier-migration/57839/schweden, abgefragt am 14.07.2012. 184
Magvas, E. & Spitznagel, E. (2002). Gesamtwirtschaftliches Stellenangebot in West- und Ostdeutschland 1998, 1999, 2000. Umfang Struktur, Stellenbesetzungsprozesse: Ergebnisse der repräsentativen IAB-Erhebungen in Betrieben und Verwaltungen. IAB-Werkstattbericht 12/2001. Nürnberg.; Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2011). Arbeitskräftereport. Berlin.
185 Constant, A.F. & Tien, B.N. (2011). Germany’s Immigration Policy and Labor Shortages. IZA Research Report No. 41. http://www.iza.org/en/ webcontent/publications/reports/report_pdfs/ iza_report_41.pdf, abgefragt am 17.07.2012.; Vgl. Endnote 23. 186 Schellenberg, G. & Maheux, H. (2007). Immigrants‘ perspectives on their first four years in Canada: Highlights from three waves of the Longitudinal Survey of Immigrants to Canada. Statistics Canada. Canadian Social Trends. Special Edition. Ottawa.
169
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170
Vgl. Endnote 169.
188
171
Vgl. Endnote 57.
172
Vgl. Endnote 45.
Vgl. Endnote 156.
187
National VSI Working Group I (2003). Maximizing Settlement. Discussion Papers erstellt für die National Settlement Conference II in Calgary – 2. - 5. Oktober 2003.
173
Vgl. Endnote 141.
159
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Citizenship and Immigration Canada (2011). Evaluation of the Provincial Nominee Program. Catalogue no. Ci4-75/2011E-PDF. Ottawa.
174
Vgl. Endnote 173.
175
Vgl. Endnote 173.
176
Vgl. Endnote 173.
177
Vgl. Endnote 173.; Vgl. Endnote 156.
Maytree (2011). Six Ways to Improve the Federal Skilled Worker Program. Discussion Paper No. 1. http://docs.maytree.com/discussionpapers/ adjustingthebalance/1-point_system.pdf, abgefragt am 20.07.2012.
178
Vgl. Endnote 173.
179
Vgl. Endnote 173.
180
Vgl. Endnote 173.
181
Vgl. Endnote 173.
161
182
Vgl. Endnote 173.
160
Vgl. Endnote 156.
189 Biles, J. (2008). Integration Policies in EnglishSpeaking Canada. In: J. Biles, M. Burstein, & J. Frideres (Hrsg.). Immigration and Integration in Canada in the Twenty-First Century, 139 – 186. Kingston: Queen’s University. 190
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191
Vgl. Endnote 190.
192
Vgl. Endnote 190.
Berlin-Institut 73
QUELLEN
158
193 Foreign Credential Referral Office (2010). Government of Canada to fund expanded overseas foreign credential recognition services in China, India, the Philippines and the United Kingdom. http://www.credentials.gc.ca/media/releases/ 2010-02-18.asp, abgefragt am 13.08.2012.
204 Toronto Workforce Innovation Group (2012). Promising Practices: Connecting Educated Professionals with Sector-Appropriate Employment. http://www.workforceinnovation.ca/sites/ workforceinnovation.ca/files/PromisingPractices. pdf, abgefragt am 29.08.2012.
194
205 Maytree (2011). Good Ideas From Toronto. An Exchange of Immigrant Integration Practices. Vortrag am 30.11.2011 in Berlin.
Zikic, J., Lemoine, M., Phan, M., Kelly, P., Fang, T., Preston, V., & Tufts, S. (2011). What Are Immigrants’ Experiences of the Accreditation Process in Different Occupations? TIEDI Analytical Report 15. 195 Foreign Credentials Referral Office (2012). Strengthening Canada’s Economy. Government of Canada Progress Report 2011 on Foreign Credential Recognition. http://www.credentials.gc.ca/ fcro/pdf/progress-report2011.pdf, abgefragt am 15.08.2012. 196
Vgl. Endnote 194.
197
Vineberg, R. (2012). Responding to Immigrants’ Settlement Needs: The Canadian Experience. Springer Briefs in Population Studies.
198
Forum of Labour Market Ministers (2009). A Pan-Canadian Framework for the Assessment and Recognition of Foreign Qualifications. http:// www.welcomebc.ca/local/wbc/docs/framework_ for_assessment.pdf, abgefragt am 15.08.2012.
199
206
Xue, L. (2007). Portrait of an Integration Process. Difficulties encountered and resources relied on for newcomers in their first 4 years in Canada. Citizenship and Immigration Canada. 207 Welcoming Communities Initiative (2012). The Analysis of LIP Strategic Plans: Priorities and Directions. http://welcomingcommunities. ca/wp-content/uploads/2012/05/Analysis-ofLIP-Strategic-Plans_full-report.pdf, abgefragt am 30.08.2012. 208
Vgl. Endnote 207.
209
Citizenship and Immigration Canada (2010). Evaluation of the Welcoming Communities Initiative. http://www.cic.gc.ca/english/pdf/ research-stats/ER201103_05E_WCI.pdf, abgefragt am 03.09.2012.
210
Vgl. Endnote 209.
211
Vgl. Endnote 195.
200
Alexander, C., Burleton, D., & Fong, F. (2012). Knocking Down Barriers Faced By New Immigrants To Canada. Fitting the Pieces Together. TD Economics. http://www.td.com/document/PDF/ economics/special/ff0212_immigration.pdf, abgefragt am 27.08.2012. 201
Augustine, J. (2012). Working Toward Fair Access In The Regulated Professions. Diversité, 9, 12 – 16. 202
TRIEC (2011). Career Bridge – 2011 CBC Toronto Vision Award for Immigrant Inclusion. http://triec.ca/how-we-make-change/is-awards/ winners/career-bridge-2011-cbc-torontovision-award-for-immigrant-inclusion/, abgefragt am 28.08.2012.
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74 Nach Punkten vorn
219
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Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2012). Integration im föderalen System: Bund, Länder und die Rolle der Kommunen. Jahresgutachten 2012 mit Integrationsbarometer. Berlin. 221
Corak, M. (2008). Immigration in the Long Run. The Education and Earnings Mobility of SecondGeneration Canadians. IRPP Choices. Montreal.
222
Liebig, T. & Widmaier, S. (2009). Children of the Immigrants in the Labour Market of EU and OECD Countries: An Overview. OECD. Paris.
223
Toronto District School Board (2012). The TDSB Grade 9 Cohort of 2006-2011: Graduation Rate Patterns. Fact Sheet No. 2. Toronto.
224
Vgl. Endnote 133.
225
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227 Taylor, A. & Krahn, H. (2005). Aiming high: Education Aspirations of visible Minority Immigrant Youth. Statistics Canada. Ottawa.
213
Banting, K. & Kymlicka, W. (2010). Canadian Multiculturalism: Global Anxieties and Local Debates. British Journal of Canadian Studies, 23, 43 – 72.
228
214
Vgl. Endnote 211.
229
215
Vgl. Endnote 213.
216
Vgl. Endnote 58.; Vgl. Endnote 213.
203
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218 Regionales IQ-Netzwerk Bayern/Augsburg (2011). Anerkennung von ausländischen Qualifikationen – Überlegungen zur Umsetzung des „Anerkennungsgesetzes“ (BQFG). 12. Runder Tisch MigraNet, 11. Oktober 2011. Dokumentation. http:// netzwerk-iq.de/fileadmin/redaktion/Publikationen/01_Anerkennung/2011_Doku_RTisch_12.pdf, abgefragt am 12.09.2012.
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226
Vgl. Endnote 221.
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Vgl. Endnote 230.; Rutkowsky, P. (2008). Vielfalt ist unsere Stärke: Das Equitable Schools Program des Toronto District School Board. In: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). Integration braucht faire Bildungschancen. Verlag Bertelsmann Stiftung. Gütersloh. 234
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Toronto District School Board (o. J.). International Languages Elementary & African Heritage Programs. http://www.tdsb.on.ca/_site/ViewItem. asp?siteid=200&menuid=989&pageid=726, abgefragt am 16.10.2012. 243
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Vgl. Endnote 254.
256
Dustmann, C., Frattini, T. & Lanzara, G. (2012). Education achievement of secondgeneration immigrants: an international comparison. Economic Policy. 143-185.
257
Vgl. Endnote 220.
258
244 Rutkowsky, P. (2008). Vielfalt ist unsere Stärke: Das Equitable Schools Program des Toronto District School Board. In: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). Integration braucht faire Bildungschancen. Verlag Bertelsmann Stiftung. Gütersloh.
Kiziak, T., Kreuter, V. & Klingholz, R. (2012). Dem Nachwuchs eine Sprache geben. Was frühkindliche Sprachförderung leisten kann. Discussion Paper Nr. 6. Berlin: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.
245 Sinay, E. & Zheng, S. (2010). The 2009-2010 TDSB Parent Satisfaction Survey Results: Executive Summary. http://www.tdsb.on.ca/wwwdocuments/ parents/parent_groups/docs/The2009-2010TDSBParentSatisfactionSurveyResults-Executive Summary-Revised%20-%20With%20Cover.pdf, abgefragt am 10.10.2012.
259
235
236
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246
Zhong, L. & Zhou, G. (2011). Chinese Immigrant Parents’ Involvement in Their Children’s School 237 Barth, H., Heimer, A. & Pfeiffer, I. (2008). Integra- Education: High Interest but Low Action. tion durch Bildung – Best Practice aus zehn Ländern. St. Catharines: Brock University. In: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). Integration braucht 247 Swisontario (2010). Settlement Workers in faire Bildungschancen. Verlag Bertelsmann Stiftung. School. http://swisontario.ca/2/About-Us, Gütersloh; Rutkowsky, P. (2008). Vielfalt ist unsere abgefragt am 12.10.2012. Stärke: Das Equitable Schools Program des Toronto 248 Toronto District School Board (o. J.). Adult District School Board. In: Bertelsmann Stiftung English as a Second Language. http://www.tdsb. (Hrsg.). Integration braucht faire Bildungschancen. on.ca/_site/ViewItem.asp?siteid=200&menuid=98 Verlag Bertelsmann Stiftung. Gütersloh. 7&pageid=724, abgefragt am 12.10.2012. 238 Settlement.org (o. J.). The Newcomers’ Guide 249 Vgl. Endnote 197. to Elementary School in Ontario http://www. 250 Toronto District School Board (o. J.). Parenting settlement.org/downloads/edguide/en_pub_full.pdf, and Family Literacy Centre. Fact Sheet. http:// abgefragt am 02.10.2012. www.tdsb.on.ca/wwwdocuments/parents/ 239 Toronto District School Board (o. J.). English as a parenting_and_family_literacy/docs/Parenting_ Second Language & Literacy Development. http:// Family%20Literacy%20Centre%20web.pdf, www.tdsb.on.ca/wwwdocuments/programs/ abgefragt am 08.10.2012. English_as_a_Second_Language/docs/ESL%20 251 Yau. M. (2010). Parenting and Family Literacy and%20LD.pdf, abgefragt am 05.10.2012. Centres: Making a Difference Beyond Early School 240 Toronto District School Board (o. J.) LEAP Readiness. Research Today. Vol. 5. Toronto. Program. http://www.tdsb.on.ca/_site/viewitem.asp 252 Vgl. Endnote 251. ?siteid=13&menuid=4785&pageid=4175, abgefragt 253 Vgl. Endnote 251. am 10.10.2012.
Vgl. Endnote 220.
260 Naumann, U. (2005). Kindertagesangebote für unter sechsjährige Kinder mit Migrationshintergrund. In: Ahnert, l. & Lieselotte et als. (Hrsg.). Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern unter sechs Jahren. 175-226. München. 261
Vgl. Endnote 258.
262
Statistisches Bundesamt (2010). Statistiken der Kinder- und Jugendhilfestatistik. Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege am 01.03.2010. Wiesbaden. 263
Vgl. Endnote 220.
264
Vgl. Endnote 220.
265 Bonsen, M., Bos, W., Gröhlich, C., Harney, B., Imhäuser, K., Makles, A., Schräper, J., Terpoorten, T., Weishaupt, H. & Wendt, H., (2010). Zur Konstruktion von Sozialindizes. Ein Beitrag zur Analyse sozialräumlicher Benachteiligung von Schulen als Voraussetzung für qualitative Schulentwicklung. Bundesministerium für Bildung und Forschung. Berlin.; Frein, T., Möller, G., Petermann, P. & Wilpricht, M. (2006). Bedarfsgerechte Stellenzuweisungen – das neue Instrument Sozialindex. Schulverwaltung NRW.; Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (o. J.). Sozialindex. http://www.schulministerium.nrw.de/BP/ Schulsystem/Statistik/Sozialindex/sozialindex/ index.html, abgefragt am 19.10.2010.
Berlin-Institut 75
QUELLEN
Toronto District School Board (o. J.). The 2011 Learning Opportunities Index: Questions and Answers. http://www.tdsb.on.ca/wwwdocuments/ about_us/external_research_application/docs/ LOI2011.pdf, abgefragt am 02.10.2012.
Aktuelle Publikationen des Berlin-Instituts:
Discussion Paper 7
Discussion Paper
6
Berlin-Institut
für Bevölkerung und Entwicklung
gefördert von FuturZwei Stiftung Zukunftsfähigkeit
Alt aber glücklich Führt eine schrumpfende und alternde Bevölkerung zu weniger Wohlstand? (2012)
Alt aber glücklich
Dem Nachwuchs eine Sprache geben
Führt eine schrumpfende und alternde Bevölkerung zu weniger Wohlstand?
Dem Nachwuchs eine Sprache geben
Was frühkindliche Sprachförderung leisten kann Von Stephan Sievert und Reiner Klingholz Von Tanja Kiziak, Vera Kreuter und Reiner Klingholz
Was frühkindliche Sprachförderung leisten kann (2012)
Das Trilemma des Wachstums Bevölkerungswachstum, Energieverbrauch und Klimawandel – drei Probleme, keine Lösung? (2012)
Berlin-Institut
Berlin-Institut 1
1
Die Zukunft der Dörfer Zwischen Stabilität und demografischem Niedergang (2011)
Discussion Paper
8
Berlin-Institut
Berlin-Institut
für Bevölkerung und Entwicklung
für Bevölkerung und Entwicklung
Afrikas demografische Herausforderung Wie eine junge Bevölkerung Entwicklung ermöglichen kann (2011)
Die demografische Lage der Nation Was freiwilliges Engagement für die Regionen leistet (2011)
Das Trilemma des Wachstums
Die Zukunft der Dörfer
Bevölkerungswachstum, Energieverbrauch und Klimawandel – drei Probleme, keine Lösung?
Zwischen Stabilität und demografischem Niedergang
Von Reiner Klingholz & Klaus Töpfer
Mehr Chancen für Schüler Wie sich mit Stipendienprogrammen Begabte finden und fördern lassen (2011)
+++ zwei Drittel aller ländlichen Gemeinden verlieren Bevölkerung +++ Dörfer in ihrer Existenz bedroht +++ steigende Kosten und sinkende Ei andflucht beschleunigt sich +++ zu wenig Arbeit auf dem Lande +++ kritische Entwicklung in Ostdeutschland +++ ungleiche Lebensverhältnisse Berlin-Institut 1
Discussion Paper
Berlin-Institut
Berlin-Institut
für Bevölkerung und Entwicklung
5
Berlin-Institut
für Bevölkerung und Entwicklung
für Bevölkerung und Entwicklung
gefördert von der
in Kooperation mit
Stiftung Weltbevölkerung
Lilli Sippel, Tanja Kiziak, Franziska Woellert, Reiner Klingholz
Afrikas demografische Herausforderung Wie eine junge Bevölkerung Entwicklung ermöglichen kann
ung +++ Ostasien altert +++ Bildung und Familienplanung als Voraussetzung für Entwicklung +++ die demografische Dividende abschöpfen +++ der Aufs e Entwicklungspolitik braucht Bevölkerungsdimension +++ reproduktive Gesundheit und Rechte +++ gesellschaftlicher Wandel in Entwicklungsländern
Die demografische Lage der Nation Was freiwilliges
ngagement für die Regionen leistet
Mehr Chancen für Schüler Wie sich mit Stipendienprogrammen Begabte finden und fördern lassen Von Tanja Kiziak, Vera Kreuter und Reiner Klingholz
g Kinder, aber gut betreut +++ Teenagermütter in Krisenregionen +++ Berlin auf Aufholkurs +++ Was leistet die Zivilgesellschaft? +++ Baden-Württembe +++ Ehrenamt auf der Suche nach neuen Aufgaben +++ Drohende Altersarmut +++ Mittelmaß in Niedersachsen +++ Mecklenburg-Vorpommern: Vorzeig Berlin-Institut 1
Diese und weitere Publikationen stehen Ihnen kostenlos als Download unter www.berlin-institut.org zur Verfügung.
www.berlin-institut.org
für Bevölkerung und Entwicklung
gefördert von der
Nach Punkten vorn Was Deutschland von der Zuwanderungs- und Integrationspolitik Kanadas lernen kann
Welcome Bienvenue
Berlin-Institut
Das Berlin-Institut dankt der Robert Bosch Stiftung für die Unterstützung bei der Erstellung dieser Studie.
Nach Punkten vorn – Was Deutschland von der Zuwanderungs- und Integrationspolitik Kanadas lernen kann
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Schillerstraße 59 10627 Berlin
Berlin-Institut
ISBN 978-3-9814679-5-6
+++ mehr Arbeitsmigranten in Kanada +++ wachsende Lücken auf dem deutschen Arbeitsmarkt +++ in Zukunft höherer Bedarf an Hochqualifizierten +++ nur ein Achtel aller Zuwanderer aus Drittstaaten kommt aus Erwerbsgründen nach Deutschland +++ Integration beginnt schon vor der Abreise aus dem Heimatlan individuelle Förderung von Schülern in Kanada +++ Zuwanderung kann Sozialsysteme stärken +++ Punktesystem bringt Hochqualifizierte ins Land +++ die Erfolge der zweiten Generation +++ Anerkennung ausländischer Abschlüsse weiterhin schwierig +++ mangelnde Sprachkenntnisse größte Hürde der Integration
PERSPEKTIVE
VII.
Die Mär vom »Sozialtourismus« Zuwanderung rumänischer Staatsbürger nach Deutschland und in andere EU-Mitgliedsländer
Matthias Jobelius | Victoria Stoiciu Januar 2014
n Seit Jahren arbeiten rumänische EU-Bürger als Akademiker, Facharbeiter, Auszubildende, Selbständige und Saisonarbeiter im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland. Seit dem 1. Januar 2014 können auch Rumänen ohne berufsqualifizierenden Abschluss uneingeschränkt in Deutschland arbeiten. n Italien und Spanien sind mit Abstand die wichtigsten Zielländer für rumänische Zuwanderer. Sie nehmen zusammen jährlich zwischen 60 bis 80 Prozent aller Migranten aus Rumänien auf. Deutschland folgt mit großem Abstand auf Platz drei, wird jedoch als Einwanderungsland für rumänische Staatsbürger attraktiver. n In Deutschland sind rumänische Staatsbürger gut in den Arbeitsmarkt integriert. Darüber hinaus gehören sie zu den qualifizierten Zuwanderungsgruppen. Nur ein vergleichsweise geringer Teil der Rumänen in Deutschland nimmt Sozialleistungen in Anspruch. n In einigen Regionen und Sektoren weicht die Arbeitsmarktsituation der Rumänen vom Bundesdurchschnitt ab. Dort treten Probleme konzentriert auf und rumänische Migranten leiden unter prekären Arbeitsverhältnissen. Die Hilfe für betroffene Kommunen und Maßnahmen gegen unwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen für Zuwanderer sind die wichtigsten Handlungsfelder.
Matthias Jobelius, Victoria Stoiciu | Die Mär vom »Sozialtourismus«
Kontroverse Debatte in Deutschland
Insgesamt zeigt die jüngste deutsche Debatte um Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien, wie wichtig zunächst eine differenzierte Bestandsaufnahme ist. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden die wichtigsten Charakteristika der rumänischen Zuwanderung nach Deutschland und in andere EU-Staaten dargestellt.
Gerade in Deutschland sollte die Erkenntnis nicht verwundern: Ein regionales Wohlstandsgefälle – vor allem innerhalb eines Binnenmarktes – befördert Migration. Jede Statistik über Wanderungsbewegungen zwischen Einwohnern ost- und westdeutscher Bundesländer nach der Wiedervereinigung veranschaulicht dieses Prinzip. Dass unterschiedliche Wohlstandsniveaus innerhalb der EU Migrationsbewegungen nach sich ziehen, beispielsweise zwischen Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland, ist ebenso erwartbar. Seit Jahren arbeiten rumänische EU-Bürger als Akademiker, Facharbeiter, Auszubildende, Selbständige und Saisonarbeiter im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland. Seit dem 1. Januar 2014 können nun auch Rumänen ohne berufsqualifizierenden Abschluss uneingeschränkt in Deutschland arbeiten.
Transformation in Rumänien: drei Phasen der Abwanderung Die Abwanderung von Arbeitskräften ist ein Kennzeichen der Transformation Rumäniens seit dem Ende des Kommunismus. Nach unterschiedlichen Schätzungen haben zehn bis 18 Prozent der Gesamtbevölkerung das Land seit 1989 verlassen. In einer ersten Phase der Migration, zwischen 1990 und 1995, migrierten Angehörige der deutschen und ungarischen Minderheiten sowie rumänische Gastarbeiter. Während die ethnische Abwanderung der Deutschen (Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben) und Ungarn dauerhaft war, arbeiteten die rumänischen Gastarbeiter zeitlich begrenzt im Ausland, meist im Bausektor, und ohne Familienmitglieder mitzunehmen. Wichtigste Zielländer für sie waren zu dieser Zeit Israel und die Türkei (vgl. Sandu et al. 2006, Ban 2009).
Schon Monate vor diesem Datum wurde in Deutschland eine hitzige Debatte über rumänische und bulgarische Zuwanderer geführt. Der Deutsche Städtetag und viele Mandats- und Amtsträger auf lokaler Ebene verwiesen auf Probleme, die durch zahlreicher werdende Migranten aus Rumänien und Bulgarien hervorgerufen würden. Besonders mit Blick auf Schulpflicht, Sprachförderung, Prüfung von Leistungsberechtigungen, Unterbringung, Arbeitsstandards sowie Gesundheits- und Daseinsvorsorge seien Kommunen finanziell und administrativ überfordert.
Aufgrund der anhaltend schlechten wirtschaftlichen Situation in Rumänien verließen in den folgenden Jahren mehr und mehr Angehörige der Mehrheitsbevölkerung das Land. Die Profile der Migranten wurden vielschichtiger, die Wanderungsbewegungen differenzierter. In dieser zweiten Phase der Migration begann eine stärkere Westorientierung; Italien und Spanien wurden als Zielländer wichtiger.
Es dauerte nicht lange, da wurden die Sorgen einiger Kommunen politisch missbraucht. »Wer betrügt, der fliegt«, hieß es in einer Beschlussvorlage zur CSU-Klausurtagung im Januar 2014. Der Zugang von »Armutsmigranten« zu Sozialleistungen müsse begrenzt werden, »Sozialtourismus« dürfe es nicht geben, hieß es aus der Unionsfraktion. Die Reaktionen auf diesen Vorstoß fielen kritisch aus: Im Presseecho wurde an die unrühmliche Tradition rechtspopulistischer Wahlkampfslogans des konservativen Lagers erinnert (»Kinder statt Inder«) und auch auf die rhetorische Nähe zu braunen Parolen verwiesen (NPD: »Geld für Oma statt für Sinti und Roma«). Ablehnung kam nicht nur vom Koalitionspartner SPD und den Oppositionsparteien, sondern auch von Arbeitsmarktforschern und Arbeitgebervertretern, die auf die positiven wirtschaftlichen Impulse der Migration in Deutschland verwiesen.
Nachdem zum 1. Januar 2002 die Visumpflicht für Rumänen im Schengen-Raum fiel, begann eine dritte, bis heute anhaltende Phase der Migration. Hier stieg die Zahl rumänischer Migranten in der EU stark. Im Jahr 2002 arbeiteten mindestens 300.000 Rumänen im EUAusland. Kurz vor dem EU-Beitritt im Jahr 2007 waren es bereits über 1,3 Millionen. Seit dem EU-Beitritt im Jahr 2007 wuchs die Zahl weiter. Die OECD schätzt, dass im Jahr 2011 ca. 3,5 Millionen Rumänen im Ausland arbeiteten (OECD 2013a), was ca. 18,5 Prozent der rumänischen Gesamtbevölkerung gleichkäme. Unter den
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neuen EU-Mitgliedsländern (EU-8 und EU-2)1 entsendet Rumänien gemeinsam mit Polen die meisten Migranten in die EU-152 (Kahanec 2012:12).
Euro)3. Es wird geschätzt, dass ca. 70 Prozent der Beschäftigten unter dem Durchschnittlohn verdienen. Rund 900000 Personen beziehen den Mindestlohn, der bei 200 Euro brutto monatlich (900 RON) liegt. Ein Grundschullehrer kommt auf ca. 250 Euro netto im Monat, was nicht einmal zehn Prozent des Nettogehalts entspricht, das sein Lehrerkollege in Deutschland bekommt4.
Auswanderungsgründe: bessere Arbeit, mehr Einkommen Die meisten Rumänen gehen ins Ausland, um sich bessere Arbeitsmöglichkeiten und Einkommenszuwächse zu eröffnen (Rolfe et al. 2013, Stanculescu/Stoiciu 2012). Dies liegt an den niedrigen Löhnen und unzureichenden Beschäftigungsperspektiven in Rumänien. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus halbierte sich die Zahl der formal Beschäftigten von ca. acht auf ca. vier Millionen; etwa 3,5 Millionen Arbeitsplätze fielen dauerhaft weg, vor allem in der Industrie. Dies hat die Ausbildung eines großen informellen Sektors befördert, in dem die Menschen in der Regel ohne Arbeitsvertrag und ohne Sozialversicherung prekär beschäftigt sind. Diese Schattenwirtschaft macht in Rumänien knapp 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus und erwirtschaftet knapp 40 Milliarden Euro. Gemessen am BIP-Anteil hat das Land nach Bulgarien und gemeinsam mit Kroatien die größte Schattenwirtschaft in der EU (AT Kearney 2013).
Auch aufgrund der niedrigen Löhne hat Rumänien zusammen mit Bulgarien das höchste Armutsrisiko in der EU. Nach Berechnungen der Europäischen Statistikbehörde sind 42 Prozent der Rumänen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Im Eurobarometer bezeichnen 58 Prozent der befragten Rumänen ihre finanzielle Lage als prekär (EU-Durchschnitt: 35 Prozent). Die sozialen Sicherungssysteme können dem kaum entgegenwirken. Der öffentliche Gesundheitssektor etwa ist zugleich unterfinanziert, ineffizient und von Korruption geplagt. Rumänien hat die niedrigsten öffentlichen Gesundheitsausgaben, die zweitniedrigste Lebenserwartung und die höchste Kindersterblichkeitsrate in der EU. Es sind diese im europäischen Vergleich schlechten sozialen und wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen, die viele Rumänen dazu bewegen, ins Ausland zu gehen, um sich dort bessere Einkommens- und Beschäftigungsperspektiven zu eröffnen. Diese Motivation teilen Geringqualifizierte mit Akademikern, Niedriglohnempfänger mit Besserverdienenden. Rumänische Abwanderer sind also keine »Armutsmigraten«, sondern Personen, die zu Recht von sich annehmen können, dass sie unter besseren wirtschaftlichen und sozialen Ausgangbedingungen, ihre Fähigkeiten und Qualifikationen auch besser zur Geltung bringen können. Dafür nutzen sie ihr Recht als EU-Bürger, sich in einem anderen EU-Land niederzulassen und dort zu arbeiten.
Auch ansonsten gleicht die Wirtschaft Rumäniens der eines Transformationslandes. Es gibt einen unproduktiven, von Subsistenzwirtschaft geprägten Agrarsektor. Hier arbeiten ca. 30 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung. Jedoch ist nur ein Bruchteil davon lohnabhängig beschäftigt. Die überwiegende Mehrheit arbeitet in kleinen Familienbetrieben. Die durchschnittliche Betriebsgröße beträgt 2,3 Hektar (Deutschland: 58 Hektar). In einigen ländlichen Regionen ist die Infrastruktur mangelhaft, und es ist noch nicht gelungen, alle Haushalte des Landes mit Strom zu versorgen. Die ungünstige Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur schlägt sich in den Einkommen nieder. Auch nach 25 Jahren Transformation beträgt der monatliche Brutto-Durchschnittslohn in Rumänien heute nicht mehr als 2278 RON, umgerechnet 506 Euro (Deutschland: 3391
Italien und Spanien wichtigste Zielländer, Deutschland wird attraktiver Seit 2001 sind Italien und Spanien die mit Abstand wichtigsten Zielländer für rumänische Migranten. Sie
1. EU-8 umfasst die im Jahr 2004 in die EU aufgenommenen östlichen Mitgliedsstaaten Tschechien, Lettland, Estland, Litauen, Slowakei, Slowenien, Ungarn, Polen. EU-2 sind die im Jahr 2007 aufgenommen Länder Rumänien und Bulgarien.
3. Quellen: Rumänische Zentralbank, Statistischem Bundesamt.
2. EU-15 bezeichnet die Gruppe der Mitgliedsstaaten, die vor den Erweiterungsrunden 2004 und 2007 bereits in der EU waren.
4. Beispiel: Lehrer Primatstufe, Land NRW, Besoldungsgruppe A12, Stufe 4, Steuerklasse 1, 2612,23 Euro.
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MaTThIaS JobElIuS, VIcToRIa SToIcIu | DIE MäR VoM »SozIalTouRISMuS«
Tabelle 1 : Zahl rumänischer Staatsangehöriger in den drei wichtigsten Zielländern Spanien, Italien und Deutschland Jahr
Spanien
Italien
Deutschland
2005
317.336
270.845
73.043
2006
401.159
342.200
73.353
2007
603.889
625.278
84.584
2008
718.844
796.477
94.326
2009
751.688
887.763
104.980
2010
840.682
968.576
126.536
2011
912.526
997.000
159.222
2012
918.133
1.000.000
205.026
2013
(Juni) 925.140
-
(Okt) 262.047
Quelle: für Spanien 2002-2006: Instituto National de Estadisticas, www.ine.es, 2007-2013: Ministerio de Empleo y Seguridad Social, http://extranjeros.empleo.gob.es ; Italien: Dossier Immigrazzione, www.caritas.it; Deutschland: Statistisches Bundesamt, Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
mänischen Staatsbürgern im betreffenden Einreiseland zu finden sind, ist es nicht leicht, ein Gesamtprofil rumänischer Migranten zu ermitteln. Einige Aussagen lassen sich dennoch treffen:
nehmen zusammen jährlich zwischen 60 bis 80 Prozent aller rumänischen Zuwanderer auf. Wichtige Gründe für die Attraktivität beider Länder sind die Sprachverwandtschaft sowie die existierenden Netzwerke und großen rumänischen Diaspora-Gemeinden in beiden Ländern. Deutschland liegt auf der Liste der Zielländer rumänischer Migranten zwar auf Platz drei, jedoch weit abgeschlagen hinter Spanien und Italien, wie Tabelle 1 zeigt.
Nach Angaben der Europäischen Kommission hatten in der jüngeren Vergangenheit 52 Prozent der EU-2 Migranten innerhalb der EU ein mittleres und 34 Prozent ein niedriges Qualifikationsniveau. Die Abwanderungsquote unter Akademikern wird unter EU-2 Migranten auf 14 Prozent geschätzt (EC 2011). Die Daten des rumänischen Zensus von 2011 und des rumänischen Arbeitsamtes legen eine ähnliche Aufteilung nahe.
Tabelle und Grafik veranschaulichen zugleich, dass Deutschland als Einwanderungsland für rumänische Staatsbürger attraktiver wird. Die Zahl der in Deutschland lebenden Rumänen hat sich seit 2010 verdoppelt und betrug im Oktober 2013 insgesamt 262.047 Personen. Wie viele davon der Minderheit der Roma angehören, wird statistisch nicht erfasst.
In Deutschland gehören rumänische Staatsbürger zu den qualifizierten und gut integrierten Zuwanderungsgruppen. Zwar ist das Qualifikationsniveau der EU-2 Migranten in Deutschland etwas niedriger als das von Migranten aus den osteuropäischen EU-8-Ländern, jedoch liegt es höher als das Qualifikationsniveau südeuropäischer EU-Bürger, die nach Deutschland kommen (DIW 2013: 13). Allerdings hat sich nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) das Qualifikationsniveau von EU-2 Migranten in den vergan-
Qualifikationen und Tätigkeiten rumänischer Zuwanderer Die rumänischen Statistiken zu Migration und Migrationsprofilen sind lückenhafter als die Einwandererstatistiken der Zielländer. Da in letzteren nur die Daten zu ru-
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al. 2013). In den Medien wird von 20.000 und 30.000 Ärzten berichtet, die das Land in den vergangenen 25 Jahren verlassen haben sollen. In Deutschland sind nach einer Statistik der ZEIT die meisten ausländischen Ärzte Rumänen (ZEIT 2014). Nach Daten der OECD kommen in Rumänien auf 1000 Einwohner 2,4 praktizierende Ärzte. Damit liegt Rumänien gemeinsam mit Slowenien knapp hinter Großbritannien (2,7) und vor Polen (2,2) an zweitletzter Stelle in der Europäischen Union (EUDurchschnitt: 3,4. Deutschland: 3,7). Allerdings zeigt dieselbe Statistik, dass die Anzahl der Ärzte in Rumänien zwischen 2000 und 2010 jährlich um 2,1 Prozent wuchs, was gegen einen allzu dramatischen Brain Drain sprechen würde.
genen Jahren verschlechtert. Hatten von den Bulgaren und Rumänien, die vor 2007 nach Deutschland kamen, nur 36 Prozent keinen berufsqualifizierenden Abschluss, waren es in der Gruppe ab 2007 46 Prozent (vgl. ebd,). 33 Prozent verfügen in dieser Gruppe über eine Ausbildung, 21 Prozent über einen Hochschulabschluss (ebd., auch IAB 2013a). Unter den Rumänen in Deutschland am stärksten vertreten ist die Gruppe der 25- bis 35-Jährigen (Durchschnittsalter 33 Jahre), mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer zwischen fünf und sechs Jahren (Statistisches Bundesamt, Stichtag 31.12.2012). Rumänische und bulgarische Arbeitsmigranten im EUAusland sind überwiegend im Bausektor (21,2 Prozent), in Privathaushalten und der häuslichen Pflege (17,5 Prozent) sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe (14,2 Prozent) tätig (EC 2011). 14 Prozent der Auswanderer gelingt es, im Ausland einer im Vergleich zum Heimatland höher qualifizierteren Tätigkeit nachzugehen. Für je 22 Prozent bleibt das Tätigkeitsniveau gleich, weitere 22 Prozent arbeiten im Zielland in niedriger qualifizierten Jobs, 36 Prozent gingen zuvor in Rumänien keiner Tätigkeit nach (Stanculescu/Stoiciu 2012).
Wichtige wirtschaftliche Effekte gehen von den Rücküberweisungen (remittances) rumänischer Migranten nach Rumänien aus. Diese machten nach Angaben der rumänischen Zentralbank zwischen 2005 und 2012 36,2 Milliarden Euro aus und ca. drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Rücküberweisungen nahmen bis 2008 stetig zu, erreichten dann einen bisherigen Höchststand von 6,6 Milliarden Euro und nehmen seither aufgrund der Wirtschaftskrise im Südeuropa ab. 2011 lag die Summe bei 3,7 Milliarden Euro. Rücküberweisungen sind für viele rumänische Haushalte eine bedeutende Einkommensquelle. Studien zu diesem Thema legen nahe, dass die Gelder in erster Linie zur Deckung laufender Kosten und der Begleichung von Schulden verwendet werden, während ca. ein Fünftel das Geld auch für Bildungsinvestitionen nutzt. Der Rückgang der Geldtransfers seit 2008 zeigt jedoch auch, wie volatil diese Zahlungsströme sind. Mit ihrer Abhängigkeit von Rücküberweisungen und anderen Kapitalimporten ist Rumäniens Wirtschaft besonders anfällig, wenn es zu krisenhaften Entwicklungen in anderen Volkswirtschaften kommt.
Auswirkungen der Migration auf Rumänien Die Frage, welche Auswirkungen die Migration auf das Herkunftsland hat, ist im Falle Rumäniens nicht eindeutig zu beantworten. In der öffentlichen Debatte in Rumänien werden in der Regel die negativen Aspekte der Migration betont. Meist wird von einem »Brain Drain« gesprochen und die hohe Abwanderungsrate als Beweis für eine verfehlte Transformation gesehen. Die oben zitierten Zahlen zum Qualifikationsprofil rumänischer Migranten lassen zunächst nicht pauschal auf einen landesweiten und sektorübergreifenden Brain Drain schließen. Auch die Arbeitslosenquote unter Akademikern lässt eine Knappheit, aber keinen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften unterstellen: Sie ist mit 4,5 Prozent vergleichsweise niedrig und liegt unter der offiziellen durchschnittlichen Arbeitslosenquote, die wiederum mit 7,3 Prozent auch wegen der anhaltenden Abwanderung überschaubar bleibt. Es ist eher zu vermuten, dass der Brain Drain in Rumänien auf einzelne Sektoren beschränkt ist. So ist im Gesundheitssektor die Abwanderung von Ärzten ein vieldiskutiertes Thema (Tilea et
Gute Arbeitsmarktintegration in Deutschland Rumänische EU-Bürger gehen vorzugsweise dorthin, wo sie auf Arbeit hoffen können oder über persönliche Kontakte verfügen, und nicht dorthin, wo es ausgeprägte soziale Sicherungssysteme gibt. Die Behauptung, dass Wanderungsbewegungen positiv mit hohen Leistungen für Arbeitslose korrelieren würden und es folglich einen »Sozialstaatstourismus« gäbe, lässt sich für die rumänischen Migranten ebenso wenig empirisch belegen wie
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im Falle der EU-Binnenmigration im Allgemeinen (Giulietti et al. 2011).
Probleme treten räumlich begrenzt und konzentriert auf
In Deutschland sind Rumänen gut in den Arbeitsmarkt integriert. Verglichen mit dem Durchschnitt der Migranten aus den anderen östlichen EU-Mitgliedsländern (Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowenien, Slowakei, Tschechien und Ungarn5) sowie mit südeuropäischen Mitgliedsländern (Griechenland, Italien, Portugal und Spanien) haben Rumänen in Deutschland mit 60,2 Prozent die höchste Beschäftigungsquote (IAB 2013a). Die Arbeitslosenquote der Rumänen in Deutschland liegt mit 5,3 Prozent unter dem Bevölkerungsdurchschnitt in Deutschland (6,7 Prozent) und deutlich unter dem Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung (14,7 Prozent).6
Die oben zitierten Zahlen zur gelungenen Arbeitsmarktintegration rumänischer EU-Bürger scheinen im Gegensatz zu stehen zu den Problemen, über die einige Kommunen in Deutschland mit Blick auf Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien seit Monaten berichten (bspw. Deutscher Städtetag 2013, ASMK 2013). Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) zeigen, dass die Arbeitsmarktsituation von Rumänen in einigen strukturschwachen Kommunen vom Bundesdurchschnitt abweicht. So liegt die Arbeitslosenquote der Rumänen in Duisburg bei 18,7 Prozent, in Berlin bei 21,6 Prozent und in Dortmund bei 19,3 Prozent (IAB 2013b). Das sind insofern keine alarmierenden Zahlen, als dass sie in allen drei Fällen deutlich unter der Arbeitslosenquote der in diesen Städten lebenden Ausländer liegen; sie zeigen aber, dass in diesen Gegenden die Arbeitsmarktintegration weniger gut gelingt als im Bundesdurchschnitt.
Als EU-Bürger haben Rumänen mit Wohnsitz in Deutschland prinzipiell Anrecht auf Kindergeld und unter bestimmten Voraussetzungen und sofern sie sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, auch Anrecht auf Arbeitslosengeld I und SGB-II Leistungen (Hartz IV). SGB-II Leistungen werden in der Regel nicht in den ersten drei Monaten nach Ankunft in Deutschland ausgezahlt. Inwieweit erwerbslose EU-Ausländer Anspruch auf SGB-II Leistungen haben, ist derzeit rechtlich umstritten. In der jüngsten Rechtssprechung sehen viele Sozialgerichte im Ausschluss von EU-Bürgern von SGB-II Leistungen in Deutschland einen Verstoß gegen europäisches Recht.
Schattenwirtschaft und die Verletzung von Arbeitnehmerrechten rumänischer Migranten Probleme wie Schwarzarbeit, miserable Wohnbedingungen oder unwürdige und ausbeuterische Arbeitsbedingungen treten in den betroffenen Kommunen konzentriert auf. Aber auch in wirtschaftsstarken Regionen in Deutschland kommt es zur Verletzung der Arbeitnehmerrechte rumänischer und anderer europäischer Zuwanderer. Insbesondere solche Arbeitnehmer, die bereits in Rumänien im informellen Sektor gearbeitet haben, sind sich ihrer Arbeitnehmerrechte im Zielland oft nicht bewusst. Häufig wird dann nicht geklärt, ob und in welcher Form Arbeitsverträge vorhanden sind, wie die Lohnabrechnung aussieht, wie sich soziale Absicherung, Arbeitsstandards und Arbeitnehmerrechte gestalten. Wenn die betroffenen Arbeitnehmer auf Vermittler, Sub-Unternehmer, Leiharbeitsfirmen oder Arbeitgeber treffen, die bewusst Arbeitsstandards umgehen wollen, bleiben die Rechte von Arbeitsmigranten aus Rumänien oft auf der Strecke. Existieren in den Zielländern deregulierte Arbeitsmärkte, grenzüberschreitende Leiharbeit, ausgeprägte Niedriglohnsektoren, atypische Beschäftigungsverhältnisse (Werkverträge, Sub-Contracting etc.), intransparente oder gar illegale
Im Vergleich zur ausländischen Bevölkerung insgesamt nehmen Rumänen in Deutschland nur in geringem Umfang Sozialleistungen in Anspruch. Aktuell sind 7,4 Prozent der Rumänen Leistungsempfänger gemäß SGB-II. Die Zahl liegt knapp unter der durchschnittlichen Leistungsempfängerquote in Deutschland (7,5 Prozent) und deutlich unter dem Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung insgesamt (16,2 Prozent) (IAB 2013a). Der Anteil rumänischer Staatsbürger an allen SGB-II-Leistungsberechtigten betrug im Juli 2013 0,3 Prozent (BMAS 2013:8).
5. Kroatien ist als jüngster EU-Mitgliedsstaat noch nicht in den Berechnungen berücksichtigt. 6. Quellen: Arbeitslosenquote Rumänen/Ausländer insgesamt: IAB 2013a, Stichtag 30.06.2013. Arbeitslosenquote Bevölkerungsdurchschnitt: Bundesagentur für Arbeit, Dezember 2013.
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und Sozialarbeit etc. (vgl. ausführlich ASMK 2013, DGB 2012). Abwegig ist allerdings die Forderung nach einer Beschränkung der Freizügigkeit. Dies wäre nicht nur europa- und wirtschaftspolitisch rückschrittlich, sondern würde auch die Situation für einzelne Kommunen nicht verbessern. Im Gegenteil: Beschränkungen für rumänische Migranten auf dem Arbeitsmarkt oder bei Sozialsystemen habe wenig Auswirkungen auf die Wahl eines Ziellandes und führen eher zu einer Ausweitung informeller Beschäftigung als zu weniger Migration.
Mechanismen der Arbeitsvermittlung, bis hin zu Menschenhandel, kann sich das Problem verschärfen (Lorenz 2010, DGB 2012). Dann treten schnell Situationen ein, in denen rumänische EU-Bürger auch in Deutschland und auch auf dem regulären Arbeitsmarkt unter unwürdigen und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen zu leiden haben. Die Grenzen zwischen Illegalität, Informalität und dem formalen Wirtschaftskreislauf sind dabei fließend. Die deutsche Fleischindustrie ist ein in diesem Zusammenhang in den Medien oft zitiertes Beispiel. Aber auch in den Sektoren, in denen statistisch gesehen viele Rumänen tätig sind, wie dem Bausektor oder dem Gastronomiegewerbe, treten solche Probleme auf.
Schlussbemerkung
Wie groß die Zahl der Rumänen ist, die unter illegalen oder ausbeuterischen Bedingungen in den Gastländern arbeiten und leben müssen, ist nicht zu ermitteln. Dass ausbeuterische und illegale Beschäftigung mittel- und osteuropäischer Migranten in Deutschland auftreten, ist inzwischen dokumentiert (DGB 2012). Bekannt ist auch, dass in den drei wichtigsten Zielländern für rumänische Migranten eine ausgeprägte Schattenwirtschaft existiert: für Deutschland wird sie auf 13 Prozent, für Italien auf 21 Prozent und Spanien auf 19 Prozent des BIP geschätzt (AT Kearney 2013). In einer Umfrage in Rumänien unter zurückkehrenden Migranten aus verschiedenen EU-Ländern gaben 58 Prozent der Befragten an, formal beschäftigt und einen legalen Aufenthaltsstatus gehabt zu haben. Bei den übrigen waren Aufenthaltsstatus und/ oder Beschäftigung ganz oder teilweise irregulär (Stanculescu/Stoicu 2012).
Wie so oft, wenn in Deutschland von »Missbrauch sozialer Leistungen«, »Armutszuwanderung« und »Sozialtourismus« geredet wird, sprechen die Fakten eine andere Sprache. Die Ausführungen haben gezeigt, dass rumänische Staatsbürger in Deutschland zu den vergleichsweise qualifizierten und gut integrierten Zuwanderungsgruppen gehören. Missbrauch ist bislang vor allem an einer Stelle nachweisbar: dort, wo einige Kräfte in Deutschland die Probleme der Kommunen und Migranten für kurzfristige politische Geländegewinne benutzen.
Freizügigkeitsbeschränkungen abwegig Dort, wo sich Probleme konzentrieren, können die Kapazitäten von Kommunen und Regulierungsbehörden schnell an Grenzen stoßen. Neben der Hilfe für Kommunen ist die Beendigung ausbeuterischer und unwürdiger Arbeits- und Lebensbedingungen das wichtigste Handlungsfeld. Zahlreiche Lösungsansatze sind inzwischen identifiziert, beispielsweise die Einrichtung eines Rechtsanspruchs auf Integrationskurse, verschiedene Instrumente zur Eindämmung prekärer Beschäftigung und zur besseren Durchsetzung von Arbeitsstandards, die Schaffung eines Kompetenzzentrums auf Bundesebene zur Klärung von Krankenversicherungsansprüchen für EU-2 Bürger, finanzielle Unterstützung für Sprachkurse
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Literatur ASMK (2013): Abschlussbericht der Bund-Länder Arbeitsgemeinschaft »Armutswanderung aus Osteuropa«. Freie und Hansestadt Hamburg. In: Ergebnisprotokoll der 90. Arbeits- und Sozialministerkonferenz 2013 am 27./28. November 2013 in Magdeburg. S. 140-188. AT Kearney (2013): The Shadow Economy in Europe 2013. AT Kearney Korea. Ban, Cornel (2012): Economic Transnationalism and its Ambiguities: The Case of Romanian Migration to Italy. International Migration. Volume 50. Issue 6, pages 129–149, December 2012. BMAS (2013): Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke u.a. und der Fraktion DIE LINKE betreffend »Soziale Rechte bulgarischer und rumänischer EU-Bürgerinnen und Bürger in Deutschland«. BT-Drs 18/73. Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Berlin. 19. Dezember 2013. Deutscher Städtetag (2013): Positionspapier des Deutschen Städtetages zu den Fragen der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien. Berlin. 22.01.2013. DGB (2012): Grenzenlos faire Mobilität? Zur Situation von mobilen Beschäftigten aus den mittel- und osteuropäischen Staaten. Projekt Faire Mobilität des DGB-Bundesvorstands. Berlin. September 2012. European Commission (2012): Report of the Commission to the Council on the Functioning of Transitional Arrangements on the Free Movement of Workers from Bulgaria and Romania. 11.11.2011. Brussels. Giulietti, Corrado / Guzi, Martin / Kahanec, Martin / Zimmermann, Klaus F. (2011): Unemployment Benefits and Immigration: Evidence from the EU. IZA Discussion Paper No 6075. Institut zur Zukunft der Arbeit. Bonn. IAB (2013a): Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien vor der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung. 23. Dezember 2013. IAB (2013b): Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien. Arbeitsmigration oder Armutsmigration. IAB-Kurzbericht 16/2013. Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. DIW (2013): »Zuwanderung und Beschäftigung«. DIW Wochenbericht Nr. 39 2013. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Berlin. Kahanec, Martin (2012): Labor Mobility in an Enlarged European Union. IZA Discussion Paper No. 6485. April 2012. Institut Zukunft der Arbeit. Bonn. Lorenz, Frank (2010): Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit in der Europäischen Union: rechtliche Rahmenbedingungen und politischer Handlungsbedarf ; Expertise im Auftrag des Gesprächskreises Migration und Integration der Friedrich-Ebert-Stiftung . Bonn. Friedrich-Ebert-Stiftung. OECD (2013a): »Romania«. In: International Migration Outlook 2013. OECD Publishing. Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Paris. Rolfe, Heather / Fic, Tatiana / Lalani, Mumtaz / Roman, Monica / Prohaska, Maria / Doudeva, Liliana (2013): Potential Impacts on the UK of future migration from Bulgaria and Romania. National Institute of Economic and Social Research. London. Sandu, Dimitru et al. (2006): Locuirea Temporara in Strainatate. Migratia Economica a Romanilor: 1990-2006. Bucuresti. Noiembrie 2006 Stanculescu, Manuel Sofia / Stoiciu, Victoria (2012): Impactul crizei economice asupra migratiei fortei de munca din Romania. Ed. Paidea. Bucuresti. Tilea, Brindusa / Vasile, Valentina / Tilea, Ioan (2013): Labour Force Mobility and Emplyoment Crisis in Health Care Sector in Romania. In: Romanian Journal of Economics. Issue 1(45)/2013. S. 30-53. ZEIT (2014): Rumänische Einwanderer im weißen Kittel. 8. Januar 2014. http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-01/infografik-aerzte-ausland
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Über die Autoren
Impressum
Matthias Jobelius ist Landesvertreter der Friedrich-EbertStiftung in Rumänien und der Republik Moldau.
Friedrich-Ebert-Stiftung | Referat Mittel- und Osteuropa Hiroshimastr. 28 | 10785 Berlin | Deutschland
Victoria Stoiciu ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien mit den Schwerpunkten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Verantwortlich: Dr. Reinhard Krumm, Leiter, Referat Mittel- und Osteuropa Tel.: ++49-30-26935-7726 | Fax: ++49-30-26935-9250 http://www.fes.de/international/moe Bestellungen: [emailprotected] Eine gewerbliche Nutzung der von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) herausgegebenen Medien ist ohne schriftliche Zustimmung durch die FES nicht gestattet.
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ISBN 978-3-86498-779-3
VIII. Presseschau 1. Kanada als Vorbild beim Zuwanderungsgesetz Die Welt, 03.03.2015 Sozialdemokraten stellen Pläne für umstrittene Neuregelung vor. Einführung eines Punktesystems soll geprüft werden. Treibt Fraktionschef Oppermann damit die Union auseinander? MANUEL BEWARDER UND MARTIN LUTZ Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann will die zahlreichen Vorschriften für Ausländer nach Informationen der "Welt“ in einem Zuwanderungsgesetz bündeln. Mehr als 50 verschiedene Aufenthaltstitel seien bisher über mehrere Gesetze verstreut. Deshalb schlägt Oppermann in einem Positionspapier vor, die verschiedenen Vorschriften in einem Gesetz zusammenzufassen. Davon soll ein starkes Signal ausgehen, dass Deutschland um gut ausgebildete junge Zuwanderer wirbt. Am heutigen Dienstag soll es von der Bundestagsfraktion beschlossen werden. Oppermann sieht demnach in der drohenden Überalterung die derzeit größte Gefahr für die Volkswirtschaft. Es sei unklar, ob der Zuzug aus den von der Wirtschaftskrise betroffenen europäischen Staaten auch in Zukunft anhalten werde. Die Zahl der Erwerbstätigen müsse daher mithilfe der Öffnung des Arbeitsmarktes erhöht werden: Dafür müssten im Inland mehr Frauen in Arbeit gebracht und die Zahl der Auszubildenden gesteigert werden. Zusätzlich sei jedoch eine gelenkte Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte notwendig. Das Positionspapier, das in den vergangenen Wochen zunächst in einer Arbeitsgruppe der Fraktion erarbeitet wurde, spricht sich dafür aus, sorgfältig die Einführung eines Punktesystems auf Basis der sogenannten Blauen Karte der EU zu prüfen. Damit könnte die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt nach Kriterien wie Alter, Ausbildung oder Sprachkenntnissen gesteuert werden. Deutschland müsse mehr Wert auf die Qualifikation als auf die Herkunft eines. Einwanderers legen, heißt es. Als ein Vorbild führt die SPD das kanadische Punktesystem an. Dieses ermittelt zum einen die jeweilige Qualifikation eines Bewerbers. Auf der anderen Seite erhöht es die Chancen für Zuwanderer, die sich für Branchen mit einer hohen Nachfrage interessieren. Oppermann war Mitte Februar nach Toronto und Ottawa gereist, um sich vor Ort zu informieren. Kanadas Einwanderungsminister Chris Alexander hatte dabei auch die jüngste Reform vorgestellt, das Express Entry System. Mit diesem vollständig elektronischen Bewerbungssystem soll die Verfahrensdauer für die Bearbeitung eines Antrags auf maximal sechs Monate verkürzt werden. Früher lag sie oftmals bei mehr als zwei Jahren. Die kanadische Bewerberdatenbank wird in dem Fraktionspapier als Beispiel angeführt. Für die Zahl der Arbeiter, die über ein Punktesystem nach Deutschland kommen dürften, bringt
die SPD nun eine jährliche Quote ins Gespräch, mit der sie zunächst gedeckelt werden könnte. Nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe sollte die Aufenthaltserlaubnis drei Jahre zunächst nicht überschreiten. Außerdem könnte das Punktesystem zunächst befristet starten und nach einer Pilotphase evaluiert werden. Der Vorschlag sieht nach Informationen der "Welt“ ferner vor, dass gut ausgebildete Menschen, die erst einmal als politisch Verfolgte nach Deutschland kommen, leichter arbeiten können. Flüchtlinge aus Bürgerkriegsstaaten wie Syrien, die vermutlich langfristig hierzulande bleiben, sollten zügiger an Sprachund Integrationskursen teilnehmen. Unterstützung signalisiert die SPD für die Forderung der Handwerkskammer, jungen Asylsuchenden den Aufenthalt in Deutschland bis zum Abschluss der Ausbildung zu ermöglichen. Die Fraktion will sich zudem dafür einsetzen, dass ausländische Abschlüsse schneller und gerechter anerkannt werden, damit die Zuwanderer entsprechend ihrer in den Herkunftsländern erworbenen Qualifikation eingestellt werden können. Im Ausland sollten auch mehr deutsche Schulen eröffnet werden sowie die Zahl der Sprachkurse an GoetheInstituten erhöht werden. Die Sozialdemokraten plädieren dafür, dass mehr ausländische Studenten die deutsche Hochschulen gezogen werden solle und diese nach dem Abschluss in der Bundesrepublik bleiben. Mit dem Positionspapier will die Fraktion eine Debatte über die Einwanderungspolitik anstoßen. Sie spricht sich für eine gezielte Steuerung aus, die aus ihrer Sicht langfristig mehr Vor- als Nachteile bringen würde. Die Einführung eines Zuwanderungsgesetzes ist umstritten. Während sich CDU-Generalsekretär Peter Tauber Anfang Januar dafür aussprach und mittlerweile vor allem von jüngeren Politikern seiner Partei unterstützt wird, lehnen führende Vertreter wie Unionsfraktionschef Volker Kauder oder Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) ein solches Vorhaben strikt ab. Auch die CSU hat der Forderung nach einem eigenen Gesetz eine Absage erteilt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich noch nicht eindeutig positioniert. Grüne und Linke befürworten ähnlich wie Oppermann eine Neuregelung der Zuwanderung von Arbeitskräften. Die SPD könnte den Koalitionspartner mit dem Fokus auf den künftigen Arbeitskräftemangel ärgern. In der Union stehen nach dem Vorpreschen der SPD in den kommenden Wochen weitere interne Diskussionen über die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes an. Peter Tauber bekommt nämlich nicht nur Gegenwind. Der Vorsitzende der Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann (CDU), sagte bereits vor Wochen, die angestoßene Debatte über ein Einwanderungsgesetz dürfe "nicht im Keim erstickt werden“. Der Fachkräftemangel werde künftig besonders für Familienunternehmer auf dem Land zum Problem. Am Sonntag beschloss zudem die Gruppe CDU 2017, der mehrere Dutzend jüngere Politiker aus Bundestag und Landtagen angehören, ein Forderungspapier, das ausdrücklich eine Neuregelung der Zuwanderung und verstärkte Anstrengungen bei der Integration verlangt. Der Gruppe gehören unter anderem das CDU-Bundesvorstandsmitglied Jens Spahn und der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Günter Krings (CDU), an. Sie widersprechen Äußerungen der Unionsfraktionsführung, der CSU und des Innenministers, die innerparteiliche Debatte über ein Einwanderungsgesetz sei beendet, weil es keinen Neuregelungsbedarf gebe.
In dem Papier, über das die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, heißt es unter anderem: Deutschland sei "seit jeher“ ein Einwanderungsland gewesen. Weil in erheblichem Maße Einwanderung gebraucht werde, sollten die Bestimmungen nun überarbeitet und zusammengefasst werden. Konkret wird eine verstärkte Bemühung um qualifizierte Arbeitskräfte und Studenten aus dem Ausland gefordert. Die Autoren legen sich nicht auf ein Modell zur Zuwanderung wie etwa das kanadische Punktesystem fest. Sie schlagen etwa vor, für die Anwerbung von Hochqualifizierten das vorgeschriebene Mindestgehalt teilweise abzusenken und ausländischen Studenten nach dem Studienabschluss einen längeren Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Zudem sollten deutsche Schulen im Ausland ausgebaut und die Zahl der Länder erhöht werden, aus denen eine visumfreie Einreise nach Deutschland möglich ist. Ausdrücklich werden verstärkte Anstrengungen zur Integration gefordert. Es sei "erschreckend“, dass die Hälfte aller Zuwanderer weniger als ein Jahr in Deutschland bleibe, heißt es. "Wir dürfen die Fehler nicht wiederholen, die wir bei den Gastarbeitern gemacht haben“, mahnte auch Spahn. Krings machte deutlich, dass es ihm auch um eine stärkere Regelung der Zuwanderung gehe. "Wir sollten die ungesteuerte Zuwanderung in die Sozialsysteme stärker begrenzen und stattdessen klare Regeln und eine bessere Willkommenskultur für die Einwanderung gut qualifizierter Fachkräfte schaffen.“ (c) AxelSpringer AG, Berlin
2. Oh, wie schön ist Kanada Taz, 03.03.2015 INTEGRATION Mit einem Einwanderungsgesetz wollen junge CDU-Politiker in die Offensive kommen BERLIN taz Alle lieben Kanada. Noch vor Ostern will CDU-Generalsekretär Peter Tauber nach Ottawa reisen, um sich über die kanadischen Einwanderungsgesetze zu informieren, kündigte er am Montag an. Er folgt damit SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, der sich bereits im Februar in Kanada das dortige Punktesystem für Einwanderer erklären ließ. Nach seiner Reise will Tauber im CDU-Präsidium und anderen Parteigremien über ein Einwanderungsgesetz für Deutschland beraten lassen. Anfang Januar hatte sich der CDU-General mit dieser Idee noch eine Abfuhr von seinen Parteigranden geholt. Rückenwind erhält Tauber aber nun von rund 60 jüngeren Unionspolitikern aus Bund und Ländern, die sich in der Initiative "CDU 2017" zusammengeschlossen und am Sonntag in Berlin getroffen haben. In einem 10-Thesen-Papier fordern sie jetzt unter anderem ein "klares, transparentes und leicht verständliches Einwanderungsgesetz“ um bestehende Regelungen zu bündeln und "ein Signal der Offenheit“ auszusenden. Denn "Deutschland ist von jeher ein Einwanderungsland“ heißt es in dem Thesenpapier.
Die Autoren fordern stärkere Bemühungen um qualifizierte Arbeitskräfte und Studenten aus dem Ausland. Weniger offen zeigen sie sich gegenüber abgelehnten Asylbewerbern, die "konsequent und schnell abgeschoben werden“ müssten. Zu den Unterzeichnern des Manifests "CDU 2017“ gehören der hessische Bundestagsabgeordnete Jens Spahn, der außenpolitische Sprecher der Union, Philipp Mißfelder, und die türkischstämmige Landtagsabgeordnete Serap Güler aus Nordrhein-Westfalen; Vor allem Jens Spahn macht kräftig Dampf. Nach der herben Wahlniederlage der CDU in Hamburg Mitte Februar hatte er seiner Partei empfohlen, sich bei den Themen Zuwanderung, Asyl, Integration und Islam klarer zu positionieren. "All das beschäftigt die Menschen vor Ort enorm" sagte das CDU-Präsidiumsmitglied damals. Seitdem äußert sich Jens Spahn fast stündlich zu diesen Themen. In einem Spiegel-Interview warnte der 34-Jährige vor "importiertem Antisemitismus“ und Homophobie unter Muslimen und gab sich markig: "Wer unsere offene Gesellschaft für verdorben und verweichlicht hält oder wer in einem Gottesstaat leben will, dem kann ich einfach nur sagen: Geh und such dir ein anderes Land!" Und nachdem in Österreich kürzlich strengere Regeln für die muslimischen Gemeinden des Landes erlassen wurden, pries Spahn diese als Vorbild für Deutschland. Auch hierzulande müsse "eine Finanzierung von Moscheen und Imamen aus dem Ausland“ gesetzlich unterbunden werden, forderte er. Imame, die aus der Türkei nach Deutschland geschickt und bezahlt würden, seien ein Hindernis für die Integration. Auch dem Aufruf von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Imame in deutschen Moscheen sollten auf Deutsch predigen, schloss sich Spahn an. Am Dienstag will die SPD ihre Pläne für ein Einwanderungsgesetz vorstellen. SPDFraktionschef Thomas Oppermann schwebt ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild vor. Es soll sich nach Kriterien wie Alter, Ausbildung, Sprachkenntnissen sowie dem Fachkräftebedarf in Deutschland richten, um die Zuwanderung von Arbeitnehmern aus Staaten außerhalb der Europäischen Union (EU) zu steuern. CDU-Generalsekretär Peter Tauber gab sich dazu am Montag zugeknöpft: "Ich bin nicht sicher, dass das, was die SPD vorlegen wird, unsere Zustimmung findet.“ Man werde sich vom Koalitionspartner nicht unter Druck setzen lassen. "Wir haben keine Eile“, so Tauber. Daniel Bax (c) die tageszeitung-Verlagsgenossenschaft eG, Berlin
3. Aus der ganzen Welt Tagesspiegel, 20.02.2015 Immer mehr Menschen wandern in die Bundesrepublik ein - aus den unterschiedlichsten Gründen. Wer lebt in Deutschland? Von M. Amjahid, A. Dernbach, und L. Haverkamp Wie viele Menschen sind im letzten Jahr nach Deutschland eingewandert? Und wie viele sind ausgewandert?
Die Zuwanderung nach Deutschland steigt. Im ersten Halbjahr 2014 kamen 667 000 Personen in die Bundesrepublik, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte. Das waren 112 000 Zuzüge mehr als in der ersten Jahreshälfte 2013. Im Gesamtjahr 2013 waren rund 1,2 Millionen Menschen aus dem Ausland nach Deutschland gezogen. Das war die höchste Zahl an Zuwanderern seit 20 Jahren. Nach Darstellung des Statistikamtes belief sich die Zahl der Fortzüge aus der Bundesrepublik im ersten Halbjahr 2014 auf etwa 427 000. Demnach zogen 240 000 Personen mehr zu als fort. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2013 erhöhte sich dieser sogenannte Wanderungssaldo um 17 Prozent; damals zogen 206 000 Personen mehr zu als fort. Aus welchen Ländern kommen die Zuwanderer nach Deutschland? Auch wenn Flüchtlinge aus Nahost, Afrika und Asien die Nachrichten beherrschen: Der weitaus größte Teil derer, die nach Deutschland kommen, sind wie seit vielen Jahren Europäer. Im ersten Halbjahr 2014 waren 78 Prozent der Einwanderer mit einem ausländischem Pass Europäer, also 476 000 von 611 000. 85 Prozent von ihnen waren Bürger der Europäischen Union. Rumänen waren mit 98 000 Personen die größte Gruppe der Neuen, gefolgt von Menschen aus Polen, Bulgarien und Italien. Der Zuzug aus Italien hat sich, anders als der aus den südeuropäischen Krisenländern Griechenland und Spanien, erneut verstärkt, er kletterte um 28 Prozent auf 34 000. Der aus Spanien stieg nur um ein Prozent, aus Griechenland verminderte er sich sogar um sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr. Syrer machten erneut die größte Gruppe unter den Nichteuropäern aus: 22 000 von ihnen, die Mehrzahl Bürgerkriegsflüchtlinge, erreichten Deutschland in der ersten Hälfte von 2014. Im ersten Halbjahr 2013 waren es 15 000. Welches Aufenthaltsrecht haben sie? Für den Löwenanteil der Einwanderer, also jene, die die Staatsangehörigkeit eines EUMitglieds haben, genügt ihr Pass: Sie sind Deutschen praktisch gleichgestellt, dürfen nach Deutschland wie in jeden anderen EU-Staat kommen und bleiben; auch eine Arbeitserlaubnis brauchen sie nicht. Nur wer nicht arbeitet - etwa weil er oder sie Rente bezieht oder studiert -, muss nach drei Monaten eine Krankenversicherung und ausreichend Geld nachweisen, um ohne staatliche Hilfe zu überleben. Wer von außerhalb der EU auf Dauer kommen will, braucht dafür einen "Aufenthaltstitel". Er wird je nach Zweck des Aufenthalts - zum Beispiel Studium oder Arbeit - erteilt. Flüchtlinge durchlaufen ein Asylverfahren. Das waren im vergangenen Jahr 203 000 Menschen (Erstanträge), für 2015 rechnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit 250 000 Erstund 50 000 Folgeanträgen. Aber auch wer kein Asyl erhält, muss Deutschland nicht immer verlassen. Wer etwa zu krank für eine Abschiebung ist oder in seiner Heimat mit Verfolgung rechnen muss, erhält eine sogenannte Duldung, die aber keine Sicherheit auf Dauer gibt. Die Zahl der Abschiebungen steigt. Warum? Im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Union war vorgesehen, die Situation dieser mehreren zehntausend Geduldeten zu verbessern: Wer als Alleinstehender acht oder als Familie mit minderjährigen Kindern sechs Jahre in Deutschland verbracht hatte und weitgehend selbst für sich sorgen konnte, sollte bleiben dürfen. Eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hat jetzt für das vergangene Jahr eine deutlich höhere Zahl von Abschiebungen zutage gefördert: Demnach
wurden 10 884 Menschen ins Ausland abgeschoben. Im Jahr zuvor waren es noch 10 198 gewesen, in den Jahren 2009 bis 2012 stets unter 8000. Betroffen waren davon in den meisten Fällen Menschen aus Serbien, Mazedonien und Kosovo. Mehr als ein Drittel der Abschiebungen ging in andere EU-Staaten, das heißt, die Asylbewerber wurden nicht abgelehnt, sondern Deutschland sah sich nicht zuständig. Nach den sogenannten DublinRegeln ist der Staat für das Asylverfahren zuständig, den ein Asylsuchender zuerst betritt. Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke sieht darin einen neuen Beweis für die mangelnde Funktionsfähigkeit des Dublin-Systems. Um es durchzusetzen, würden jährlich tausende Menschen inhaftiert und abgeschoben. "Statt ihre Asylanträge zu prüfen, werden sie wie Verbrecher behandelt", erklärte sie. Worum geht es in der aktuellen Debatte um ein Einwanderungsgesetz? Seit CDU-Generalsekretär Peter Tauber das Stichwort Anfang Januar nannte, debattieren alle Parteien darüber. Aus der Union kamen, bis hin zum Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), vor allem deutliche Absagen. Schließlich gibt es ein entsprechendes Gesetz genau genommen bereits seit zehn Jahren: das "Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern". Jenseits semantischer Unterschiede - Zu- oder Einwanderung? - böte ein neues Gesetz die Möglichkeit, dass Deutschland sich damit klar zu Einwanderung bekennen könnte, und zwar nicht nur zu deren "Begrenzung", wie es im Titel des geltenden Texts heißt. Auch für die Steuerung gibt es inzwischen Vorschläge: SPD und Grüne, ebenso wie die nicht mehr im Bundestag vertretene FDP, setzen auf ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild, das Bildung und Berufsabschlüsse, Sprachkenntnisse und gesuchte Qualifikationen prämiert. Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass Kanada inzwischen eher auf deutsche Regeln zusteuere, nachdem man erkannt hat, dass viele Neubürger - etwa wegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt - gar nicht in den Berufen arbeiten, für die man sie ins Land holte. Für die Flüchtlingspolitik übrigens wäre ein Einwanderungsgesetz am wenigsten nötig. Die meisten Pflichten Schutzsuchenden gegenüber sind in internationalen Vereinbarungen und im Grundgesetz festgeschrieben. Wie gehen die Deutschen mit der größer werdenden Einwanderung um? Das jüngste "Eurobarometer" im Auftrag der EU-Kommission beschäftigt sich auch mit der Akzeptanz der EU-Bürger in Sachen Einwanderung. Demnach sind 61 Prozent der Deutschen gegen eine Einwanderung aus Nicht-EU-Ländern. Eine Mehrheit bezeichnet die steigenden Einwanderungszahlen als "das wichtigste Problem in Europa". Die Hälfte der Deutschen sieht auch die Migration innerhalb der Europäischen Union negativ. Im EU-Durchschnitt sind die Deutschen damit etwas kritischer als der Rest. Rund 57 Prozent der EU-Bürger machen sich Sorgen. Zum Vergleich: 79 Prozent der Letten lehnen eine weitere Einwanderung ab, in Schweden sind es dagegen nur 25 Prozent. Nach den Anschlägen in Paris und Kopenhagen wird befürchtet, dass viele Juden nach Israel auswandern. Wie ist die aktuelle Lage? Das israelische Ministerium für die Aufnahme von Einwanderern führt Statistiken zum Zuzug von Juden aus der ganzen Welt. Aus Deutschland sind demnach im Jahr 2014 genau 136 Juden
nach Israel ausgewandert. Die israelische Botschaft in Berlin kann auf Tagesspiegel-Anfrage aber nur den Wegzug von 71 jüdischen Deutschen bestätigen. In Frankreich geht es da um ganz andere Dimensionen. Das Land hat mit mehr als 600 000 Juden die größte jüdische Bevölkerungsgruppe in Europa. Im vergangenen Jahr sind laut israelischer Regierung exakt 6658 französische Juden nach Israel ausgewandert. "Für 2015 erwarten wir bis zu 15 000 neue israelische Staatsbürger, die aus Frankreich zu uns kommen", sagt Avi Mayer, Sprecher der Jewish Agency in Jerusalem. Sie kümmert sich weltweit um die Organisation und um die Öffentlichkeitsarbeit der jüdischen Einwanderung nach Israel. Diese und weitere Prognosen zur jüdischen Emigration für die nächsten zwei bis drei Jahre werden in Europa kontrovers diskutiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Frankreichs Staatspräsident François Hollande und die dänische Ministerpräsidentin Helle ThorningSchmidt riefen in den vergangenen Tagen und Wochen die Juden in ihren Ländern mehrfach zum Bleiben auf. Auch viele jüdische Gemeindemitglieder sehen den politischen Aufruf zur Auswanderung kritisch. Rabbiner Margolin ist Vorsitzender der European Jewish Association mit Sitz in Brüssel und der Überzeugung, dass der Aufruf zur Aliyah (die Heimkehr nach Israel) keine Lösung für das Sicherheitsproblem für die Juden in Europa sein kann. "Die meisten Juden wollen nämlich bleiben", sagt Margolin. "Ich glaube nicht an die Zahl 15 000." ***** [STATISTIK] 1992 kamen die meisten Zuwanderer in die Bundesrepublik: 1 502 198 Menschen (Quelle: destatis) Mit rund 144 Ausländern pro 1000 Einwohner leben die meisten Ausländer in Berlin und Hamburg (Stand: 31. Dezember 2013, Quelle: destatis) 22 Milliarden zahlen Ausländer mehr an Steuern und Abgaben, als sie vom Staat bekommen (Zahlen für 2012, Quelle: Bertelsmann Stiftung) 80,82 Millionen Menschen leben in Deutschland - darunter 7,11 Millionen Nichtdeutsche (Stand: 10. April 2014, Quelle: destatis) Im Jahr 2015 kommen 300 000 Asylbewerber - 50 Prozent mehr als im Vorjahr (Quelle: BAMF) (c) Verlag Der Tagesspiegel GmbH, Berlin
4. "Nach fünf Jahren gibt es den Pass als Belohnung" Kölner Stadtanzeiger, 17.02.2015 CDU-Präsidiumsmitglied Emine Demirbüken-Wegner fordert eine neue Einwanderungspolitik und mehr Verständnis für den Islam Die Debatte um Flüchtlinge und Zuwanderer ist von viel Unsicherheit geprägt. Union und SPD erwägen ein neues Einwanderungsgesetz. CDU-Präsidiumsmitglied Emine DemirbükenWegner, die erste türkischstämmige Frau in der Parteispitze, plädiert für einen neuen Politikansatz. Frau Demirbüken-Wegner, braucht Deutschland ein neues Einwanderungsgesetz? Wir brauchen kein neues Einwanderungsgesetz. Allerdings sind die jetzigen Regelungen nicht ausreichend integrationsfördernd. Also müssen wir sie deutlich nachjustieren. Diskutiert wird ein Punktesystem. Ein klassisches Punktesystem ist für Deutschland nicht geeignet. Dabei wird ja vor allem die Qualifikation zum Maßstab gemacht: Besonders Hochqualifizierte bekommen mehr Punkte. Der deutsche Arbeitsmarkt hat aber ganz unterschiedlichen Bedarf: Wir brauchen nicht nur Akademiker die ja jetzt schon kommen können -, sondern auch Pflegepersonal, Handwerker, Industriefachkräfte und Reinigungskräfte, also Leute mit mittleren oder niedrigen Abschlüssen. Ich plädiere also für ein dynamisches Mischsystem, bei dem der aktuelle Arbeitsmarktbedarf berücksichtigt wird. Das müsste jährlich angepasst werden - sonst haben wir irgendwann lauter Akademiker hier in Deutschland, die dann gar keinen Job haben. Schon jetzt gibt es ja die Blue-Card-Regelung für Fachkräfte. Das ist ein erfolgreiches Modell. Leider wird damit innerhalb von Europa viel zu wenig geworben. Überall ist zu hören, dass ausländische Fachkräfte willkommen sind. Aber das wird nicht aktiv vermittelt. Diesen Fachkräften sollte die deutsche Staatsbürgerschaft verbindlich unter Einhaltung rechtlicher Vorgaben - in Aussicht gestellt werden. Kanada, Schweden und Australien sind da Vorbild. Bislang kann man nach acht Jahren Aufenthalt in Deutschland die Einbürgerung beantragen. Da gehe ich einen Schritt weiter: Wir sollten zugewanderten Fachkräften und Flüchtlingen einen Fünfjahresplan anbieten-mit dem Ziel, deutscher Staatsbürger zu werden. Nach fünf Jahren gibt es für alle Flüchtlinge einen deutschen Pass? Nein, nicht für alle. Wenn ein Flüchtling innerhalb von fünf Jahren einen Arbeitsplatz nachweisen kann oder eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat, wenn er keine staatlichen Hilfen mehr in Anspruch nimmt, wenn er oder sie gut Deutsch gelernt hat und die Kinder in der Schule mitkommen, wenn jemand also in Deutschland geerdet ist, sollten wir sagen können: Du bekommst den deutschen Pass! Glauben Sie mir: Das werden die besten Patrioten, die man sich überhaupt vorstellen kann. Das ist Willkommenskultur. Das ist Integration von Stunde null an. Bislang sehen Sie die noch nicht so? Wir haben bislang den Fehler gemacht, nur auf Probleme zu reagieren, aber nicht zu agieren. Das einzige Agieren war das Anwerbeabkommen für
Gastarbeiter vor mittlerweile über 50 Jahren. Alles danach war nur noch eine Reaktion. Wir reagieren auf schlechte Sprachstandsmessungen bei Kita-Kindern, auf miserable Bildungstests bei Schülern, auf tendenziöse Vermittlung von Religionsinhalten, auf gesellschaftliche Radikalisierungen, die das Anschlagsrisiko schüren. Wir müssen wieder die Handelnden werden! Ich vermisse da ganz klar den preußischen Geist. Den preußischen Geist? In der Phase der Industrialisierung herum kamen Zuwanderer, für die wurden Arbeit, Wohnungen, Bildungseinrichtungen und Möglichkeiten für die Religionsausübung geschaffen. Bereits Friedrich der Große hat gesagt: "Wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land bevölkern, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.“ Schauen Sie sich mal diese Weitsicht an und vergleichen Sie das mit der aktuellen Diskussion. In der geht es viel darum: Wer zahlt für die Flüchtlinge? Es ist falsch, nur ans Heute zu denken. Wenn wir heute nicht in diese Menschen investieren, wird in der Zukunft alles viel teurer. Es geht doch darum, drei oder vier Jahre in einen Menschen zu investieren. Im Gegenzug bekommen wir 20, 30 oder sogar 40 Jahre an Leistung: Arbeitskraft, Steuerzahlungen, Sozialversicherungsbeiträge. Damit ist unsere Zukunft gesichert, die Alterspyramide wird wieder ein wenig breiter. Diese Weitsicht brauchen wir. Die Integrationspolitik muss sich doch auch am Morgen orientieren. Warum löst das Stichwort Islam bei vielen offenbar Ängste aus oder zumindest Unsicherheit? Das hat viel mit Versäumnissen zu tun. Wenn man mit dem Islam offensiver umgegangen wäre, als vor 50, 60 Jahren die Gastarbeiter kamen, hätten wir heute eine andere Atmosphäre. Wir brauchen islamischen Religionsunterricht an den Schulen, staatlich geprüft und in deutscher Sprache; an Hochschulen müssen wir unter anderem dafür Lehrstühle einrichten. Und wir müssen über den Islam zunehmend in einen objektiven, breiten öffentlichen Dialog kommen. Was meinen Sie damit? Der Islam ist fast immer nur dann Thema, wenn etwas Schreckliches passiert - wenn es einen Anschlag gibt, wenn der IS oder Al-Kaida im Namen der Religion mordet. Dadurch entsteht der falsche Eindruck, der Islam stehe für Vernichtung und Krieg. Diesen Eindruck gilt es zu verändern. Das Gespräch führte Daniela Vates Emine Demirbüken-Wegner wurde in Kilis/Türkei geboren und zog als Kind mit ihren Eltern nach Berlin. Sie war Sozialarbeiterin, trat 1995 in die CDU ein, seit 2012 sitzt sie in deren Präsidium. Sie ist Gesundheitsstaatssekretärin in Berlin. (c) M. DuMont Schauberg GmbH & Co. KG, Köln
5. Punkte für Zuwanderer FAZ, 16.02.2015 Von Sven Astheimer Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus. Deshalb braucht es Mut zu neuen Ideen. Deutschland erlebt einen Ansturm an Zuwanderern aus aller Welt. Um rund eine halbe Million - wenn nicht noch mehr - dürfte die Bevölkerung im vergangenen Jahr gewachsen sein dank des Zustroms von außen. Die einen flüchten vor Krieg und Repressalien in ihrer Heimat, andere verbinden mit Deutschland die Hoffnung auf materiellen Wohlstand wie gerade viele tausend Kosovo-Albaner. Gleichzeitig ist die Debatte um ein neues Einwanderungsgesetz entflammt, und die Wirtschaft fordert ohnehin permanent leichteren Zuzug ausländischer Fachkräfte. Ob diese Diskussion jetzt wirklich nötig sei, fragen sich viele. Die pauschale Antwort lautet: ja. Aber es geht hierbei um unterschiedliche Zeithorizonte. Der aktuelle Zulauf von Migranten aus der Europäischen Union ist stark konjunkturgetrieben, und viele werden in ihre Heimat zurückkehren, sobald sich die Wirtschaft dort erholt. Diese Art der Zuwanderung ist als Grundfreiheit innerhalb der EU ebenso wenig Gegenstand der Steuerungsdebatte wie das international geregelte Asylrecht und der Familiennachzug. Gelenkt werden kann nur die Zuwanderung von Arbeitskräften aus Drittstaaten jenseits der EU. Und diese Menschen werden langfristig benötigt. Denn Deutschland steht erst am Anfang eines tiefgreifenden Wandlungsprozesses. Schon heute schrumpft die alternde Erwerbsbevölkerung jährlich um mehr als hunderttausend Personen. Bis zum Jahr 2030 wird die Zahl der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte um rund 5 Millionen sinken. Zwar muss nicht jeder Ruheständler ersetzt werden, weil der technische Fortschritt Tätigkeiten vom Menschen auf die Maschine übertragen wird. Dennoch wäre die Lücke gewaltig, schriebe man heutige Bedingungen fort. Um sie zu schließen, kann an drei Stellschrauben gedreht werden: die Arbeitszeiten verlängern, die Produktivität erhöhen oder mehr Leute einsetzen. Da es nicht den einen Kunstgriff gibt, der alle demographischen Folgen für den Arbeitsmarkt abfedert, muss rechtzeitig ein Bündel von Maßnahmen geschnürt werden. Für mehr Arbeitskräfte braucht Deutschland deshalb ein einfaches und transparentes System, das die passenden Zuwanderer auswählt. Noch immer tun sich aber viele Politiker schwer damit, offen für eine Steuerung der Einwanderung nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes einzutreten. Warum eigentlich? Länder wie Kanada, Australien und Neuseeland betreiben seit Jahrzehnten eine solche Selektion, ohne dass es ihrem Image schadet. Im Gegenteil. Klare Kriterien signalisieren den Kandidaten gleiche Ausgangschancen. Seit der Jahrtausendwende hat sich in Deutschland viel getan. Europas größte Volkswirtschaft verfügt heute über besonders liberale Zuwanderungsregeln für qualifizierte Arbeitskräfte. Doch das haben viele der Umgarnten leider noch nicht gemerkt. Nur jeder zehnte Einwanderer
kommt als Arbeitsuchender ins Land. Die "Blaue Karte EU" für Hochqualifizierte hat sogar nur ein Prozent in der Tasche. Was also ist zu tun? Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat in dieser Zeitung gerade für eine MarketingKampagne über die deutschen Vorzüge geworben. Das ist sicher nicht verkehrt. Doch es wird auf Dauer nicht reichen, Standortreklame via Internet und Werbebroschüre zu betreiben. Wenn Ärzte aus Afrika oder Ingenieure aus Indien sich entschließen, ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft in ein anderes Land zu verlagern, wird deren Entscheidung stark von der Sprache des Ziellandes beeinflusst, aber auch Netzwerke früherer Einwanderer und die Transparenz der Zugangsregeln spielen eine Rolle. Bei der Sprache wird Deutschland gegenüber angelsächsischen Ländern immer im Nachteil sein, Netzwerke lassen sich kaum steuern. Deshalb muss der erste Schritt zu einem einfachen und transparenten Zugang führen. Leider hat die oft oberflächlich geführte Debatte um ein "Punktesystem" den Begriff ideologisch aufgeladen. Dabei lohnt es sich, einmal genauer hinzusehen. In der Urversion erhielt ein Kandidat für Kriterien wie Qualifikation, Alter oder Sprachkenntnisse entsprechende Punkte und durfte ab einem gewissen Schwellenwert automatisch einwandern. Der Grundgedanke war, dass sich ein qualifiziertes Angebot schon seine Nachfrage schafft. Diese Rechnung ging jedoch nicht immer auf, und Immigranten waren oftmals gar nicht oder unter ihrer Qualifikation beschäftigt. Danach wurde der Aufenthaltstitel oft an einen festen Arbeitsplatz gekoppelt. Kanada hat erst zu Jahresbeginn sein Punktesystem in diesem Sinn überarbeitet. Deutsche Politiker sollten endlich den Mut aufbringen, ihre eigenen Erfahrungen mit diesem Ansatz zu machen. Dazu müssen gar nicht die bestehenden Gesetze durch neue ersetzt werden. Denkbar wäre etwa ein Modellprojekt, in dem ein festes Kontingent von Bewerbern mit der nötigen Punktzahl und potentielle Arbeitgeber zusammengebracht werden. Stellt ein Unternehmen einen Kandidaten ein, kann die Zuwanderung erfolgen. Bewährt sich dieses Modell, kann es schrittweise ausgebaut und angepasst werden. Die Signalwirkung wäre kaum zu überschätzen. Andernfalls läuft das Projekt einfach aus. Weil viel auf dem Spiel steht, ist so ein Modell auf jeden Fall einen Versuch wert. (c) Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main
6. 50 Bestimmungen des Aufenthaltszwecks Die Welt, 16.02.2015 Streit über neues Punktesystem in der Einwanderungspolitik spaltet die Union. Kritik an Bürokratie Dorothea Siems Der Union gelingt es nicht, in der Zuwanderungsdebatte eine einheitliche Linie zu finden. Trotz der deutlichen Absage von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wird parteiintern der Ruf nach einer Reform des Aufenthaltsrechts immer lauter. Der CDU-Wirtschaftsrat präsentiert in einem Positionspapier, das der "Welt" vorliegt, einen konkreten
Forderungskatalog für die Asyl- und Einwanderungspolitik. Die große Koalition sollte ihre breite parlamentarische Mehrheit nutzen, um bis zur Sommerpause im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe ein Zeichen zu setzen. "Wir müssen uns endlich mit allen Konsequenzen dazu bekennen, dass wir ein Einwanderungsland mit einer echten Willkommenskultur sind", fordert die unionsnahe Wirtschaftsvereinigung. Das bürokratische und historisch gewachsene deutsche Aufenthaltsrecht müsse durch ein zeitgemäßes und unbürokratisches Einwanderungsrecht ersetzt werden, heißt es in dem Papier: "Wir müssen jetzt den Übergang zu einem vor allem bedarfsorientierten Punktesystem schaffen und dieses mit den heutigen digitalen Möglichkeiten kombinieren." Der Wirtschaftsrat kritisiert das bestehende Aufenthaltsrecht als viel zu bürokratisch. So gebe es derzeit 50 verschiedene Bestimmungen des Aufenthaltszwecks zum Erhalt eines Aufenthaltstitels. Hier sei eine Vereinfachung dringend geboten. Überdies zielten die in den vergangenen Jahren beschlossenen Erleichterungen zumeist nur auf Akademiker. Benötigt würden jedoch auch ausgebildete Fachkräfte in anderen Berufen, beispielsweise im Gesundheitswesen, im Handwerk oder in der mittelständischen Industrie. "Die Verengung auf akademische Berufe muss deshalb umgehend aufgegeben werden", verlangt der Wirtschaftsrat. Für ausländische Hochschulabsolventen sollte darüber hinaus ein unmittelbares Niederlassungsrecht eingeführt werden. Die CDU-nahe Organisation schlägt zudem vor, die regionalen Unterschiede stärker zu berücksichtigen. Denn gerade in weniger zugkräftigen Regionen Deutschlands, in denen viele der erfolgreichen Mittelständler angesiedelt seien, spitze sich der Fachkräftemangel immer stärker zu. Deutschland zieht derzeit so viele Zuwanderer an wie seit 20 Jahren nicht mehr. 2013 zogen rund 430.000 Personen mehr ins Land als umgekehrt auswanderten. Drei von vier Migranten kamen aus anderen EU-Ländern im Zuge der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Aus Drittstaaten strömen vor allem Flüchtlinge nach Deutschland. Im vergangenen Jahr lag die Zahl der Asylbewerber bei rund 200.000. Die Forderung nach einem Punktesystem, wie es Kanada, Australien oder Neuseeland zur Steuerung der Einwanderung anwenden, zielt auf qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten ab. Seit 2012 können sie in Deutschland die "Blaue Karte EU" erhalten, wenn sie Akademiker sind und ein unbefristetes Jobangebot in der Bundesrepublik mit einem Mindesteinkommen von 48.000 Euro nachweisen können. Auch Nicht-Akademiker können einwandern, wenn sie einer Mangelberufsgruppe angehören und gleichfalls eine unbefristete Stelle mit einem Lohn von mindestens 38.000 Euro nachweisen. Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit zogen 2013 allerdings lediglich rund 4000 Fachkräfte mit der Blauen Karte nach Deutschland. Vor diesem Hintergrund warnt nicht nur das IAB, sondern auch der Wirtschaftsrat davor, sich auf der guten Lage auszuruhen. Die derzeit hohe Zuwanderung von gut qualifizierten jungen Menschen aus Südeuropa, von der vor allem Großstädte wie Berlin profitierten, könne nicht über die großen mittel- und langfristigen Defizite auf dem hiesigen Arbeitsmarkt hinwegtäuschen, heißt es in dem Positionspapier. Wenn die Krise in Südeuropa vorbei sei, würde der Zustrom aus der Europäischen Union nach Deutschland wieder spürbar zurückgehen. "Um den Bedarf an qualifizierter Zuwanderung langfristig zu decken, muss das Zuwanderungsrecht stärker auf die Gruppe der außereuropäischen Fachkräfte ausgerichtet werden", betont der Wirtschaftsrat.
Forderungen nach einer Gesetzesreform unterstützt der Wirtschaftsrat. Das Beispiel der klassischen Einwanderungsländer zeige, dass sich "hohe, notwendige Hürden gegen Zuwanderung in die Sozialsysteme und größere Offenheit gegenüber wirtschaftlich notwendiger Zuwanderung qualifizierter Menschen" nicht ausschlössen, sagte der Generalsekretär des Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger, der "Welt". Um Ängste vor Zuwanderung zu zerstreuen, seien auch Änderungen in der Asylpolitik nötig. Die Verfahren müssten beschleunigt und die Aufenthalte für abgelehnte Asylbewerber verkürzt werden. Zudem müsse die Liste der sicheren Herkunftsländer erweitert werden, zum Beispiel um Albanien und das Kosovo. Der Ruf nach einer längeren Liste der sicheren Herkunftsländer kommt auch aus der CSU und aus CDU-Landesverbänden. Vor allem aus dem Kosovo strömen derzeit immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland, die hier jedoch kaum Chancen auf Asyl haben.(c) Axel Springer SE
7. "Wir wollen euch haben!" DIE ZEIT, 5. Februar 2015 Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sagt, er sei für mehr Einwanderung, aber gegen ein neues Einwanderungsgesetz. Ein Gespräch ... DIE ZEIT: Herr Schmidt, brauchen wir ein neues Einwanderungsgesetz? Manfred Schmidt: Nein. Alle Forderungen, die in diesen Tagen an ein solches Gesetz gestellt werden, erfüllt unser Aufenthaltsgesetz schon: wie man Fachkräfte nach Deutschland holt, wie man den Familiennachzug regelt, die Blue Card, mit der Qualifizierte aus Nicht-EU-Ländern hier Arbeit suchen können - das steht da alles längst drin. Wir haben in den letzten Jahren kräftig nachjustiert, die Migrationspolitik modernisiert, könnte man sagen – nur hat sich das leider noch nicht überall herumgesprochen. Was ich einem Einwanderungsgesetz allerdings abgewinnen könnte, wäre ein noch deutlicheres Bekenntnis: Jawohl, wir sind ein Einwanderungsland, wir wollen euch haben. DIE ZEIT: Welche Zuwanderer wollen wir denn – und welche nicht? Schmidt: In vielen Fällen gibt es nichts zu wollen, beim Familiennachzug zum Beispiel – einem Recht, das verfassungsmäßig garantiert ist. Bei Flüchtlingen, die unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen, stellt sich die Frage aus humanitären Gründen auch nicht. Da gibt es auch keine Grenzen, oder Quoten. Aber natürlich gibt es auch Asylbewerber, deren Antrag wir ablehnen müssen. DIE ZEIT: Welche sind das? Schmidt: Das betrifft besonders häufig Menschen aus dem Westbalkan. Wenn man dazu noch Kosovo und Albanien zählt, waren das über 60.000 im letzten Jahr, also die mit Abstand größte Gruppe unter den 200.000 Flüchtlingen, die hier Asyl beantragen – und das ist zu viel. Zum Vergleich waren es etwa 41.000 Flüchtlinge aus Syrien. Das Gesetz des Bundesinnenministers über die sicheren Herkunftsstaaten ist hier eine wichtige Hilfe. Die meisten Asylbewerber aus dem Westbalkan leben unter wirtschaftlich schwierigen Umständen, werden aber nicht politisch verfolgt, ihr Leben ist nicht in Gefahr. Darunter sind viele, denen man erzählt hat, Asyl sei der einzige Weg in die Bundesrepublik Deutschland. Das stimmt aber gar nicht. Oft haben sie Qualifikationen, die ihnen auch einen legalen Zugang ermöglicht hätten – die gehen dann Schleppern auf den Leim. Besonders im Kosovo sind viele junge Menschen, die hier
arbeiten könnten – allerdings ist das nicht die Gruppe, die hier Asyl beantragt. Das hängt einfach mit unserem Wohlfahrtsstaat zusammen. DIE ZEIT: Also gibt es doch Einwanderung in die Sozialsysteme? Schmidt: Das kann man so nicht sagen. Wir hatten ja die Diskussion über Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien. Die Datenlage zeigt, dass der Zuzug zwar steigt, aber es sich nicht um eine flächendeckende Armutszuwanderung handelt. Es sind auch viele dabei, die dringend hier arbeiten wollen, weil wir ein wirtschaftlich starkes Land sind. ZEIT: Hier werden händeringend Pflegekräfte und Handwerker gesucht, und wir schicken Leute zurück, weil sie nicht die richtige Broschüre hatten? Schmidt: Die Kanadier haben aus diesem Grund in London Migrationslotsen stationiert, die Interessenten den Weg weisen. Wir versuchen das jetzt auch. 'Make it in Germany' – heißt das Portal, mit dem wir im Internet für Deutschland werben. Hier könnte auch die Wirtschaft, die ja auch mehr Zuwanderung will, noch mehr tun. In Indien, Indonesien, Vietnam und den Philippinen beraten wir schon vor Ort – aber man täusche sich nicht: wir haben mit der Sprache leider einen echten Standortnachteil. Kaum jemand spricht Deutsch. DIE ZEIT: Was ist mit dem Bauarbeiter aus Libyen, der dringend einen Job sucht? Schmidt: Wenn er legal über ein Arbeitsvisum eingereist ist, kann er loslegen. Wenn er illegal hier hergekommen ist, kann er zwar auch nicht immer abgeschoben werden. Aber er hat es schwer auf dem Arbeitsmarkt, selbst nach der Frist, die eine Vorrangprüfung für deutsche Bewerber auf den Arbeitsplatz vorsieht. Welcher Arbeitgeber stellt schon gern einen Geduldeten ein, von dem man nie weiß, wie lange er bleiben darf? DIE ZEIT: Wäre ein Punktesystem, wie es die Kanadier haben, und wie es der SPD-Politiker Thomas Oppermann jetzt auch fordert, nicht viel einfacher und effizienter? Schmidt: Also EU-Angehörige, die ja 60 Prozent unserer Zuwanderer ausmachen, brauchen kein Punktesystem, denn sie dürfen ohnehin kommen. Die qualifizierten Drittstaatler kommen über die Blue Card oder andere Arbeitsmarktzugänge, die brauchen es auch nicht. Die Asylsuchenden nach der Genfer Flüchtlingskonvention dürfen gar nicht nach Arbeitsmarktkriterien ausgewählt werden. Und die Vorstellung, dass der Bauarbeiter aus Libyen oder der Flüchtling aus Eritrea, wenn er nicht lesen und schreiben kann, sich von einem Punktesystem abschrecken lassen, den mitunter lebensgefährlichen Weg nach Deutschland zu machen, halte ich für eine Fehleinschätzung. DIE ZEIT: Zu den derzeit oft zitierten 'Sorgen und Nöten' gehört der Eindruck, der deutsche Staat sei längst nicht mehr in der Lage, die Zuwanderung zu regulieren. Stimmt das? Schmidt: Nein – mit den rechtlich vorgegebenen und humanitär alternativlosen Einschränkungen, die ich erwähnt habe. Zugleich gibt es ja politische Stimmen, die jede Regulierung schon für eine Zumutung halten – und das geht natürlich auch nicht. Jedes Gemeinwesen muss regeln, wer dazugehört; das ist nun wirklich keine deutsche Spezialität. DIE ZEIT: Derzeit hauen sich Experten Zahlen um die Ohren, ob Zuwanderung den deutschen Staat eher belastet oder eher bereichert. Muss sich Zuwanderung rechnen? Schmidt: Mal im Ernst: diese Art, zu rechnen, ist doch albern. Wir sind ein weltoffenes Land, wir sind fast Exportweltmeister. Wir leben von dieser Welt und rechnen dann aus, dass uns Zuwanderer 1800 Euro kosten? Bizarr. Wo wären wir denn ohne die Gastarbeiter der ersten Generation? Und sollen wir sagen: den Homosexuellen aus Uganda, der wegen seiner sexuellen Orientierung mit dem Tod bedroht wird, nehmen wir nicht mehr auf, weil wir gerade die 1800 Euro nicht flüssig haben? Das passt doch nicht. Aber eine solche Debatte ist natürlich Wasser auf die Mühlen derer, die derzeit in Dresden protestierend auf die Straße ziehen. DIE ZEIT: Ein anderer Einwand lautet, Zuwanderung sei für die Armen, die mit den Neuankömmlingen um Wohnungen, Schulplätze und Jobs konkurrieren, ein Problem,
während die Bessergestellten von den sinkenden Löhnen profitierten – und ein Diskussionstabu über das Thema verhängen. Schmidt: Das mag einmal so gewesen sein. Früher hat man keine Abschlüsse anerkannt. Früher glaubten wir auch, wir seien kein Einwanderungsland. Wir haben gedacht, die Gastarbeiter gehen wieder – und sie selbst haben das auch gedacht. Heute ändert sich das. Die Zuwanderung nach Deutschland ist heute viel qualifizierter. Es ist leichter, sich seine Ausbildung aus dem Ausland anerkennen zu lassen. Wir haben einen riesigen Bedarf an Fachkräften. DIE ZEIT: Gibt es denn eine grundsätzliche Spannung zwischen Freizügigkeit und Sozialstaat? Schmidt: Wer aus humanitären Gründen herkommt, dem hilft unser Sozialstaat. Sobald ein Flüchtling einen anerkannten Aufenthaltstitel hat, hat er Zugang zum Arbeitsmarkt, und kann sich damit selbst helfen. Der polnische Klempner, der hier seinem Handwerk nachgeht, zahlt genauso viele Beiträge und Abgaben wie seine Kollegen. Man muss sich auch mal entscheiden, ob man den Zuwanderern eher vorwerfen will, dass sie Sozialleistungen kassieren, oder dass sie 'uns' die Jobs wegnehmen – beides können sie ja schlecht tun. Auch der französische Arbeitslose, der im Rahmen der Freizügigkeit kommt, kann sich nicht einfach auf den deutschen Sozialstaat verlassen – er muss einen Job finden. DIE ZEIT: Also dürfen wirtschaftliche Kriterien – wer nützt uns – eine Rolle spielen, wie es bei den Kanadiern der Fall ist, oder nicht? Schmidt: Die Kanadier hatten ein Punktesystem, das im Prinzip nicht mit dem Arbeitsmarkt gekoppelt war. Wenn jemand qualifiziert war, Sprachkenntnisse hatte und andere Anforderungen erfüllte, dann konnte er einwandern – auch ohne Arbeitsplatz. So kam es, dass auch die Kanadier unzählige taxifahrende Akademiker hatten. Das haben sie jetzt umgestellt. Seit Kurzem gibt es eine Koppelung an eine konkrete Arbeitsstelle, so wie es bei uns auch ist. Die Kanadier bewegen sich auf uns zu, nicht umgekehrt! Die Auswahl trifft der Arbeitgeber, der Markt. DIE ZEIT: Also läuft bei uns alles rund, kein Verbesserungsbedarf? Schmidt: Ehrlich gesagt: ja, ich finde, das deutsche Zuwanderungsrecht ist sehr viel moderner, elastischer als das manchmal klingt. Was wir brauchen, ist eine bessere Idee davon, wer wir sind, wer wir sein wollen. Und ich wünsche mir viel, viel mehr Gelassenheit Die Fragen stellte MARIAM LAU Datum23.02.2015